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Folgt auf die Krise der Gastronomie eine Krise der Innenstädte?

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Die Corona-Pandemie macht den Wirten zu schaffen. Einige Ketten haben bereits das Aus verkündet, für manche Kleinbetriebe wird die Luft dünner. Um Gastronomie im Ort erhalten zu können, werden sich Kommunen in Zukunft verstärkt einbringen müssen.

Die Gaststuben verwaist, die Hilfsgelder spärlich geflossen. Dazu die unabhängig von der Corona-Pandemie schwierige Personal- und Finanzlage mancher Betriebe: Schlechte Nachrichten rund um die Gastronomie reißen nicht ab. Nicht nur Schlemmer und Kneipengänger, sondern auch Kommunen stehen vor der Frage: Was bleibt vom gastronomischen Angebot, ist die Pandemie mal überstanden?

Auch im Heilbronner Vapiano gibt es seit Längerem weder Pizza noch Pasta, ein Nachfolger für die Fläche ist alelrdings gefunden. Foto: Archiv/Seidel
Auch im Heilbronner Vapiano gibt es seit Längerem weder Pizza noch Pasta, ein Nachfolger für die Fläche ist alelrdings gefunden. Foto: Archiv/Seidel  Foto: Seidel, Ralf

Auf die Zentren von Großstädten sieht Ulrich Neef weitreichende Veränderungen zukommen. "Jetzt in der Corona-Krise haben Betriebe gemerkt, wie groß das Risiko ist." 2020 meldeten etwa die Nudelkette Vapiano oder der Steakhaus-Betreiber Maredo Insolvenz an. "Es ist fraglich, ob die großen Franchiseunternehmen noch bereit sind, dieses Risiko einzugehen und 50 Läden in Toplagen mit großen Investitionen zu eröffnen und zu betreiben", sagt Neef.

Rückzug aus der Innenstadt

Der Fleiner ist seit 1992 mit der Firma Kastell Immobilien am Markt und spezialisiert auf Gastronomie- und Hotelimmobilien. "Die Kosten sind einfach da", sagt der Makler. In Sachen Pacht können die sich in Heilbronn seiner Erfahrung nach schon mal auf monatlich 15.000 Euro in einer Lage wie der Kaiserstraße belaufen. "Gastronomie wird außerhalb funktionieren", ist sich Neef deshalb sicher. 

Lokale an den Rändern der Zentren, der innenstädtische Einzelhandel durch die Onlinekonkurrenz schon länger unter Druck - das klingt nach erheblichen Umwälzungen. Für Markus Müller ist das "bei aller Dramatik für die Betroffenen" auch eine Chance. "Wir müssen die Innenstädte komplett neu denken, dafür ist es nun höchste Zeit", sagt der Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg. "Man muss sich fragen, ob Innenstädte ausschließlich einen konsumorientierten Nutzen haben sollen."

Müller wünscht sich mehr Mut zu Wohnquartieren in Kerngebieten und sieht als Ziel "eine hohe Nutzungsdiversität" an. Jene entsteht etwa durch "Außenräume mit hoher Aufenthaltsqualität" und einer Mischung aus Wohnen, Läden, Bildung, aber auch produzierenden Betrieben. Von diesem Mix können auch Wirte profitieren und selbst zur Attraktivität beitragen. "Eine sehr gut funktionierende Gastronomie kann fraglos ein belebender Faktor für Innenstädte sein", sagt Müller. Heilbronn und die Neckarmeile ist dafür ein Beispiel. 

Auf die Verpächter kommt es an

Eine zentrale Rolle spielen die Verpächter. Sie sollten Interessenten auch in Corona-Zeiten die Chance geben, ein Lokal zu eröffnen, findet Neef. "Wir empfehlen, wenn ein Straßenverkauf möglich ist, ein Drittel der eigentlichen Pacht zu verlangen." Überhaupt ist es für den Fleiner, der zum Beispiel bei der Pächter- oder Nachfolgesuche, aber auch beratend für Kommunen tätig ist, "eine Herzensangelegenheit, dass der Pächter eine reelle Chance zu überleben hat".


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Nicht immer trifft der Makler bei Geschäftspartnern mit dieser Sichtweise auf Verständnis. "Vielen Verpächtern fehlt das Bewusstsein", sagt Neef. "Die Aussage, statt des Lokals lieber Wohnungen reinzubauen, höre ich einmal pro Woche. Dann muss der Eigentümer aber zunächst alles rausreißen und neu machen. Gastronomie befindet sich zumeist im Erdgeschoss, das heißt, es gibt keinen Balkon und Passanten verkehren direkt vor den Fenstern. Wie viel Miete bringt das letztlich ein? Das muss man sich schon gut überlegen." Dass Pächter und Verpächter nicht stets auf einen Nenner kommen, zeigte zuletzt das Beispiel Alex am K3 in Heilbronn

Nachfrage aus der Bevölkerung ist da

Trotz der aktuellen Schwierigkeiten sieht Neef Perspektiven für die Gastronomie. "Die Gastronomien, die überleben, werden nach der Krise gut dastehen. Der Gast hat gemerkt, dass es ihm fehlt, mal Essen oder einen Kaffee trinken zu gehen. Jetzt sieht man, wie kostbar das eigentlich ist - auch der sozialen Kontakte wegen."

Mit der Situation von Lokalen im ländlichen Raum befasste sich die Stimme-Redaktion eine Woche lang beim Wochenthema Dorfwirtschaften. Alle Teile der Serie gibt es hier zum Nachlesen

Wirtschaften auf dem Land bezieht er ausdrücklich mit ein. "Für die typische speisenorientierte, familiengeführte Gastronomie im ländlichen Raum gibt es auf Dauer die Möglichkeit, überleben zu können. Sie ist anders als Franchiseunternehmen personenbezogen, auf den Inhaber fixiert." Das zieht, sofern die Qualität stimmt. "Man hatte vor Jahren die Möglichkeit, in einer zweitklassigen Gastronomie mit einem panierten Schnitzel mit Kartoffelsalat aus dem Eimer anzukommen - das ist heute nicht mehr so." 

Auf den familiären Zusammenhalt kommt es gestern wie heute an. Neef hat festgestellt, dass es häufig bei Personen mit Migrationshintergrund so ist, "dass die Familie komplett hinter dem gastronomischen Vorhaben steht". Das hilft. Denn: "Wahrscheinlich wird der Lebensunterhalt, je nach Größe des Objekts, nicht mehr nur aus der Gastronomie bestritten."

Gemeinde tritt selbst als Bauherrin auf

Eine Kommune, für die Neef erfolgreich auf Pächtersuche gegangen ist, ist Igersheim bei Bad Mergentheim. Hier tritt die Gemeinde bei der Realisierung des Gasthauses am Möhlerplatz selbst als Bauherrin auf, zwei bestehende Gebäude werden dazu zu einem Wirtshaus mit Außenfläche und 13 Fremdenzimmern umgebaut. Dass eine Kommune selbst so aktiv wird, ist laut Bürgermeister Frank Menikheim "eher noch die Ausnahme". Wobei die Betonung auf "noch" liegt.

"Ich bin der festen Überzeugung, dass es zunehmen wird, dass sich Gemeinden einbringen, wenn sie noch einen Gasthof haben möchten", sagt Menikheim. Seine Begründung? "Wenn ein privater Investor baut, dann möchte er, dass sich sein investiertes Geld rasch gedreht hat. Also in einem Zeitraum von vielleicht zehn oder fünfzehn Jahren - er würde dazu vielleicht eine Pacht aufrufen, die niemand bezahlen kann. Wir als Kommune haben auch nichts zu verschenken, aber können in anderen Zeiträumen rechnen." 

Auch Timo Frey, Bürgermeister von Bad Friedrichshall weiß, dass "zu einer lebenswerten Stadt ein gutes Gastronomieangebot gehört". Dass eine Kommune als Betreiberin auftritt, ist für ihn nur als Notlösung denkbar. "Der privatwirtschaftliche Markt sollte das regeln." Die Kommune spiele aber trotzdem eine Rolle: als Projektentwickler.

Investor realisiert Bauvorhaben in der Ortsmitte

Aktuell steht in Bad Friedrichshall die Sanierung der Ortsmitte von Kochendorf an, erste Häuser sind bereits abgerissen, bei einem weiteren laufen die Grunderwerbsverhandlungen mit der evangelischen Kirchengemeinde. Auf einer der Teilflächen plant ein Investor ein Wohn- und Geschäftshaus, in dessen Erdgeschoss "Gastronomie mit abgebildet werden soll, um den Ortskern zu beleben - idealerweise kombiniert mit einer Nahversorgung", sagt Frey. Für den Bürgermeister ist das zum Beispiel in Form einer Markthalle denkbar.

Der Abriss des evangelischen Gemeindehauses soll noch folgen, dann ist die Teilfläche im Zuge der Sanierung der Kochendorfer Ortsmitte bereit für eine Bebauung. Es gibt Gedankenspiele für eine Markthalle mit Gastronomie. Foto: Veigel
Der Abriss des evangelischen Gemeindehauses soll noch folgen, dann ist die Teilfläche im Zuge der Sanierung der Kochendorfer Ortsmitte bereit für eine Bebauung. Es gibt Gedankenspiele für eine Markthalle mit Gastronomie. Foto: Veigel  Foto: Veigel, Andreas

Die Kommune tritt nach der Realisierung nicht als Verpächter auf. Sie kann sich laut Frey aber einbringen, "um die örtlichen Händler oder Gastronomen an einen Tisch zu bringen, um abzuklopfen, wer sich engagieren kann und möchte". 

Für Verwaltungen gibt es weitere Möglichkeiten, sich einzubringen. Markus Müller hält auch eine Verknüpfung von Gastronomie mit öffentlichen Einrichtungen für denkbar, "bei der die Stadt als Verpächter in der Hand hat, welche Art der Gastro sie haben will". Zudem gelte es, über genossenschaftliche Organisationsformen nachzudenken. "Wenn sich neben Kommunen auch Banken oder soziale Träger beteiligen, dann wird Gastronomie eher tragfähig und das wirtschaftliche Risiko für den Wirt abgemildert." 

Neues Konzept des Fleckawirts

Für Ulrich Neef kann die Unterstützung zudem auf weiteren Ebenen ablaufen, etwa durch Aufträge für die Belieferung städtischer Veranstaltungen oder Einrichtungen. Zusammen mit der Alpirsbacher Brauerei hat sich der Fleiner zudem das Konzept des "Fleckawirts" ausgedacht. Dabei integrieren Dorfgaststätten betriebsfremde Leistungen, eine Postfiliale, einen kleinen Laden oder Geldautomaten etwa. "Wir müssen andere Umsatzgrößen hinzufügen, um sagen zu können, es rechnet sich wieder für eine Familie - und um so die Gastronomie in der Dorfidylle als kommunikativen Treff im Ort erhalten zu können." 

 

 

 

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