Hausärzte sehen Wegfall der Priorisierung teils mit gemischten Gefühlen
Mediziner begrüßen, dass die Impfung-Entscheidung bald wieder im Ermessen des Hausarztes liegen soll. Einige sehen aber vor allem organisatorische Herausforderungen bei der Terminvergabe und durch knappen Impfstoff.
Vom kommenden Montag an soll in Baden-Württemberg die Impfstoff-Priorisierung bei niedergelassenen Ärzten für alle Impfstoffe aufgehoben werden. Ärzte können dann nach eigenem Ermessen entscheiden, welche Patienten besonders dringend mit einem Corona-Vakzin geimpft werden müssen. Ärzte aus der Region befürworten die Entscheidung von Sozialministerium und Kassenärztlicher Vereinigung mehrheitlich.
Lange Wartelisten
"Es wird lange Wartelisten geben, aber die Aufhebung der Priorisierung ist schon sinnvoll, wenn verantwortungsvoll damit umgegangen wird", sagt der Heilbronner Ärztesprecher Martin Uellner. Er begrüßt, dass Ärzte dann besser nach medizinischen Kriterien priorisieren können: "Ich impfe lieber einen 45-Jährigen mit Herzerkrankung als einen 62-Jährigen topfitten Marathonläufer", so Uellner.
Gleichzeitig werde durch die Entscheidung die "Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage" größer. Er fürchtet, dass es zunächst noch mehr Konflikte mit Impfwilligen um die knappen Termine geben wird. Erst für Juni ist deutlich mehr Impfstoff angekündigt.
Mehr Impfstoff erwartet
Ein klarer Befürworter der Regelung ist Peter Abend aus Gundelsheim, der sich als Impfarzt engagiert. Er sagt: "Wir erwarten in den nächsten Wochen zunehmende Liefermengen, daher halte ich die Beendigung der Priorisierung für richtig." Es sei - auch aus Kostengründe - sinnvoll, die Impfungen wieder in die Praxen der niedergelassenen Ärzten zu bringen, wo sie eigentlich hingehörten.
Das findet auch Edzard Kühle, Arzt im MVZ in Eppingen. Der große Vorteil aus seiner Sicht: Hausärzte kennen ihre Patienten. Das sei im Impfzentrum nicht der Fall. Auch wenn derzeit noch nicht genug Impfstoff zur Verfügung stehe, finde er es richtig, die Priorisierung aufzuheben. Die am meisten Gefährdeten seien aus seiner Erfahrung inzwischen geimpft. Jetzt könne man den nächsten Schritt machen und alle impfen, die diesen Schutz möchten, um eine Herdenimmunität zu erreichen.
Sobald die Priorisierung wegfällt, werden er und seine Praxiskollegen sich die Warteliste des MVZ Eppingen genau ansehen und eine interne Priorisierung machen. Anders gehe es nicht, da hunderte Personen draufstünden. Wer etwa hohen Blutdruck hat oder chronisch krank ist, komme dann früher dran als ein gesunder Patient - unabhängig vom Alter. So wolle er die Liste nach und nach abarbeiten. Diese werde allerdings immer länger. "Das Telefon klingelt ununterbrochen", berichtet Edzard Kühle aus dem Praxisalltag.
Terminfindung noch schwieriger?
Gerade diese organisatorischen Schwierigkeiten bereiten Robert Wagner aus Öhringen Sorgen. Er ist Kinder- und Jugendarzt in Öhringen und betreibt mit seinen Kollegen eine Corona-Schwerpunktpraxis. Wagner sieht die Aufhebung der Priorisierung mit einem lachenden und einem weinenden Auge: "Es ist zu begrüßen, dass das Impfen jetzt in die Breite geht", sagt er. "Andererseits wird es für Menschen, die die Impfung wirklich nötig haben, noch schwieriger, einen Termin zu bekommen", sagt Wagner, der oft auch Dienste im Kreisimpfzentrum leistet.
Der Verwaltungsaufwand für die Praxen sei enorm, erklärt Wagner: "Auf eine Impfung kommen drei bis vier Telefonate." Das führt nicht selten dazu, dass Menschen, die "nur" ein Rezept brauchen, am Telefon nicht durchkommen und sich zu Fuß auf den Weg machen.



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