Wieso ist Baden-Württemberg eine Hochburg für Corona-Leugner?
Baden-Württemberg gilt als Hochburg der Corona-Proteste. Hier fand auch die "Querdenken"-Bewegung ihren Ursprung. Wissenschaftler der Universität Basel haben nun zusammengetragen, warum die "Querdenker" ausgerechnet in Baden-Württemberg auf so viel Zuspruch treffen.

Wieso ist gerade Baden-Württemberg eine Hochburg für Corona-Leugner? Dieser Frage ist eine Untersuchung der Universität Basel im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung nachgegangen. Darin haben die Autoren Nadine Frei und Oliver Nachtwey 1152 Menschen befragt, die an Corona-Protesten teilgenommen haben.
Die Ergebnisse zeigen, dass hinter der Bewegung mehr steckt als nur Protest gegen Corona-Maßnahmen. Es gehe weniger darum, einzelne Maßnahmen zu kritisieren, als vielmehr um Kritik generell. "In der Corona-Protestbewegung fungiert Kritik als Eigenwert", schreiben die Autoren. "Die Befragten inszenieren sich als Eingeweihte, fast sogar als Erwählte, die auch gegen Widerstand, Stigmatisierung und Repression an ihrer Expertise festhalten."
"Querdenken"-Bewegung im Südwesten speist sich vor allem aus Homöopathie-Anhängern und Impfgegnern
Dabei berufen sich die Protestler auf ein angeblich höheres Wissen oder darauf, die angeblichen geheimen Beweggründe staatlichen Handelns zu kennen. "Eigenes Recherchieren, kritisches Hinterfragen und Aufspüren von Quellen sind zentrale Motive der Querdenken-Proteste." Dabei werde die eigene Kritik durch Studien und Wissenschaftler legitimiert, die nicht dem Mainstream entsprechen und "autodidaktisch angeeignete Expertise" stark überhöht.
Die Autoren gehen davon aus, dass sich die "Querdenken"-Bewegung in Baden-Württemberg hauptsächlich aus den Milieus von Impfgegnern, Homöopathie-Anhängern und Esoterikern speist. "Ganzheitlichkeit, Individualität, Selbstbestimmung und Naturverbundenheit" seien Überschneidungen. Außerdem bestehe die Bewegung vor allem aus Menschen der Mittelschicht, Älteren und Akademikern.
Weil die Grünen regieren wollen, müssen sich staatskritische Teil der Partei umorientieren
Auffallend in Baden-Württemberg sei, dass die Bewegung "eher von links kommt, sich aber nach rechts bewegt". So hätten einige der Befragten bei der Bundestagswahl 2017 die Grünen gewählt. Damit sei "Querdenken" im Südwesten auch Teil eines Entfremdungsprozesses von den Grünen und unterscheide sich grundlegend von den Protesten in Ostdeutschland. Diese seien stark von Rechtsextremen geprägt.
Die Distanzierung der Grünen von der Homöopathie habe den Prozess befeuert. "Viele Menschen, die eine starke affektive Bindung an diese Traditionen haben, fühlen sich bei den Grünen nun nicht mehr zu Hause." Auch durch ihren Anspruch, mitzuregieren, habe die Partei staatskritische Teile ihrer Basis vergrault, die sich umorientieren mussten. "Viele gehen in die Wahlenthaltung, experimentieren mit neuen politischen Formationen wie der Partei dieBasis oder wählen die AfD."
Akteure aus dem Südwesten haben "Querdenken"-Bewegung deutschlandweit bekannt gemacht
Generell zeige sich, dass die Bewegung "durch eine tiefe Entfremdung von Kerninstitutionen der liberalen Demokratie gekennzeichnet ist", schreiben die Autoren. Parteien, Wissenschaft und Medien werde misstraut.
Die Gefahr durch das Virus sei von Anfang an geleugnet worden, "womit die staatlichen Maßnahmen als übertrieben und nicht verhältnismäßig deklariert wurden". Erst die Gründung von "Querdenken 711" in Stuttgart im Frühjahr 2020 habe die Demonstrationen jedoch deutschlandweit vernetzt, so die Autoren.
Die Initiative habe zu einer "Professionalisierung" der Proteste geführt. Besonders Gründer Michael Ballweg habe dazu beigetragen. Auch andere Personen wie der Sinsheimer "Querdenker" und Arzt Bodo Schiffmann seien Schlüsselfiguren der Protestbewegung.
Aus der "Querdenken"-Bewegung ist die Partei "die Basis" hervorgegangen. Bei der Bundestagswahl erzielte sie in Baden-Württemberg mit 1,9 Prozent der Zweitstimmen ihr bestes Ergebnis. Die AfD erzielte mit 9,6 Prozent in Baden-Württemberg das zweitbeste Ergebnis in Westdeutschland. Das passt zu den Studienergebnissen von Nadine Frei und Oliver Nachtwey. In einer Telegram-Befragung im November 2020 gaben 61 Prozent an, bei der Bundestag eine Kleinstpartei wählen zu wollen. 27 Prozent erklärten, die AfD wählen zu wollen.