Harte Zeiten für die Kunden der Bahn
Der Konzern kündigt eine Radikalkur an. Die wird sich drastisch auf die Verbindungen auswirken. Außerdem sorgen Diskussionen um ein neues 29-Euro-Ticket für Unruhe.
Mit dem 9-Euro-Ticket kann man was erleben: Zugausfälle, Verspätungen, Reisestress. Mitten im großen deutschen Bahn-Test kommt den Verantwortlichen die bittere Erkenntnis: Es kann so nicht weitergehen mit dem bundesweiten Schienennetz. Viele Gleise, Weichen, Brücken und Stellwerke sind überaltert, das Netz nicht bereit für Millionen zusätzliche Fahrgäste. An hunderten Stellen bauen und zugleich mehr fahren - so wie jetzt funktioniert das nicht.
Eine "Generalsanierung" der wichtigsten Strecken soll die Bahn nun fit machen. Viele Fragen dazu sind noch offen, doch die Richtung hat der Bund nun vorgegeben: "Ich erwarte, dass wir in Zukunft wieder die Uhr nach der Bahn stellen können", sagt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Das war zuletzt immer schwieriger geworden. Mehr als jeder dritte Fernzug kam im Mai zu spät - so schlecht war die Quote seit zwölf Jahren nicht mehr.
Auch Regionalzüge verspäten sich häufiger. Weil mehr als 200 Güterzüge still stehen, schimpft auch die Industrie über die Bahn. "Wir verfehlen nicht nur unsere Klimaziele, sondern haben auch Wachstumseinbußen", warnte Minister Wissing nun.
Der Plan
Von 2024 an sollen die wichtigsten Korridore generalsaniert werden, Abschnitte wie Dortmund-Duisburg-Düsseldorf-Köln oder die Knoten München und Hamburg. Jedes Jahr zwei bis drei dieser Abschnitte.
Schwellen, Schotter, Gleise, Weichen, Stellwerke, Signale, Bahnsteige - was sonst nacheinander gemacht wurde, sollen die Baufirmen dort nun gleichzeitig richten und den Abschnitt auch auf mehr Kapazität trimmen. "Die Strecke wird einmal gesperrt und ist dann für viele Jahre baufrei", so die Idee.
Für die Kunden machte Bahnchef Richard Lutz jedoch deutlich: "Einen schmerzfreien Weg der Gesundung wird es nicht geben." Denn die Vollsperrungen werden wochen- oder monatelange Umleitungen und längere Fahrzeiten bringen.
Das Ziel
Entstehen soll ein Hochleistungsnetz. Hat die Bahn früher Überholgleise und Weichen abgebaut, sollen es davon wieder mehr geben. Auch mehr Signale, damit Züge an Baustellen bei vollem Tempo auf dem Nebengleis vorbeirauschen können. Statt immer nur am kostengünstigsten soll öfter schnell und damit kundenfreundlich gebaut werden.
Der Weg
Der Bund greift beim bundeseigenen Konzern stärker durch. Eine Steuerungsgruppe im Ministerium soll die Korridorsanierung koordinieren und überwachen. Die Beamten kontrollieren auch den Umbau des Konzerns.
"Wir werden die Eigentümerinteressen stärker durchsetzen", kündigte Wissing an, "gegenüber dem Aufsichtsrat und auch gegenüber dem Vorstand". Die Sanierung des maroden Netzes sei für ihn "Chefsache". Bahnchef Lutz, der den Plan kürzlich schon skizziert hatte, sagte: "Ich fühle mich nicht an die Leine genommen."
Die Aufgabe ist groß
Seit Jahren arbeitet die Bahn an ihrem Sanierungsstau, den sie zuletzt auf rund 60 Milliarden Euro bezifferte. "Wir haben auf den hochbelasteten Korridoren noch nie so viel gebaut und hatten noch nie so viel Verkehr", erklärte Lutz. 51.000 Züge fahren täglich durch Deutschland. 2030 werden gut 59.000 erwartet. Die meisten müssen durch die zentralen Korridore.
Wie es zu der Misere bei der Bahn kam? Politische Fehlentscheidungen, meint FDP-Mann Wissing, der das lange unionsgeführte Ministerium im Herbst übernahm. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die notwendigen Milliarden für die Generalsanierung fließen. Für langfristige Bauvorhaben sei langfristige Planungssicherheit notwendig, mahnte die Bahnlobby Allianz pro Schiene. Richard Lutz sagte: "Das Thema Verfügbarkeit von Geld wird in den nächsten Jahren keine Rolle spielen."
Skepsis zu neuem Billigangebot
Dabei ist der Bahnverkehr jüngst wieder deutlich attraktiver geworden. Seit Anfang Juni gibt es das 9-Euro-Ticket als Teil des Entlastungspakets. Zum Niedrigpreis bringt es bundesweit freie Fahrt im Nah- und Regionalverkehr und wird rege genutzt. Der Haken: Die Aktion endet im September.
Jetzt fordert der Bundesverband der Verbraucherzentralen ein Anschlussangebot in Form eines 29-Euro-Monatstickets für den Bahnverkehr.
"Die Billigangebote würden Milliarden kosten", zeigt sich Stefan Buhl skeptisch. Der Landesvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn verweist auf den hohen Investitionsbedarf im Schienennetz: "Es bringt nichts, die Leute anzulocken, wenn man sie dann nicht mit hoher Qualität transportieren kann."
Freie Fahrt für 29 Euro im Monat? "Das wäre schön, ist aber so nicht finanzierbar", sagt auch Matthias Lieb, Landesvorsitzender des ökologisch orientierten Verkehrsclubs VCD. Er verweist darauf, dass die 9-Euro-Aktion den Bund 2,5 Milliarden Euro kostet. Zehn Milliarden Euro betragen die jährlichen Einnahmen aus den Ticketverkäufen. Also mehr als 800 Millionen Euro im Monat. Um das zu erreichen, müssten fast 30 Millionen solcher Abos verkauft werden - unrealistisch, findet Lieb.
Das 9-Euro-Ticket im Nahverkehr soll aber nicht über August hinaus verlängert werden, machte Volker Wissing wenig später auch deutlich. Er sagte lediglich zu, die Ergebnisse des Experiments sollten ausgewertet werden, um für vereinbarte Gespräche mit den Ländern wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen - auch zu mehr Anreizen für eine Nahverkehrsnutzung im normalen Tarifsystem.