Wie sich ein Ilsfelder nach schwerem Schlaganfall zurück ins Leben kämpft
Früher Manager, heute Frührentner: Ein Schlaganfall hat 2016 das Leben des Schozachers Jörg Zuber auf den Kopf gestellt. "Ich hab" immer gesagt, ich komm" zurück ins Leben"

Es war sein persönlicher schwarzer Freitag: der 20. Mai 2016. Auf dem Weg zu einer längeren Radtour erlitt Jörg Zuber einen schweren Schlaganfall. Von einer Sekunde auf die andere war nichts mehr so, wie es einmal war für den damals 49-Jährigen. Der erfolgreiche Geschäftsführer aus Ilsfeld-Schozach ist heute Frührentner. Aber aufzugeben, das kam für ihn nie in Frage. Stattdessen will er anderen Betroffenen Mut machen. Zum Beispiel mit diesem Interview im Vorfeld des "bundesweiten Tags gegen den Schlaganfall" am 10. Mai. Demnächst begibt er sich trotz aller Einschränkungen für vier Tage auf den Jakobsweg - zusammen mit seiner Labradorhündin Ginny.
Herr Zuber, wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten: Welchen Tag würden Sie wählen?
Jörg Zuber: Wenn es wirklich gehen würde, natürlich die Zeit vor dem Schlaganfall. Aber darüber habe ich noch nie nachgedacht. Man muss sein Schicksal annehmen und das Beste draus machen.
Wie geht es Ihnen heute?
Zuber: Den Verhältnissen entsprechend gut. Im Kopf bin ich nicht mehr der, der ich mal war. Das Langzeitgedächtnis ist da, aber wenn meine Frau mir nachher sagt, ich soll einkaufen gehen, ist es ein Glück, wenn ich dran denke. Und dann ist die Frage, ob ich meinen Geldbeutel dabeihabe. Außerdem hinke ich, was im Laufe des Tages immer schlimmer wird. Ich brauche meine Pausen.
Höher, schneller, weiter: Das war ihr Motto als Manager. Hat Ihnen diese Einstellung auch für die Zeit nach dem Schlaganfall etwas gebracht?
Zuber: Dass ich ein ehrgeiziger Typ bin, hat mir schon geholfen. Ich hab' immer gesagt, 'ich krieg' das hin, ich komm' zurück ins Leben'.
Beschreiben Sie doch einmal Ihre persönliche Situation vor dem Schlaganfall.
Zuber: Ich war in einer Freistellungsphase und privat in Trennung. Es kam einiges zusammen. Erste Anzeichen habe ich ausgeblendet, selbst am Tag des Schlaganfalls. Da hatte ich schon morgens Probleme mit dem Sehen, einen Druck im Kopf.
Mit einem Freund, dessen Kindern sowie zwei von Ihren Kindern sind Sie mit dem Zug nach Hannover gefahren, wollten von dort aus nach Hamburg radeln. Doch auf dem Bahnsteig sind Sie zusammengebrochen.
Zuber: Mir ging es schon während der Fahrt nicht gut. Als ich ausstieg, taumelte ich und brach zusammen. Zum Glück wurde schnell reagiert und ein Krankenwagen gerufen. Kurzfristig ging es mir wieder besser. Doch mein Freund bestand darauf, dass sie mich mitnehmen. Zum Glück, denn im Krankenwagen habe ich den zweiten Schlaganfall bekommen.
Was ist das Erste, an das Sie sich wieder erinnern können?
Zuber: Ich bin im Krankenhaus aufgewacht und habe mich mit meinem Freund unterhalten. Dabei habe ich überhaupt nicht gemerkt, dass ich gar nicht sprechen kann. Es war nur Kauderwelsch, was da rauskam. Mir war nicht bewusst, wie schlecht es um mich bestellt ist.
Wann ist Ihnen klargeworden, dass der Schlaganfall Ihr Leben auf den Kopf gestellt hat?
Zuber: Ich hab gedacht, ich gehe heim, dann wird es wieder. Ich gehe in Kur, und in einem halben Jahr bin ich wieder als Geschäftsführer aktiv. Und ich sage es auch niemandem, dass ich einen Schlaganfall hatte. Bis ich gemerkt habe, diese Strategie geht nicht auf. Ich war in sechs Rehas, und dort haben sie mir gesagt, dass es nie mehr so wird wie früher. Wir haben die Hoffnung nie aufgegeben. Meine Frau war eine Kämpferin und hat viel mit mir geübt. So sind weitere Fähigkeiten zurückgekommen. Ich bin dankbar, dass sie immer an mich geglaubt hat. Vor zwei Jahren wäre ein Interview gar nicht denkbar gewesen.
Inzwischen gehen Sie offen mit Ihrem Schlaganfall um. Was war der Auslöser?
Zuber: Ich mache immer noch gerne drei- bis viertägige Radtouren. Einmal bin ich genau in die entgegengesetzte Richtung gefahren, den Rhein runter statt hoch. Aber ich habe es nicht gemerkt, obwohl die Ortschaften nicht auf meiner Karte standen. Ich hab' mir ein Zimmer genommen und bin dann los in die Stadt zum Abendessen. Anschließend habe ich meine Unterkunft nicht mehr gefunden. Nach einer Stunde Suchen habe ich jemanden angesprochen: "Entschuldigung, ich hatte einen Schlaganfall, ich finde mein Hotel nicht mehr." Aus solchen Beispielen habe ich gelernt, dass ich den Schlaganfall erwähnen muss. Wenn ich nur sage: "Ich finde mein Hotel nicht mehr", denken die Leute, ich hätte getrunken. Wir haben es daheim "geübt", aktiv darüber zu sprechen.
Nicht nur Ihr Leben hat sich geändert. Auch das Ihrer Ehefrau Tanja Eggers, die - damals Prokuristin im selben Konzern - heute als Business Coach unter anderem Achtsamkeitsseminare für Führungskräfte gibt. In ihrem Buch "Perspektive Patchwork" berichten Sie beide von Ihrem Schicksal, ebenso wie in Seminaren, die sie am Bildungscampus Heilbronn hält. Warum?
Zuber: Ich teile meine Erfahrungen, um zu sensibilisieren. Es ist wichtig, achtsam mit sich selbst zu sein, stärker in sich reinzuhören. Was ich erzähle, berührt auch junge Menschen.
Wie gehen Ihre Kinder mit der Krankheit um?
Zuber: Sie nehmen Rücksicht, stellen mir nur Fragen, von denen sie wissen, dass ich sie auch beantworten kann. Der Schlaganfall hat natürlich auch ihren Blick aufs Leben beeinflusst. Sie sind zwar ehrgeizig, achten aber schon jetzt auf ihre Work-Life-Balance.
Haben Sie Tiefs?
Zuber: Eigentlich nicht. Ich nehme es, wie es kommt. Am Anfang habe ich manchmal gesagt: Früher war ich überall vorne, jetzt bin ich überall hinten. Als Manager vorne dran, ein vielseitiger Musiker und aktiver Sportler. Gemeinsam mit meiner Frau habe ich reflektiert: Ich bin nur an einer anderen Position, von der aus ich ganz viel bewirken kann. Es ist anders, anders gut.
Für Ihre Genesung spielt ihr Labrador Ginny eine wichtige Rolle.
Zuber: Vor vier Jahren haben wir bewusst einen Welpen in die Patchwork-Familie geholt. Mit einem Hund kommt man in Kontakt: "Wie heißt sie, wie alt ist sie?" Da musste ich mir ein paar Dinge merken, um in Dialog zu gehen. Das ist mir anfangs sehr schwer gefallen. Jetzt plane ich mit Ginny eine Besuchshundeausbildung für Kindergärten, Schulen und Pflegeheime. Die Wesensprüfung hat Ginny schon bestanden.
Mit ihr wollen Sie auch auf den Jakobsweg.
Zuber: (lacht) Manchmal muss meine Frau mich bremsen. Ich wollte gleich nach Spanien. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich mit einer viertägigen Etappe in Bayern beginne. Jetzt übe ich, damit sie sieht, wie ich 20 Kilometer am Stück durchhalte. Handytracking ist eingestellt.
Wenn Sie an die letzten sieben Jahre zurückdenken: Was war das Schwerste?
Zuber: Das Nicht-Sprechen-Können. Ich war ein Rhetoriker, ein Bühnenmensch, beruflich wie privat. Nun halte ich mich in Gesprächen eher zurück.
Was würden Sie jemandem raten, der einen Schlaganfall hatte?
Zuber: So ein Gespräch hatte ich erst. Ich habe gesagt, dass vieles wieder möglich ist, trotz Schlaganfall. Ich habe Golf angefangen, gehe laufen, fahre viel Fahrrad. Es ist anders möglich, und es ist wichtig, dass man sich traut und gegebenenfalls Hilfe annimmt. Diesen Mut will ich anderen machen: Gebt nicht auf, glaubt an euch.
Zur Person
Jörg Zuber (56) ist in Deizisau geboren und lebt seit 20 Jahren in Ilsfeld-Schozach. Nach der Ausbildung zum Metzgermeister und Fleischtechniker war er Geschäftsführer der Fleischsparte bei Kaufland. Zuber ist verheiratet mit Tanja Eggers. Aus erster Ehe hat er vier Kinder im Alter zwischen zwölf und 26 Jahren. Jörg Zuber spielt Bariton im Musikverein Auenstein. Wichtig ist ihm und seiner Frau der Hinweis auf die Schlaganfall-App FAST (Face, Arms, Speech, Time) der Deutschen Schlaganfall-Hilfe. Mit ihr können Laien einen Schlaganfall-Verdacht schnell überprüfen und den Notruf 112 auslösen.




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