Stimme+
Experte über Krankheit
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Weinsberger Klinikleiter: Wolfgang Grupp bricht Tabu um Altersdepression

   | 
Lesezeit  2 Min
Erfolgreich kopiert!

Trigema-Gründer Wolfgang Grupp machte mit seinem Schreiben nicht nur seinen Suizidversuch, sondern auch seine Altersdepression öffentlich. Ein Experte vom Weinsberger Zentrum für Psychiatrie erklärt die Erkrankung.


Externer Inhalt

Dieser externe Inhalt wird von einem Drittanbieter bereit gestellt. Aufgrund einer möglichen Datenübermittlung wird dieser Inhalt nicht dargestellt. Mehr Informationen finden Sie hierzu in der Datenschutzerklärung.

Dr. Rainer Schaub ist seit 20 Jahren Leiter der Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie des Klinikums am Weissenhof in Weinsberg und hält Wolfgang Grupps Schritt, mit seiner Erkrankung an die Öffentlichkeit zu gehen, für wichtig: „Altersdepression ist für viele ein schambehaftetes Thema, weshalb es eine eher versteckte Erkrankung ist.

Grupp bricht mit seiner Offenheit ein Tabu, was für Betroffene die Schwelle senken kann, sich erste Hilfe bei ihrem Hausarzt, der Telefonseelsorge oder dem Pastor zu suchen.“ Dass durch die öffentliche Berichterstattung ein Nachahmungseffekt eintritt und die Suizidrate rasant ansteigen könnte, hält Schaub für unwahrscheinlich: „Dieses Phänomen komme eher bei Personen im Entwicklungsstadium vor und weniger bei älteren.“


Klinikleiter aus Weinsberg erklärt Unterschied zwischen Altersdepression und Depression  

„Die Altersdepression unterscheidet sich nicht grundsätzlich von anderen depressiven Erkrankungen, allerdings gibt es symptomatisch Unterschiede, die dazu führen, dass es deutlich länger dauert, bis sie diagnostiziert wird“, berichtet Schaub. Bei Depressionen im Alter würden sich die ersten Anzeichen oftmals körperlich zeigen. „Die Betroffenen fühlen sich kraftlos und weniger vital oder eine bestehende Schmerzsymptomatik wird unerträglich.“ Die Kardinalsymptome einer Depression wie Niedergeschlagenheit oder Verzweiflung, wie es der Allgemeinbevölkerung bekannt sei, würden hingegen viel später oder gar nicht auftauchen.

„Die Menschen gehen zum Hausarzt und schildern, dass sie sich kraftlos fühlen. Dann wird alles Mögliche untersucht, die Morbidität ist im Alter ja auch höher, und so kommt man erstmal nicht darauf, dass hinter der Kraftlosigkeit keine Muskelerkrankung, sondern eine seelische steckt.“ Hinzu komme, dass depressive Erkrankungen auch tatsächlich eine psychophysische Komponente hätten, die das vegetative Nervensystem erheblich beeinträchtigen könne, so dass schon bestehende körperliche Beschwerden zunehmen.

Experte aus Weinsberg über Behandlungsmöglichkeiten bei Altersdepressionen 

Doch ist die Altersdepression erst einmal erkannt, sei sie in der Regel psychotherapeutisch und gegebenenfalls medikamentös gut behandelbar. „Gelingt das nicht, können die Patienten stationär oder in eine Tagesklinik aufgenommen werden oder sie werden über Hausbesuche betreut, sollten sie nicht mehr mobil sein.“ Angehörige könnten die Betroffenen dadurch unterstützen, indem sie anerkennen, dass die Person erkrankt und gerade nicht so leistungsfähig sei.

Angebote für Betroffene und AngehörigeDie Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie in Weinsberg ist spezialisiert auf die Behandlung von Menschen ab dem 65. Lebensjahr mit Altersdepression, Schizophrenie, Demenz, Gedächtnisstörung sowie Angst und Verwirrtheit. Außerdem gibt es Angebote für Angehörige. Infos unter www.klinikum-weissenhof.de/alterspsychiatrie. red

„Außerdem hilft es Betroffenen, wenn man ihnen aktiv Mut zuspricht, ihnen positive Perspektiven aufzeigt und sie auch dazu motiviert, etwas zu tun. Damit hält man sie in der Gesellschaft, in der Kommunikation und in Aktivitäten.“ Es sei zudem wichtig, das Thema Suizidalität offen anzusprechen. „Vielen Betroffenen hilft es immens, wenn sie sich mitteilen können, denn sie leiden oft unter einer großen inneren Anspannung.“

Warum der Renteneintritt auch zu einem Identitätsverlust führen kann

In seinem Brief schreibt Wolfgang Grupp davon, dass er sein ganzes Leben in den Dienst von Trigema gestellt habe. Jetzt frage er sich, ob er überhaupt noch gebraucht werde. „Bei den über 65-Jährigen sind Depressionen die häufigste Erkrankung. Mit dem Eintritt in die Rente beginnt für die meisten nicht nur ein neuer Lebensabschnitt, sondern damit gehen auch Verluste einher: Ich verliere soziale Kontakte, die ich über die Arbeit hatte. Ich verliere meinen Status und meine Aufgabe im Beruf – da bricht für viele sozusagen ein großer Teil ihrer Identität weg, wie vermutlich im Fall von Wolfgang Grupp. Das ist eine schwere psychische Belastung.“

Um zu verhindern, dass man in eine Altersdepression stürzt, sei es deshalb wichtig, sich rechtzeitig und aktiv um die Gestaltung des neuen Lebensabschnitts zu kümmern: „Beispielsweise neue Interessen und Hobbies planen, neue Ziele setzen und soziale Kontakte pflegen oder ausbauen, um nicht zu vereinsamen. Viele fühlen sich auch noch fit genug, um weiterzuarbeiten oder sich eine kleine Tätigkeit oder ein Ehrenamt zu suchen. Das hilft“, rät Rainer Schaub. „Wichtig ist allerdings auch, dass man den aktuellen körperlichen Zustand berücksichtigt. Also, dass ich vielleicht nicht mehr so leistungsfähig bin wie noch vor ein paar Jahren. Das ist kein Hinderungsgrund, um aktiv zu sein. Aber man muss sich eben entsprechende Alternativen suchen, wenn eine mehrstündige Wandertour nicht mehr möglich ist.“

Hinweis der Redaktion: Entsprechend unseren journalistischen Standards berichtet wir in der Regel nicht über Suizide. Eine Ausnahme machen wir, wenn es sich um eine Person des öffentlichen Interesses handelt. Sollten Sie Probleme haben, depressiv sein oder über Suizid nachdenken, können Sie sich unter anderem an den Arbeitskreis Leben in Heilbronn wenden. Sie erreichen ihn unter 07131164251 und akl-heilbronn@ak-leben.de. Dort erhalten Sie Hilfe. Auch die Telefonseelsorge, 08001110111 hilft.

Nach oben  Nach oben