Tanja Logvins Familie in Kriegswirren zerstreut
Für die Neckarsulmer Bundesliga-Handballtrainerin Tanja Logvin ist der Krieg in der Ukraine hoch emotional und sehr persönlich. Ihre Eltern wollen das Land nicht verlassen, ihr Bruder darf nicht.

Immer wieder sind sie da, diese quälenden Fragen. Sie lähmen die sonst so agile Tanja Logvin, rauben der 47-Jährigen Schlaf und Appetit. Ihr Kopf erfasst die furchtbare Lage in der Ukraine noch immer nicht gänzlich, kann die Bilder des Krieges kaum als Realität akzeptieren. "Wie konnte das nur passieren?", fragt sich Logvin wie viele. "Und wie soll es weitergehen?"
Mama ist Russin, Papa Ukrainer
Für die ehemalige Weltklasse-Handballerin und Cheftrainerin der Neckarsulmer Bundesliga-Frauen haben die grausamen Geschehnisse eine persönliche Ebene. Im ukrainischen Saporischschja nahe dem Schwarzen Meer geboren und aufgewachsen, leben noch heute große Teile ihrer Familie über das Land verteilt. Eine funktionierende russisch-ukrainische Beziehung ist bei Tanja Logvins Eltern Normalität: "Meine Mama ist Russin und mein Papa Ukrainer. Ich habe auch Verwandte in Russland. Und jetzt ist da plötzlich so viel Hass zwischen zwei Nationen, die eigentlich zusammengehören."
Logvin hofft inständig auf eine Wirkung der EU-Sanktionen gegen Russland: "Ich würde alles geben, damit das endet. Krieg darf im 21. Jahrhundert keine Lösung mehr sein. Das bringt nur Blut, Leid und Verlierer", sagt die Frau, die durch den Sport in verschiedenen Teilen Europas gelebt und Ende der 90er die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hat.
Bruder berichtet von Waffenausgabe
Der Handball ist es auch, der Tanja Logvin aktuell zumindest etwas Ablenkung und positive Energie gibt. "Das Spiel in Leverkusen hat mir gut getan", sagt sie zum Auftritt der Sport-Union am Sonntag.
Ehe sich die banale Frage nach Sieg oder Niederlage stellte, waren es wenige Stunden vor dem Anwurf noch ganz andere Dinge, mit denen sich die Trainerin befasste: "Mein Bruder hat mich angerufen und gefragt, Tanja, jetzt verteilen sie auch bei uns Waffen - soll ich sie nehmen oder nicht?" Die große Schwester rät ab: "Wenn du eine Waffe hast, musst du auch schießen."
Neffen aufgenommen
Der 43-Jährige, mit dem Tanja Logvin ein enges Verhältnis verbindet, wollte vor den Schüssen fliehen, doch er darf sein Heimatland nicht verlassen. Die beiden Söhne fliehen nun alleine Richtung Deutschland. Zehn Stunden im Bus bis zur polnischen Grenze, wo gestern Tanja Logvins Mann auf den 13- und Siebenjährigen gewartet hat und sie mit Tränen in den Augen empfängt. "Es ist die Hölle für die Kinder und die Zustände dort sind schrecklich. Es ist kalt und kaum jemand hat Decken", sind ihre beklemmenden Eindrücke. Kein Kind mehr, aber doch noch noch erschreckend jung ist Logvins 24-jähriger Neffe, der in Kiew beim Militär für die Verteidigung seines Vaterlandes kämpft. Die Familie schickt bittere Bilder und ernüchternde Eindrücke via Smartphone: "Ich habe ein Video gesehen und nur noch geweint."
Was Tanja Logvin zum Teil in den sozialen Medien sehen muss, bringt sie ebenfalls zur Verzweiflung: "Es gibt so viele Fake News - sogar über Bombenangriffe bei Tiktok. Am liebsten würde ich mir gar nichts mehr angucken."
Geheul der Warnsirenen
Doch Wegschauen ist bei Tanja Logvins furchtbarer Familienangelegenheit keine Option. Ständig ruft sie nach Gefahrenmeldungen bei den Eltern an. Noch sei bei ihnen alles ruhig, berichten sie - abgesehen von vereinzeltem Geheul der Warnsirenen. Tanja Logvins Eltern wollen in ihrer abgeschotteten Heimatstadt bleiben, glauben, dass bald alles vorbei sein wird. Der Tochter bleiben quälende Fragen.