Die Kaufkraft schrumpft und das größte Risiko bleibt ein Energie-Lieferstopp
Die Inflationsrate erreicht ein Rekordniveau von 7,9 Prozent und fühlt sich an wie 14 Prozent. Jetzt gibt es wohl etwas Entspannung, allerdings dürfte sie nur von kurzer Dauer sein.

Die Teuerung von Waren und Dienstleistungen in Deutschland hat sich im Mai noch einmal beschleunigt. Auf Jahressicht stieg die Inflationsrate auf 7,9 Prozent an, wie das Statistische Bundesamt aufgrund vorläufiger Zahlen mitteilte. Der größte Preistreiber ist weiterhin die Energie, die sich innerhalb eines Jahres um gut 38 Prozent verteuerte. Nahrungsmittel wurden um mehr als elf Prozent teurer.
Das Gefühl trügt bei der Inflation eigentlich immer
Besonders teuer wurden damit die Güter des täglichen Bedarfs, mit denen man sehr häufig konfrontiert wird. Dies führt dazu, dass die gefühlte Inflation deutlich höher liegt als die von den Statistikern gemessene. Studien von Meinungsforschungsinstituten zufolge lag diese gefühlte Inflation zuletzt bei 13 bis 14 Prozent.
Sascha Möhrle, Inflationsprognostiker beim Münchener Ifo-Institut, betont gegenüber unserer Zeitung allerdings, dass Verbraucher die Inflation auch in "normalen" Zeiten höher einschätzen, als sie tatsächlich ist. "Angesichts der weiter voranschreitenden Preisdynamik werden viele Leute auch in den kommenden Monaten die Inflation als sehr hoch wahrnehmen."
Spürbarer Kaufkraftverlust
In Baden-Württemberg stieg die Teuerungsrate um 0,4 Prozentpunkte auf 7,4 Prozent. Sie nähert sich damit den 7,7 Prozent, die hier zuletzt Ende 1981 vermeldet wurden. Inflationsraten auf diesem Niveau gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nicht. In den alten Bundesländern lagen die Werte im Winter 1973/1974 ähnlich hoch.
Mit Inflationsraten auf diesem Niveau geht ein spürbarer Kaufkraftverlust einher. Der Wert des Geldes sinkt derzeit so schnell wie lange nicht, Menschen können sich weniger leisten, wodurch auch die konjunkturelle Entwicklung beeinträchtigt wird.
Was das für die weitere wirtschaftliche Entwicklung bedeutet, ist noch kaum absehbar. Die deutsche Industrie geht aktuell noch davon aus, dass ein Wachstum von zwei Prozent in diesem Jahr möglich ist - ob es erreicht wird, steht angesichts vieler Unwägbarkeiten auf einem anderen Blatt.
Ein Lieferstopp würde die Preisdynamik befeuern
Das Ifo-Institut rechnet damit, dass die Inflation sich in der zweiten Jahreshälfte abschwächt. Eine Gefahr sieht Ifo-Experte Möhrle gleichzeitig in einer weiteren Eskalation des Ukraine-Krieges, "beispielsweise in Form eines sofortigen Lieferstopps von Energie".
Dies könne die Preisdynamik weiter verstärken. "Das bedeutet aber auch: Je schneller wir uns von Russland unabhängig machen und alternative Energiequellen finden, desto eher können wir auch wieder mit sinkenden Preisen rechnen", so Möhrle.

Entlastungspaket nur Aktionismus?
Ab Juni ist aber erst einmal Entspannung absehbar, weil das Entlastungspaket der Bundesregierung greift. Unter anderem werden die Steuern auf Treibstoffe gesenkt, im Nahverkehr gilt das 9-Euro-Ticket.
Die Maßnahmen sind allerdings nur auf drei Monate angelegt. "Ein Lehrbuchbeispiel für fiskalischen Aktionismus", wie Jens-Oliver Niklasch von der LBBW in Stuttgart befindet. "Entlastung wird es erst geben, wenn den hohen Energiepreisen Einhalt geboten wird. Danach sieht es aber vorerst nicht aus. Wir werden nun mit den aktuellen Preisniveaus leben müssen", so der Wirtschaftsexperte.
Zinserhöhung
Als Reaktion auf die hohe Inflation ist auch die erste Zinserhöhung im Euroraum seit elf Jahren angepeilt: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in Aussicht gestellt, mit zwei Zinsschritten im Juli und September die derzeit negativen Einlagenzinsen von minus 0,5 Prozent zu beenden. Mit höheren Zinsen kann steigende Inflation bekämpft werden. Die EZB strebt mittelfristig stabile Preise bei einer jährlichen Teuerungsrate von zwei Prozent an.