Wie das Reue-Video von Sänger Xavier Naidoo einzuordnen ist
In einem dreiminütigen Statement hat sich der Musiker aus Mannheim am Dienstagabend für Aussagen in der Vergangenheit entschuldigt und Fehler eingestanden. Anlass für seinen Sinneswandel war der Krieg in der Ukraine. Ein Versuch, das Video zu deuten.

"Ich melde mich heute bei euch, weil ich zu etwas Stellung beziehen möchte." Mit diesen Worten leitet Xavier Naidoo das knapp dreiminütige Video mit dem pathetischen Titel "#OneLove" ein, das er am Dienstagabend auf seinem Youtube-Kanal, auf Facebook und bei Instagram hochlädt.
Der Sänger und Ex-Frontmann der Band Söhne Mannheims sitzt auf einer Couch, hat die Hände übereinander gelegt, spricht ruhig, fast staatsmännisch, mit ernster Miene. "Ich habe erkannt, auf welchen Irrwegen ich mich teilweise befunden habe und dass ich in den letzten Jahren viele Fehler gemacht habe."
Ist der Krieg in der Ukraine ein Wendepunkt für Naidoo?
Hat hier einer, der in den vergangenen Jahren weniger musikalisch von sich reden machte als vielmehr mit rassistischen und judenfeindlichen Äußerungen, Kreide gefressen? Ende 2021 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Naidoo, der die Nähe zu sogenannten Reichsbürgern aktiv suchte, als Antisemit bezeichnet werden darf.
Und nun verkündet er: "Ein zentraler Punkt meines Charakters ist die Suche nach Wahrheit." Das Statement sorgt nicht nur in den sozialen Netzwerken für Gesprächsstoff, bis Mittwochnachmittag haben sich Hunderttausende das Video angeschaut. Der aktuelle Krieg als Wendepunkt? Seine Frau stamme aus der Ukraine, erzählt er. Nun hätten sie Familie und Freunde aus dem Land geholt. Die russische Invasion in der Ukraine habe ihn "bestürzt und aufgerüttelt". Naidoo spricht weiter von "Selbstreflexion", von seinen "verstörenden Äußerungen", ohne explizit zu nennen, worin er sich denn getäuscht habe, welche Äußerung worüber falsch war.
Der Sänger bleibt bei seinem Statement unkonkret
In dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten: Das gilt auch für eine Ikone der Querdenkerszene. Aber genügt eine salbungsvoll vorgetragene Entschuldigung? Was ist von diesem Video zu halten? Für ein glaubwürdiges Dementi bleibt Naidoo zu unkonkret, zu unscharf ist seine Wortwahl. Personen aus seinem Umkreis sind (derzeit) schwer zu erreichen, Naidoo-Fans halten sich bedeckt. Zweifelsfrei hat jeder die Freiheit und Chance, Fehler zuzugeben und umzudenken. Vielleicht ist Xavier Naidoos Videostatement ein Anfang. Vielleicht nutzt er seine große mediale Reichweite, um künftig gegen Desinformation und Antisemitismus vorzugehen.
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Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren einige Texte des 51-jährigen Soul- und R&B-Sängers, der als Songwriter, Komponist und Musikproduzent Erfolge feierte, als homophob, antisemitisch, rechtspopulistisch und rassistisch kritisiert. Ein tragischer Fall: vom Gründer der Söhne Mannheims und Dozent an der Popakademie Baden-Württemberg zum aggressiven Leugner der Covid-Pandemie und Anhänger der QAnon-Ideologie. Die lose Bewegung, die sich in den USA gründete, glaubt an eine geheime Elite, den sogenannten "Deep State", der im Untergrund die Welt regieren soll.
Von Attila Hildmann wird Naidoo als "Verräter" bezeichnet
Naidoos Texte kreisen nicht selten um seine Idee eines Christentums und apokalyptische Beschwörungen. Zur Erinnerung: Sein Debütalbum "Nicht von dieser Welt" verkaufte sich seit 1998 über eine Million Mal und stand wie fünf weitere Soloalben auf Platz eins der deutschen Charts. Seine verschwörungspolitischen und wissenschaftsfeindlichen Äußerungen und die Verbreitung der Reichsbürger-Ideologie, vorzugsweise beim Messengerdienst Telegram, machten ihn dann zu einem Hauptvertreter der Querdenker - wenngleich sich Naidoo gegen massive Kritik immer gewehrt hat.
Ist er, der Deutschland einmal als "besetztes Land" bezeichnet hat, nun ein geläuterter Welterklärer? Besser spät als nie. Attila Hildmann, einst Autor veganer Kochbücher und heute rechtsextremistischer Aktivist, der sich nach einem Haftbefehl 2021 in die Türkei abgesetzt hat, bezeichnete Naidoo auf seiner Homepage nach dessen Videostatement bereits als "Verräter".
Die Reaktion auf das Video in den sozialen Medien sind gespalten. Auf Twitter trendet schnell der Hashtag #XavierNaidoo. Vielen sind Naidoos Ausführungen zu vage, andere haben an der Glaubwürdigkeit von seinem Schuldeingeständnis Zweifel. Verschwörungsgläubige behaupten in verschiedenen Telegram-Gruppen sogar, dass es sich bei dem Mann im Video nicht um den „echten“ Naidoo handele, aufgrund der fehlenden Sonnenbrille vermuten manche User ein Deep-Fake-Video.
Ein geplantes Konzert in Ulm wurde abgesagt
Provinztour aus Neuenstadt hatte mit Naidoo in diesem Sommer ein Open-Air-Konzert im Klosterhof Ulm-Wiblingen geplant. Vor einem Monat wurde der Auftritt abgesagt. Als Grund gab der Veranstalter Unsicherheiten der Planbarkeit wegen der Corona-Pandemie an. Zum Reue-Video von Xavier Naidoo wollte sich Provinztour am Mittwoch auf Stimme-Nachfrage nicht äußern.
Stimme.de