Erste Apotheken in der Region mischen Antibiotikasäfte selbst an
Als Reaktion auf einen allgemeinen Mangel an Medikamenten unterstützt die Theodor-Heuss-Apotheke in Brackenheim Kinderarztpraxen - indem sie Antibiotikasäfte selbst anmischt.

Seit wenigen Wochen stellen die Mitarbeiterinnen der Theodor-Heuss-Apotheke in Brackenheim Antibiotikasäfte für Kinder selbst her. Nach Angaben von Inhaber Professor Dr. Marcus Plehn werden sie seither von Eltern und Kinderarztpraxen überrannt. Man wolle etwas tun, außer nur den Mangel an Medikamenten zu verwalten oder zu jammern, erklärt der 64-Jährige seine Motivation. "Wir haben einen Versorgungsauftrag. Ich kann ja meine Zabergäuer nicht im Stich lassen."
Bedarf in Kinderarztpraxen ist groß
Plehn zeigt auf eine kleine Plastikbox unter dem Schreibtisch. "Das ist unsere wichtigste Kiste zurzeit", sagt er. Einige Packungen Tabletten mit dem Antibiotika-Wirkstoff Cefuroxim und ein paar leere Fläschchen liegen darin. Jeden Tag zermörsern Mitarbeiterinnen im Labor die Tabletten, dosieren die Portionen in kindgerechte Mengen, gießen Himbeersirup hinzu und füllen den Saft für Kinder in die Fläschchen. Ständig klingelt das Telefon. Arzthelferinnen der Kinderarztpraxen aus Brackenheim, Lauffen und Güglingen fragen, ob Antibiotikasaft für Kinder verfügbar ist. Wenig später kommen Eltern mit Rezepten und holen die Arznei ab.
Als er diese Woche Notdienst gehabt habe, habe er einen Anruf von der Kinderklinik Heilbronn erhalten, berichtet Plehn. Die Frage, die ihm gestellt worden sei: Welche Antibiotikasäfte haben sie denn da für heute Nacht? "So etwas habe ich in 30 Jahren noch nicht erlebt." Einst sei Deutschland "die Apotheke der Welt" gewesen, und jetzt gebe es einen Lieferengpass, "der dramatische Ausmaße erreicht hat". Plehn veranschaulicht diesen Engpass an einem Rechner, an dem er Bestellungen bei Großlieferanten tätigen kann.
Das wichtige Breitband-Antibiotikum Amoxicillin - vergriffen. Penicillin, 1928 vom Bakteriologen Alexander Felming entdeckt - nicht verfügbar. Ärzte und Apotheken, alle verwalteten sie derzeit gemeinsam den Mangel, sagt Plehn. Mit den Kinderärzten bespreche man sich mindestens einmal in der Woche, um bereits mitteilen zu können, was denn vorhanden ist und was überhaupt nicht erst verschrieben werden braucht.
Eltern äußern Sorge über Zustände
Andere Apotheken ziehen bereits nach. Auch in Nordheim werden Antibiotikasäfte seit wenigen Wochen selbst angemischt - mit den Wirkstoffen Cefuroxim sowie Amoxicillin. Die Kinderarztpraxen nähmen das Angebot gerne an, sagt Laurinda Gashi von der Müller-Apotheke.
Das Selbermachen der Antibiotikasäfte ist laut Plehn "ein Draufleggeschäft" und halte den Betrieb auf. Anfangs habe es eine Stunde lang gedauert, die Säfte zu machen - da die Tabletten einen Filmüberzug hatten und die Reste erst aus dem Pulver herausgesiebt werden mussten. Inzwischen werden nur Tabletten ohne Überzug zermörsert.

Vielen Eltern bereitet die Situation Sorge. Olivia Alt (37) aus Brackenheim berichtet, in den vergangenen Wochen sieben Apotheken nach Penicillin abgeklappert zu haben und zehn Apotheken nach einem Asthmaspray für ihren fünfjährigen Sohn Leon.
An dem Samstag, an dem sie Penicillin gebraucht habe, sei es akut gewesen. Nach dem Besuch der Notfallpraxis für Kinder sei sie gleich in die Gesundbrunnen-Apotheke. Dort habe man aber kein Penicillin gehabt. Ebenfalls nicht verfügbar war es in Schwaigern und in Zaberfeld. In der siebten Apotheke habe sie schließlich Glück gehabt, es sei eine einzige Packung erhältlich gewesen.
Inzwischen tausche man sich auch in Elterngruppen aus, wer welche verschreibungspflichtigen Medikamente daheim habe, sagt die Erzieherin in Elternzeit - und organisiere sich diese zur Not ohne Arzt und Apotheke. Das ist ein Vorgehen, das zwar aus ärztlicher Sicht nicht optimal sein kann, aber angesichts der Umstände auch Mediziner verstehen können.
Apothekerverband spricht von zusätzlichem Aufwand
Dem Landesapothekerverband Baden-Württemberg liegen eigenen Angaben zufolge keine Zahlen dazu vor, wie viele Apotheker inzwischen selbst Antibiotikasäfte anmischen. Sprecher Frank Eickmann sagt aber, die Bereitschaft hierzu zeige, wie wichtig es Apotheken sei, "für kleine Patienten die Versorgung zu sichern". Die Not werde hier zur Tugend gemacht.
Das Anmischen der Säfte bedeute einen zusätzlichen Aufwand, der Apotheken erneut belaste - auch Fiebersäfte seien in den vergangenen Monaten selbst hergestellt worden. Antibiotikasäfte seien Arzneimittel, die in einer Industrienation wie Deutschland fertig geliefert und ausgegeben werden sollten. Eickmann spricht von betrüblichen Auswüchsen. Er hoffe auf eine baldige Verbesserung der Situation, sagt er. "Skeptisch sind wir aber allemal."





Stimme.de