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Fragen und Antworten zum Astrazeneca-Impfstopp

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Nach der Entscheidung, die Impfung mit dem Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca vorerst in Deutschland und anderen europäischen Ländern auszusetzen, herrscht bei Geimpften teils große Verunsicherung und bei Medizinern Verärgerung. Wir ordnen den Sachstand ein.

Was ist die Grundlage für die Entscheidung, Impfungen mit Astrazeneca in Deutschland zu stoppen?

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, hat am Montag die Aussetzung der Impfung mit dem Covid-19-Impfstoff von Astrazeneca empfohlen. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist dem gefolgt. Der Stopp betrifft sowohl Erst- als auch Folgeimpfungen. Der Grund: In sieben Fällen (Stand 15. März) von insgesamt 1,6 Millionen wurde in zeitlichem Zusammenhang eine spezielle Form von schwerwiegenden Thrombosen der Hirnvenen festgestellt. Betroffen sind sechs Frauen und ein Mann im Alter zwischen 20 und 50 Jahre. Nach PEI-Angaben sind bislang drei der Betroffenen verstorben.

 

Wie ist die Relation zu bewerten?

Laut PEI ist die Zahl der Fälle nach einer solchen Impfung statistisch „signifikant höher als die Anzahl von Hirnvenenthrombosen, die normalerweise in der Bevölkerung ohne Impfung auftreten“. Etwa ein Fall sei demnach zu erwarten gewesen – im Vergleich zu den sieben.

 

Wie wahrscheinlich ist ein Zusammenhang mit der Impfung?

Alle zur Einschätzung herangezogenen Experten seien einstimmig der Meinung gewesen, dass ein Muster zu erkennen sei und ein Zusammenhang der gemeldeten Erkrankungen mit der Astrazeneca-Impfung „nicht unplausibel“ ist, heißt es vom PEI. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schreibt auf Twitter, die Gehirnthrombosen seien „wahrscheinlich“ auf den Astrazeneca-Impfstoff zurückzuführen. Er meint allerdings auch: „Weil aber das Risiko bei nur etwa 1:250 000 liegt, überwiegt der Nutzen, gerade für Ältere. Denn: Von den schwerwiegenden Komplikationen sei nicht die Altersgruppe betroffen, die ein hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Covid-19-Verlauf habe.

 

Wie sollen sich Geimpfte nun verhalten?

Die geschilderten Komplikationen sind insgesamt extrem selten. Wer sich auch vier bis 14 Tage nach der Impfung weiter unwohl fühlt und starke Kopfschmerzen hat, sollte zum Arzt gehen. Auch punktförmige Hautblutungen können laut PEI ein Warnsignal sein.

 

 

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Wie bewerten Mediziner die Maßnahme?

Die Meinungen zu dem Impfstopp gehen auseinander. Stephan Becker, Virologe von der Philipps-Universität Marburg, sagt: „Das ist eine sehr unglückliche Situation, aber wenn so ein Verdacht im Raum steht, dann muss dem nachgegangen werden, und so lange muss die Impfung angehalten werden.“ Andere Experten wie Paul Hunter von der Norwich School of Medicine in Großbritannien weisen auf das deutlich höhere Risiko durch eine Covid-19-Erkrankung hin. „Im Vergleich beträgt die Sterblichkeitsrate nach einer Infektion bei Männern Mitte 40 0,1 Prozent – was ungefähr 1000 Tote pro eine Million Infizierte bedeutet.“ Hunter sagt: „Wir müssen den Schaden einrechnen, der sich aus der Verzögerung der Impfkampagne ergibt, gerade in einer Zeit, in der die Inzidenzzahlen in einigen europäischen Ländern steigen.“ Von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hieß es gestern, man halte den Nutzen des Corona-Impfstoffs von Astrazeneca bis zum Abschluss der Untersuchungen für größer als die Gefahren.

 

Wie geht es nun weiter?

Gesundheitsminister Jens Spahn sagte, man müsse nun „miteinander“ die Entscheidung der EMA abwarten. Deren Chefin Emer Cooke kündigte an, dass die Behörde am Donnerstag eine Einschätzung zu möglichen Risiken und zur weiteren Verwendung des Impfstoffs abgeben wird. Sie betonte, dass eine Situation wie diese nicht unerwartet sei. Wenn man Millionen von Menschen impfe, sei es unausweichlich, dass seltene oder ernsthafte Erkrankungen auftreten. Fest steht, dass die Pause einen empfindlichen Rückschlag für die deutsche Impfkampagne bedeutet. Bislang wurden in Deutschland Stand 14. März knapp 1,65 Millionen Menschen ein erstes Mal mit Astrazeneca geimpft. Eine Erstimpfung mit Moderna erhielten knapp 240 000 Menschen, im Fall von Biontech/Pfizer waren es gut 4,6 Millionen.

 

Ist es möglich, mit einem zweiten Impfstoff nachzuimpfen?

Der Impfstoff von Astrazeneca ist ein sogenannter Vektorimpfstoff, die beiden übrigen Vakzine, die in der EU im Einsatz sind, sind mRNA-Impfstoffe. Bislang ist noch nicht vorgesehen, dass zwei unterschiedliche Typen für Erst- und Boosterimpfung eingesetzt werden. Experten wie der Pharmazeut Theodor Dingermann halten es jedoch für ein sehr vielversprechendes Verfahren, mit einem zweiten Impfstoff-Typ nachzuimpfen. Die Annahme ist, dass das den Schutz – auch vor Virus-Mutationen – weiter erhöhen könnte. Untersuchungen zu einem solchen Verfahren laufen. Das BMG rät aktuell: „Sollte der Astrazeneca-Impfstoff zugelassen bleiben, sollte man die zweite Impfung auf jeden Fall (damit) machen. Sie verstärkt den Schutz um ein Vielfaches.“ 

 


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Hätte das Bundesgesundheitsministerium auch anders entscheiden können?

Nein, schreibt die Behörde auf ihrer Internetseite: Der Staat stelle den Impfstoff zur Verfügung und habe besondere Sorgfaltspflichten gegenüber den Bürgern, die sich impfen lassen. „Amtsträger des BMG und PEI sind verpflichtet, die Sicherheit des Impfstoffs zu überwachen und bei entsprechenden Signalen zu reagieren.“ Ein Impfstoff werde an gesunden Personen angewendet, daher müssten auch seltene Nebenwirkungen sorgfältig und fortlaufend geprüft werden.

 

Warum wird in diesem Zusammenhang über die Anti-Baby-Pille diskutiert?

Bei der Anti-Baby-Pille sind Thrombosen, auch mit tödlichem Verlauf, als sehr seltene Nebenwirkung bekannt. Statistisch bekommen 200 bis 300 von einer Million Frauen im gebärfähigen Alter jedes Jahr eine Thrombose. Nehmen Frauen die Pille, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, eine Thrombose oder Embolie zu entwickeln, je nach Präparat, auf 700 bis 1200 zu einer Million – abhängig ist das auch von weiteren Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel oder Übergewicht. Es gilt: Der verordnende Arzt muss Patientinnen über das Risiko aufklären, Nebenwirkungen sind in der Patienteninformation aufgeführt. Im Gegensatz dazu sei für die Astrazeneca-Impfung die seltene Nebenwirkung einer Hirnvenenthrombose mit teils tödlichem Verlauf bisher nicht in der Patienteninformation aufgeführt, schreibt das BMG.

 

Wie verfahren andere Länder?

Nach dem Impfstopp in Deutschland und anderen Ländern haben weitere EU-Staaten die Verabreichung vorsorglich ausgesetzt, darunter Schweden und Portugal. Großbritannien impft im Gegensatz dazu weiter (siehe unten). „Im Fall von Großbritannien kann man bei elf Millionen Impfungen und bisher drei gemeldeten Sinusvenenthrombosen (Sinusvenen sind Blutleiter im Gehirn, Anm.d.Red.) ganz sicher sagen, dass dort keine besondere Häufung besteht“, sagt Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Ein Grund für das unterschiedliche Auftreten könnte sein, dass der Impfstoff in Deutschland zunächst an Jüngere verabreicht wurde.

 


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