Sind Zuckerersatzstoffe wirklich besser?
Experten fordern mehr Langzeitstudien zu gesundheitlichen Auswirkungen von Erythrit und Co. Gerade hochverarbeitete Lebensmittel können Gesundheitsrisiken beinhalten.

Wer zu viel Zucker zu sich nimmt, zum Beispiel über Süßgetränke oder stark zuckerhaltige Lebensmittel, erhöht nicht nur sein Risiko für Übergewicht, sondern auch für Erkrankungen wie Karies, Adipositas oder Typ-2-Diabetes. Deshalb sucht die Industrie seit vielen Jahren nach Zuckeralternativen, die angenehm schmecken, aber möglichst wenige Kalorien haben. Der gut verträgliche und häufig genutzte Austauschstoff Erythrit (auch Erythritol oder E 968) ist nun jedoch in den Verdacht geraten, mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer gesteigerten Blutgerinnung in Verbindung zu stehen.
Forscher der Berliner Charité sind dem nachgegangen. Das Science Media Center hat Experten um deren Einschätzung zu der Forschung gebeten. Ein Überblick.
Was ist Erythrit und wo wird es verwendet?
"Erythrit gehört zu den Zuckeralkoholen", sagt Harald Schulze, Biomediziner an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Es werde in sehr geringen Mengen vom Körper selbst gebildet. In der Natur komme es in Obst und Pilzen vor und werde industriell durch einen Fermentierungsprozess gebildet. Erythrit lässt sich in größeren Mengen ohne Verdauungsbeschwerden verzehren, was bei anderen Austauschstoffen wie Xylit oder Sorbit meist nicht gelingt, erklärt Stefan Kabisch vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung an der Berliner Charité. Es eigne sich damit gut als Zuckerersatz in hochverarbeiteten Lebensmitteln und Getränken. Hinzu kommt: "Erythrit wird fast vollständig über die Nieren ausgeschieden, so dass die Substanz fast kalorienfrei ist", sagt Hans Hauner, Ernährungsmediziner an der TU München. Erythrit ist einer von derzeit acht in der EU zugelassenen Zuckeraustauschstoffen, er darf bestimmten industriell gefertigten Lebensmitteln ohne Mengenbegrenzung zugesetzt werden.
Sind Zuckerersatzstoffe "gesünder" als Industriezucker?
Dazu sei noch zu wenig bekannt, sagt Hans Hauner. "Bei der Verwendung von Zuckerersatzstoffen, welcher Art auch immer, haben wir zwar viele und teilweise widersprüchliche Kurzzeitbefunde, wissen aber sehr wenig über mögliche Langzeitfolgen, nicht nur mit Blick auf Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Krankheiten, sondern auch auf das Krebsrisiko." Es gelte derzeit, "dass ein moderater Verzehr nicht ‚toxisch" ist". Gerade neue Studien machten jedoch immer deutlicher, dass hochverarbeitete Lebensmittel diverse Gesundheitsrisiken beinhalten können.
Wie sind die Ergebnisse der Forscher zum Erythrit einzuordnen?
Dazu sagt Hauner: Es liege nun ein umfangreicher und eindrucksvoller Datensatz vor, "der aus klinischer Perspektive brisant und ernst zu nehmen ist. Es sind aber viele Fragen offen und sollten zügig geklärt werden, bevor weitreichende Schlussfolgerungen gezogen werden können". Dieser Einordnung schließen sich andere Forschende an: "Die vorliegende Arbeit beinhaltet wichtige Ansatzpunkte und zeigt einmal mehr, dass es dringend prospektive, kontrollierte Studien benötigt, welche die Auswirkungen einzelner Süßsubstanzen über einen längeren Zeitraum untersuchen", sagt Bettina Wölnerhanssen, Leiterin der Forschungsabteilung am Claraspital in Basel. "Dass Zucker eine direkt gefäßschädigende Wirkung hat, ähnlich wie bei Tabakkonsum, ist bekannt." Bezüglich Zuckeralternativen gebe es aber noch einige offene Fragen.
Wozu raten die Experten in Sachen Zuckerkonsum?
Die Antwort sei relativ trivial, sagt Hauner: "Ein mäßiger Konsum von Zucker (Saccharose) von weniger als fünf bis zehn Prozent der Gesamtenergiezufuhr, also 25 bis 50 Gramm Zucker täglich für einen erwachsenen Menschen, ist akzeptabel und unbedenklich." Damit lande man schnell bei der "wenig aufregenden aber wirklich gut belegten Empfehlung für eine pflanzlich betonte und wenig verarbeitete Ernährung gemäß den Zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung", so Hauner weiter. "Damit ist ein großer Gewinn an Lebensqualität und Gesundheit gesichert." Auch Bettina Wölnerhanssen rät: "Zuckerreduktion ist aus medizinischer Sicht dringend notwendig." Getränke mit Zuckeralternativen sollten ihrer Meinung nach auch nicht als Ersatz für zuckerhaltige Getränke empfohlen werden, "Wasser sollte weiterhin die Hauptquelle der Flüssigkeitsaufnahme sein".
Welche Perspektiven könnten sich durch Ersatzstoffe in Zukunft ergeben?
Die Forschenden sind in ihrer Bewertung zurückhaltend. Konsumenten würde heute "mit einem schnell wachsenden Angebot von ‚Lebensmittelinnovationen" mit vielen Gesundheitsversprechen konfrontiert", so Hauner. Eine kritische Begleitung durch unabhängige Wissenschaft und eine verantwortungsvolle Ernährungspolitik seien deshalb "mehr denn je unverzichtbar".


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