Gewagtes Projekt der Sport-Union Neckarsulm liegt in Trümmern
Der Handball-Bundesligist hätte schon im Dezember die Notbremse ziehen müssen und hat sich inzwischen in eine mehr als missliche Lage manövriert.

Wenn der bedeutendste Spielerberater im europäischen Frauen-Handball gemeinsam mit einer früheren Weltklassespielerin gemeinsam die sportlichen Geschicke in Neckarsulm lenkt, dann brechen für die Sport-Union goldene Zeiten an. Schließlich wurde mit Luisa Schulze eine Nationalspielerin vom deutschen Meister losgeeist, mit Olga Gorshenina eine Spielmacherin von einem rumänischen Topclub geholt, europaweit Top-Talente verpflichtet - mit Gerhard Husers und Tanja Logvin schienen in Neckarsulm endlich echte Profis am Werk, die den Verein in die nationale Spitze und auf die europäische Ebene führen würden.
"Tanja-Logvin-Handballschule" bleibt eine Idee
Mit langfristigen Verträgen ausgestattet, konnte das Duo seit Frühjahr frei schalten und walten. Als Messlatte galt der Alles-Gewinner SG BBM Bietigheim. Der SUN-Vereinsvorsitzende Rolf Härdtner stellte dem Paar einen Persilschein für sportliche Schieflagen aus: "Bevor ich einen der beiden austausche, tausche ich lieber die ganze Mannschaft."
Schon im Herbst sollte eine Tanja-Logvin-Handballschule für vielversprechenden europäischen Nachwuchs geschaffen werden. Allein der Name genüge, um jedwedes europäische Talent nach Neckarsulm zu bekommen, erklärte Husers. Die Neckarsulmer Handballwelt strahlte rosarot.
Wie geht es zu Wochenbeginn weiter?
Sieben Monate später ist aus rosarot pechschwarz geworden, aus Hybris Hyperventilation. "Es hat sich herausgestellt, dass das nicht die richtigen Spielerinnen sind, die wir geholt haben", sagte Husers bereits im Dezember. Härdtner erklärte: "Ich kann ja nicht die Mannschaft austauschen. Ich würde es gerne, aber ich kann es nicht."
Das waren bereits vor vier Wochen Bankrotterklärungen. Geschehen ist seitdem: nichts. Ein Sieg in einem Not-gegen-Elend-Spiel gegen Bensheim stärkte den Glauben an eine mögliche Trendwende. Nach weiteren vier Niederlagen hintereinander sollte der jetzt endgültig dahin sein - sofern noch ein wenig Rest-Realitätssinn vorhanden ist. Angesichts des Tohuwabohu dieser Saison ist das aber längst nicht sicher.
Gerüchte über mannschaftsinterne Abstimmung
Die anvisierte Führungsspielerin Schulze wurde zunächst von ihrem Kapitänsamt entbunden und ist inzwischen nach Metz geflüchtet. "Es sind Umstände eingetreten, die für mich nicht mehr reparabel waren", ließ die Kreisläuferin im Nachgang wissen. Die zweite große Hoffnungsträgerin Gorshenina war verletzungsbedingt bisher kaum einsatzfähig.
Vom übrigen Team sollen sich bereits Ende Oktober nur noch drei Spielerinnen für die Trainerin ausgesprochen haben. Handball-Vorstand Bernd Dollmann bestätigte gegenüber der Stimme, davon gehört zu haben, er kenne aber keine Details. Die Kritikpunkte waren da bereits fehlende Trainingskonzepte und der rüde Umgangston. Der war auch in einigen Fällen ausschlaggebend für den Umbruch im Sommer mit insgesamt neun Abgängen.
Das Korrektiv fehlt im Verein
Die Versäumnisse der Vorbereitung brachte Carmen Moser nach dem Spiel in Leverkusen eher unabsichtlich zur Sprache. Die Rückraumspielerin bemängelte bei "sportdeutschland.tv" das fehlende Spielverständnis untereinander, obwohl ja "schon Januar" sei. Nach kurzem Überlegen biss sie sich dann auf die Zunge. Für Kritik aus dem Mannschaftskreis gibt es in Neckarsulm keinen Adressaten. Sportliche Führung und Vereinsvorstand bilden eine Einheit, ein Korrektiv gibt es nicht.
Ein früheres Vorstandsmitglied sagte kürzlich: "Das Problem ist, dass sich Rolf Härdtner immer in seine Trainer verliebt." Soll heißen: Der Sport-Unions-Patron vertraut blauäugig auf seine sportliche Führung. Das war schon beim langjährigen Erfolgstrainer Emir Hadzimuhamedovic ähnlich und endete um ein Haar mit dem Abstieg. Gegenüber der Heilbronner Stimme betonte der 79-Jährige zuletzt gebetsmühlenartig die aufopferungsvolle Arbeit seiner aktuellen sportlichen Leitung und seine Hoffnung auf eine "normale" Rückrunde.
Langjährige Vereinsverantwortliche fühlten sich brüskiert
Nicht wenige im Umfeld haben dem Verein nach persönlichen Auseinandersetzungen mit dem sportlichen Führungsduo den Rücken gekehrt. Der Fanclub "Blaue Wand" hat sich in Logvin-Gegner und -Befürworter gespalten, aktuell aber Burgfrieden geschlossen. Ein Treffen des Vorstands mit rund 50 Fans am vergangenen Dienstag blieb ergebnislos.
Kaltgestellt wurde beispielsweise die langjährige Teammanagerin Jutta Perger. Die "Mutter der Kompanie" wurde von der Mannschaft entfernt, durfte nicht mehr mit auf Auswärtsfahrt. "Es schmerzt sehr", sagte sie bereits vor einigen Wochen. Konflikte gab es zudem um die anberaumten Deutschkurse für das aus neun Nationen stammende Team. Die Lehrerin fühlte sich von der Trainerin brüskiert.
Bekommt Co-Trainer Aalderink eine Chance?
Das Tischtuch zwischen Cheftrainerin und Co-Trainer Mart Aalderink soll seit Monaten zerschnitten sein. Die Nicht-Kommunikation der beiden während der Spiele deutet deutlich darauf hin. Als Nachfolger oder Interimslösung dürfte der Niederländer kaum eine Chance bekommen. Der positive Eindruck beim kürzlich veranstalteten Handball-Camp dürfte nicht ausreichen.
Schlechtes Zeichen für den Handball in der Region
Als wäre die sportliche Talfahrt in der Außenwirkung nicht schon verheerend genug, setzte die Sport-Union noch ein schlechtes Zeichen für den Handball in der Region. Das Rückraum-Duo Laila Ihlefeldt und Svenja Mann wurde mit einem Zweitspielrecht für Ketsch ausgestattet. Die Kurpfalzbären sind direkter Konkurrent der SG Schozach-Bottwartal im Abstiegskampf der 2. Bundesliga. Das Team aus Beilstein hatte ebenfalls Interesse bekundet, war aber abgeblitzt. Offenbar eine Retourkutsche, weil SGSB-Toptalent Lara Däuble der Offerte der Neckarsulmer eine Absage erteilte. Ein Probetraining genügte der 16-Jährigen, um zu dieser Entscheidung zu gelangen.