Die Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie am SLK-Standort in Heilbronn ist als überregionales Traumazentrum der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zertifiziert und Mitglied des Traumanetzwerks aus 650 Kliniken. Schwerstverletzte können in Heilbronn dort rund um die Uhr versorgt werden.
Möglichen Kriegsfall mitdenken: Ärzte fordern Vorsorge zum Schutz der Bevölkerung
Die Kliniken sind nicht auf den Umgang mit Kriegsverletzten vorbereitet, sagen Deutschlands Unfallchirurgen. SLK-Chefarzt: „Es fehlt auch am Material.“
Europa kann sich nicht mehr auf den großen Nato-Partner USA verlassen. So steht auch die Sicherheit für den europäischen Kontinent auf dem Spiel. Russland, davon gehen Militärexperten schon lange aus, könnte seinen Angriffskrieg schon bald auf Nato-Territorium, etwa die baltischen Staaten, ausweiten.
Die Politik will die Bundeswehr für diesen militärischen Ernstfall rasch besser ausstatten. Womöglich schon in den nächsten Tagen soll dafür ein gigantisches Sondervermögen beschlossen werden, die Rede ist von 400 Milliarden Euro.
Kliniken müssten im Ernstfall womöglich 1000 Kriegsverletzte pro Tag versorgen
Doch was ist mit der zivilen Infrastruktur? Der noch amtierende SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte vor einigen Monaten angekündigt, er wolle das Gesundheitswesen „kriegstüchtig“ machen. „Das war aber nur eine Worthülse“, kritisiert Dietmar Pennig, der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU).
Sollte ein Krieg auf Nato-Gebiet in Europa drohen, bekämen es Deutschlands Krankenhäuser womöglich mit 1000 Kriegsverletzten pro Tag zu tun, etwa 250 davon Schwerstverletzte, rechnet Pennig vor. Ärzte aus den Bundeswehr-Krankenhäusern würden in einem solchen Szenario in Front-Nähe abgezogen und stünden nicht in den Kliniken zur Verfügung.
Deutsche Ärzte kennen Schuss- oder Sprengverletzungen in der Regel nicht
Lediglich 85 Schwerstverletzte, etwa nach Verkehrsunfällen, werden aktuell pro Tag in den Kliniken der Republik versorgt. Für einen möglichen Bündnisfall würden Geld, Instrumente und fachliche Expertise fehlen, sagt Pennig. Denn Schuss- oder Sprengverletzungen kommen hierzulande seit Ende des Zweiten Weltkriegs kaum vor. „Die meisten Chirurgen haben die Versorgung solcher Verletzten nicht trainiert.“ Seit Kriegsbeginn in der Ukraine vor drei Jahren seien zwar 1300 ukrainische Verletzte in den Krankenhäusern des deutschen Traumanetzwerks versorgt worden, aber die Erfahrungen seien „sehr punktuell“.
Pennig sagt: „Wir müssen die Bevölkerung im Ernstfall medizinisch versorgen. Das müssen wir vorher mal trainieren.“ Aber die Politik habe das Thema nicht zu Ende gedacht. „Wir brauchen endlich einen intensiven Dialog darüber, wie wir vorsorgen und die Bevölkerung durch ein mögliches Kriegsszenario kommt.“
SLK-Direktor Linhart: Es geht um Ausbildung und Material
In Eigenregie hat die DGOU Kurse aufgesetzt, um Fachärzte im Umgang mit Terror- und Kriegsszenarien zu schulen. 900 Ärzte seien bislang durch die zweitägigen Kursmodule geschleust worden. Bei einer Bevölkerung von 83 Millionen in Deutschland müssten aber mindestens 5000 ausgebildet und regelmäßig weiterqualifiziert werden, schätzt Pennig. Auch einzelne Unfallchirurgen der SLK-Kliniken haben an solchen DGOU-Kursen teilgenommen, sagt Wolfgang Linhart, Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Standort in Heilbronn.
Linhart rechnet nicht mit dem schlimmsten Fall, also einem Krieg auf Nato-Gebiet. Er sagt: „Wir sind froh über jeden im Team, der in dem Bereich geschult ist. Sollte aber ein Krieg kommen, ist das ein Tropfen auf den heißen Stein.“ In einem solchen Szenario müsse „jeder Arzt alles machen“. Zudem gehe es nicht nur um die Ausbildung von Ärzten, es fehle auch an Material, wie externen Fixatoren. Das sind einfache Haltesystemen, um einen Bruch von außen zu stabilisieren. Linhart sagt, im Ernstfall würden „Unmengen“ solcher Systeme gebraucht. „Ich frage mich immer, wo die Ukraine dieses Material herbekommt.“
Auch SLK versorgt ukrainische Verletzte
Die SLK-Klinik in Heilbronn ist als überregionales Traumazentrum klassifiziert. Das heißt, dass dort alle Möglichkeiten zur Versorgung von Schwerstverletzten zur Verfügung stehen. Auch ukrainische Kriegsverletzte würden regelmäßig aufgenommen, so Linhart: „Insofern sind wir vielleicht schon etwas besser vorbereitet als manche Klinik in anderen Regionen.“ Es wäre besser, noch mehr Personal zu schulen, räumt er ein: „Aber die Kurse sind in der Regel ausgebucht und im Tagesgeschäft ist es eine Herausforderung, Personal abzustellen. Häufig wissen wir schon nicht, wie wir den Alltag bewältigen sollen.“
Kosten für Gesundheit bei Sondervermögen mitdenken
Pennigs Forderung an die künftige Regierung ist klar: Auch die Gesundheitsversorgung muss im Rahmen eines möglichen Sondervermögens für die Verteidigung berücksichtigt werden. Entsprechende Fortbildungen für Ärzte müssten bezahlt und zivile unfallchirurgische Kliniken flächendeckend als kritische Infrastruktur eingestuft werden.
Allein für fehlende Instrumente für die Kliniken im Traumanetzwerk rechnet er mit Kosten für die Erstausstattung von rund 260 Millionen Euro. Sein Appell: „Das muss von der Politik jetzt bitte mal zu Ende gedacht werden. Es geht hier schließlich um den Schutz der Bevölkerung.“