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Ehrenamtliche bei der Tafel Heilbronn brauchen ein dickes Fell

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Wenig Ware, unzufriedene Kunden: Die Tafel Heilbronn funktioniert nur mit ehrenamtlichen Helfern, und die sind im Stress

Mandy Bachert bedient wie ihre Kollegen die Kunden beim Obst und Gemüse. Die Lebensmittel, die es gibt, sollen schließlich gerecht aufgeteilt werden.
Foto: Mario Berger
Mandy Bachert bedient wie ihre Kollegen die Kunden beim Obst und Gemüse. Die Lebensmittel, die es gibt, sollen schließlich gerecht aufgeteilt werden. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Marco Schönberger, stellvertretender Chef der Tafeln in der Region und des Tafelladens in Heilbronn, ist nicht zufrieden. Große Lücken klaffen in den Regalen des Geschäfts in der Goppeltstraße. Dabei sollten sie mit gespendeter Ware bestückt sein, damit arme Menschen sie für wenig Geld kaufen können.

Mehl, Öl und Eier sind Mangelware

Doch egal ob Öl, Mehl, Zucker, Eier, Butter, Käse, Wurst: Alles ist Mangelware. "Wir sind extrem ausgedünnt." 600 zusätzliche Tafelausweise hat er in den vergangenen Wochen an ukrainische Geflüchtete ausgegeben, gleichzeitig gehen die Spenden der Lebensmittelmärkte immer noch zurück.

Um die Lücken aufgefüllt, sind manche Regale etwa mit Soßen aufgefüllt

Um den Notstand zu kaschieren, hat er an manchen Stellen auffüllen lassen, mit Winterdrinks, süßsaurer Soße. Dabei wären Kaffee, Tee, Brötchen oder Müsli und Drogerieartikel wie Zahnpasta das, was dringend gebraucht würde.


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Die Reaktionen der enttäuschten Kunden, die teils bis zu zwei Stunden vor der Tür gewartet haben, bis sie namentlich aufgerufen werden und hereindürfen, bekommen die Ehrenamtlichen deutlich zu spüren. Denn zu viele Menschen gleichzeitig können nicht in den Laden, damit kein Chaos ausbricht. Außerdem muss die Ware eine Zeitlang reichen. Besonders, wenn im Juli noch ein neuer Tafelladen in Bad Friedrichshall aufmacht

"Einen Kopfsalat! Groß!" ruft ein Mann am Gemüsestand. "Gibt es Gurken?" Fabian Bragulla zeigt das letzte Exemplar. "Da ist leider ein Stück abgebrochen. Das können sie aber abschneiden." Der Mann ist wütend, macht eine wegwerfende Handbewegung. "Und die Schale Kirschen? Nur halb voll!"

Die Menge des Einkaufs wird streng reglementiert

Fünf Äpfel, eine Aubergine, ein Salat, Kirschen. Alles wird auf einem Zettel notiert, den die Kunden bei der Kasse abgeben. "Nein, Sie bekommen keinen zweiten Zettel. Mehr als das können Sie heute nicht einkaufen", versucht Sieglinde Sprenger-Kaya einem Kunden zu erklären. Der zeigt trotzdem auf die Möhren und hält drei Finger in die Luft. Ein anderer will Pfirsiche, legt die Hände aufeinander. "Ah, Plattpfirsiche."


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Die 63-jährige Produktionshelferin in Altersteilzeit hat Schweißperlen auf der Stirn. Abends ist sie erledigt. "Richtig stressig ist es, wenn wir keine Ware kriegen", sagt sie und hofft auf Nachschub mittags. "Wir können halt nur das verteilen, was wir haben." Zwei, drei Mal die Woche ist sie ehrenamtlich im Einsatz, "damit ich nicht vereinsame". Helfen gehört für sie immer schon dazu.

Auch die Kommunikation mit Händen und Füßen ist sie gewohnt. Schließlich hat der Großteil der Menschen hier Migrationshintergrund. Unter den Tafelausweisen der ersten 20 Kunden an diesem Tag findet sich kein einziger deutscher Name. "Das deutsche Mütterchen isst lieber nichts, als dass es zu uns kommt", hatte Marktleiter Andreas Carl eingangs gesagt. Ältere Menschen zögen sich zurück und schränkten sich ein, vermutet auch Marco Schönberger.

Druck gibt es in der Back-Ecke

In der Back-Ecke verströmt Jana Ilic aus Serbien Autorität (Name von der Redaktion geändert), auch als eine Kundin auf ihre Uhr klopft. "Bitte, nicht anfassen!", scheucht die 75-Jährige sie zurück, als sie sich die Rosinenschnecken selbst greifen will. Tortenstücke für 50 Cent, Kuchen für 40 Cent, manche Leute findet sie undankbar. "Hier ist alles billig, aber zufrieden sind sie nicht."

Sie sei direkt, sagt die Ehrenamtliche. Und: "Der Sozialismus war gut! Besser für Arme." Lindmyla Nikitienko, Bankmanagerin aus der Ukraine, versteht sie nicht, aber sie wartet geduldig bis sie an der Reihe ist. "Der Laden hilft mir und meinem Sohn zu überleben", sagt sie auf Englisch. "Darüber sind wir sehr froh."


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Mancher Ehrenamtliche hat mit Sozialstunden angefangen und macht als Ehrenamtlicher weiter

Yusuf schaut Jana Ilic zu, wie sie gestikuliert. Seinen Nachnamen will er nicht verraten. Er kommt direkt von der Frühschicht bei Mercedes in Sindelfingen. Einst kam der 24-Jährige über Sozialstunden zur Tafel und ist als Ehrenamtlicher hängengeblieben. "Mein Chef hat mir so vertraut, dass ich die Kasse machen durfte. Das war ein krass gutes Gefühl." Warum er so viel arbeitet, dass ihm nur vier Stunden Schlaf bleiben? "Weil der Chef einer der besten Menschen ist, die es gibt. Und damit die Leute etwas zu essen haben."

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