Eine Generation von Kellerkindern
In den 60ern und 70ern hatten Untergrund-Clubs magische Anziehungskraft auf die Jugend in der Stadt. Unsere Volontäre haben für ihr Multimedia-Projekt "Heilbronn von unten" mit den Kellerkindern von damals gesprochen.
Das Projekt "Heilbronn von unten" ist vollständig zu sehen auf www.hnxvu.de. Es zeigt die Stadt aus neuen Perspektiven. Die Stimme-Volontäre werfen einen Blick unter die Gully-Deckel, steigen ab in die Keller und Schächte. In der Heilbronner Stimme und auf stimme.de erscheinen in einer Serie die Printtexte zu "Heilbronn von unten".
Eine Generation von Kellerkindern
In Heilbronn gab es in den 60ern und 70ern eine rege Clubszene unter der Stadt. Die Untergrund-Kneipen hießen etwa Blériot, Tube, Lord Leicester, Schacht, Club Cousteau, Crazy oder Old London. Die Heilbronner Stimme schrieb im Juli 1962, diese Keller hätten eine "magische Anziehungskraft auf junge Menschen".
Dunkles Loch
Auch Axel Lauser zog es nach seinem ersten Besuch regelmäßig in den Jazz-Keller − als Musiker mit seiner Band und als Musikfan. Das Cave war damals ein "dunkles Loch", sagt der 71-Jährige. Ein Keller mit improvisierter Theke, mit alten Sesseln und kleinen Feuern als Heizung. Aber genau an solchen Orten hätten sich damals viele Jugendliche wohlgefühlt, erinnert er sich.
"In Heilbronn war ja nicht arg viel los zu jener Zeit", sagt Eva Gögelein. Es gab kaum Kneipen in der Stadt und schon gar keine Clubs. Der Tanztee bei den Ruderschwaben war eines der wenigen Angebote für die Jugend. Also schufen sich Jugendliche selbst Rückzugsmöglichkeiten und Treffs.
In ungenutzten Kellern war dafür Platz. "Die Keller waren für uns wie die Erschaffung der eigenen Welt", sagt Lauser. Eine Möglichkeit zur "Abnabelung vom Elternhaus". Denn die noch vor dem Krieg geborene Elterngeneration hatte oft kein Verständnis für das Treiben der Jugendlichen, keinen Bezug zu neuer Musik wie Jazz oder Rock. Für viele Erwachsene waren Keller deshalb auch jugendgefährdende Lasterhöhlen. "Meine Eltern waren total contra", erzählt etwa Eva Gögelein. "Ich habe ihnen damals einfach verschwiegen, wo ich hingehe."
Für viele Jugendliche in Heilbronn war die Zeit der Kellerclubs eine Zeit des Aufbruchs. "Die Welt der Eltern war dort unten vollkommen außen vor", sagt Hanspeter Hagen. Er erzählt gerne aus der Zeit der Kellerclubs und vom "Aufbruch von unten". Mit einigen Freunden hat er 1961 in Eigeninitiative eine solche Kneipe im Untergrund gegründet, den Lord-Leicester-Club in einem Keller in der Pfühlstraße. Regelmäßig kam dort unten dieselbe Clique zusammen, um Musik zu hören und zu philosophieren. "Wir sind da nachts ein bisschen abgetaucht", sagt Hagen.
Wie der Lord-Leicester-Club waren viele Kellerkneipen halb-öffentliche oder private Treffpunkte, oft betrieben von Cliquen. Die Mitglieder feierten jede Woche in ihren Kellern. In einigen Clubs gab es auch Livemusik. Die Keller waren Szenetreffs. "Jeder hat sich da gekannt", erzählt Lothar Ischganeit. Er legte in den 70ern Platten auf im Old London in Neckargartach.
Feiern
Das Old London gehörte zu den offiziellen Kellerclubs. Sieben anerkannte Kellerkneipen gab es damals, schrieb die Heilbronner Stimme 1966. Die Polizei ging aber davon aus, dass es "noch etwa 25 andere gibt". Manche fielen wegen Streit mit den Anwohnern auf, weil die Musik zu laut war oder weil Autos alles zuparkten. Oder ein Keller fiel auf, weil nachts jemand eine Badewanne über die Straße trug. Auch in den 60ern verstanden die Jugendlichen zu feiern. Daran erinnert sich Lothar Ischganeit bis heute gerne. "Die Zeit der Keller war eine spezielle Zeit, das würde heute nicht mehr passen", sagt er. "Aber es war eine wunderschöne Zeit."
Alle Print-Beiträge der Serie "Heilbronn von unten":
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