Experte zur Kommunalwahl 2024: AfD tut sich schwer, Kandidaten zu finden
Experte Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung spricht vor der Kommunalwahl am 9. Juni über Erwartungen und Trends - sowie über die AfD, die in der Region meist keine Rolle spielt.

Panaschieren, kumulieren, unechte Teilortswahl: Kaum irgendwo ist das kommunale Wahlrecht so kompliziert wie in Baden-Württemberg. Experte Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung spricht über Erwartungen, Trends und Neuerungen vor den Kommunalwahlen am 9. Juni.
Erwarten Sie ein großes Interesse an der Kommunalwahl?
Michael Wehner: Wir beobachten eine Politisierung und Polarisierung, im Frühjahr gab es viele Demonstrationen für die Demokratie. Ob sich das auf die Wahlbeteiligung auswirkt, bleibt abzuwarten, aber wir gehen schon davon aus, dass die 58,6 Prozent Beteiligung, die wir 2019 im Landesdurchschnitt hatten, übertroffen wird.
Alle reden von der AfD. Mit eigenen Listen ist die Partei in kaum einer Kommune vertreten. Wird ihr Einfluss überschätzt?
Wehner: Die Erwartung, dass die AfD flächendeckend die Gemeinden erobert, wird nicht eintreten. Offensichtlich tut sie sich als extremismusverdächtige Partei schwer, vor Ort Kandidaten zu finden. Schon 2019 war die AfD nur in etwas mehr als 60 von über 1101 Gemeinden in den Gremien vertreten. Was man aber beobachtet: In manchen Kommunen treten ehemalige AfD-Unterstützer oder Sympathisanten der Querdenker auf Listen an, die dann andere Namen tragen.
In Heilbronn gibt es zwölf statt zuvor neun Listen. Ähnliches ist auch in anderen Städten zu beobachten. Zerfasert die politische Landschaft jetzt auch in der Fläche?
Wehner: Das Auszählverfahren begünstigt die Kleinen, es gibt keine Mindesthürde wie bei anderen Wahlen. Deswegen beobachten wir vor allem in den Großstädten das Phänomen der Zersplitterung. Sieht man es positiv, dann macht das viele Interessen sichtbar. Auf der anderen Seite erschwert es die Mehrheitsfindung. Das Phänomen ist außerdem nicht auf ländliche Gemeinden übertragbar. Dort ist es eher mühsam, die Listen mit ausreichend Bewerbern vollzubekommen. Es gibt auch immer mehr Gemeinden mit nur einer einzigen Liste.
Erstmals können sich 16- bis 18-Jährige zur Wahl stellen. Wird das angenommen?
Wehner: Es gibt natürlich Jugendliche, die sich zur Wahl stellen. Sie sind aber nicht überproportional vertreten. Es ist nicht zu beobachten, dass sich die Altersstruktur der Kandidaten komplett verschiebt. Die meisten Parteimitglieder sind zum Beispiel immer noch 50 oder älter.
Ein Mysterium für viele ist die Unechte Teilortswahl. Sie soll gewährleisten, dass in Flächengemeinden die Ortsteile angemessen vertreten sind. Ist das ein überflüssiges Relikt der 70er Jahre?
Wehner: Man fragt sich tatsächlich, warum es dieses Instrument 50 Jahre nach der Gebietsreform noch gibt. Viele Kommunen verabschieden sich tatsächlich davon, andere haben die Unechte Teilortswahl sogar wieder eingeführt. Etwa ein Drittel hält noch daran fest. Aus demokratischer Sicht ist das Verfahren fragwürdig. Es führt dazu, dass Kandidaten mit weniger Stimmen in den Rat einziehen, andere mit viel mehr Wählerstimmen aber nicht.