DTM am Hockenheimring: Auferstanden aus Ruinen
Sheldon van der Linde gewinnt am Hockenheimring an einem ebenso spannenden wie turbulenten Wochenende den DTM-Titel. Die Rennserie hat zuletzt schwierige Jahre erlebt, sich aber auch dank einer ehemaligen Formel-1-Größe wieder etwas erholt. Zukunftsfragen bleiben dennoch.

Das letzte Rennwochenende des Jahres hatte es auf dem Hockenheimring noch einmal in sich. Die DTM gab sich zum Saisonabschluss in seinem Wohnzimmer die Ehre und hielt, was die Ausgangsposition im Vorfeld versprochen hatte: Am Ende eines turbulenten Rennwochenendes, vor dem rechnerisch noch zehn Fahrer den Titel hätten gewinnen können, krönte sich BMW-Pilot Sheldon van der Linde aus Südafrika zum neuen DTM-Champion.
„Es ist unglaublich, mir fehlen die Worte. Es ist extrem emotional“, sagte van der Linde und schüttelte immer wieder den Kopf: „Ich habe bis zum Schluss gebetet, dass nichts passiert und das Auto hält. Die letzte Runde hat sich wie eine Ewigkeit angefühlt.“
Das Wochenende in Hockenheim – nirgendwo sonst gastierte die DTM seit ihrer Premiere 1984 (damals noch als Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft) öfter – gab allerdings auch Anlass dazu, Bilanz zu ziehen. Eine Saison zu resümieren, die sportlich zwar spannend wie selten war, altbekannte Probleme der Serie allerdings erneut nicht kaschieren konnte.
„Produkt DTM“ hat alle Zutaten, um erfolgreich zu sein
Dabei hat die Serie nach schweren Jahren inzwischen wieder Rückenwind. Grund dafür ist allen voran Ex-Formel-1-Fahrer Gerhard Berger, der seit 2017 Chef der DTM ist. Er hat dem Masters nach dürren Jahren durch grundlegende Reformen wieder Leben eingehaucht: 31 Autos von sechs Herstellern gingen 2022 an den Start, elf Fahrer von fünf verschiedenen Herstellern gewannen dabei mindestens ein Rennen. Und das, obwohl gerade im individuell geprägten GT-Sport Ausgeglichenheit mitunter ein schwieriges Unterfangen ist.
Dass die Serie überhaupt noch am Leben ist, war der Entscheidung zu verdanken, im Vorjahr auf das aus anderen Rennserien bekannte GT3-Reglement umzusteigen. Denn die vorherigen Klasse-1-Fahrzeuge waren zwar Geschosse und kamen bei weniger als einer Tonne Gewicht auf über 600 PS. Die hochgezüchteten Prototypen waren in Entwicklung und Unterhalt allerdings so teuer, dass viele Hersteller ausstiegen und die Serie für viele Teams und Marken unattraktiv wurde. Negativer Höhepunkt: 2020 teilten sich mit BMW und Audi noch zwei Hersteller das Fahrerfeld unter sich auf. Das alles gehört inzwischen jedoch der Vergangenheit an. Das „Produkt DTM“ ist wieder sportlich spannend, hat Tradition und einen hohen Bekanntheitsgrad.
Zuschauerinteresse in Hockenheim noch ausbaufähig
„Wir haben ein gutes Format geschaffen“, sagte Berger, der am Hockenheimring wegen einer Corona-Erkrankung fehlte, im Vorfeld des Rennens der „Bild“-Zeitung. Doch auch er 63-Jährige räumte ein: „Wir spüren die Auswirkungen des Ukraine-Krieges, der Energiekrise, der Inflation. In dem Sinne, dass die Leute ihr Geld zusammenhalten. Es herrscht auch bei den Sponsoren eine Unsicherheit, eine Zurückhaltung bei Investitions-Entscheidungen.“

Daher dürfte es Berger kaum überrascht haben, dass auch beim Saisonfinale der Blick auf die Tribünen sehr viele leere weiße Sitzschalen offenbarte. Am Samstag war von rund 30.000 Zuschauern die Rede, was die Veranstalter der DTM-Dachorganisation ITR – die grundsätzlich keine aktuellen Zuschauerzahlen veröffentlicht – jedoch weder bestätigen noch dementieren wollten. Darüber hinaus war das Gros der Tribünen abseits des Motodroms erst gar nicht geöffnet worden. Das Interesse an den Übertragungen von TV-Partner ProSieben blieb im Saisonverlauf ebenfalls mittelmäßig – und das, obwohl mit René Rast ein deutscher Fahrer und dreimaliger Gesamtsieger realistische Titelchancen hatte.
DTM plant ab 2024 eine neue elektrische Schwester-Serie
Warum sich die DTM in der öffentlichen Wahrnehmung so schwertut, ist eine Melange aus diversen Faktoren. Der mediale Fokus ist – parallel zum Zuschauerinteresse – überschaubar. Zwar hat ProSieben vor der Saison die TV-Übertragungsrechte von Schwestersender Sat.1 übernommen, doch die Berichterstattung ist weit weg von jenem Hype, den RTL beispielsweise in den roten Schumacher-Jahren rund um die Formel 1 veranstaltete. Erfolgreiche deutsche Fahrer und Marken hat das Feld zwar genug und auch das Reglement ist für Gelegenheitszuschauer und Neueinsteiger schnell verständlich, doch die Zeiten sind für den Rennsport im Allgemeinen inzwischen andere – schwerere.
Auch deshalb ist man bei der DTM darum bemüht, neue Wege einzuschlagen sowie neue Fans anzusprechen und diese möglichst auch abzuholen. Neben der Nachwuchsklasse „DTM Trophy“ und der „DTM Classic“, einem Cup, in dem Stars vergangener Tage wie Roland Asch und Hans-Joachim Stuck in historischen DTM-Fahrzeugen unterwegs sind, planen DTM-Boss Berger und Serienmanager Martin Tomczyk für 2024 die neue „DTM Electric“ als eigene Serie für das Rahmenprogramm.
Ob das kosten- und entwicklungsintensive Projekt dem Gesamtprodukt einen weiteren Schub gibt, wird sich zeigen müssen. Die Elektro-Serie Formel E kämpft seit inzwischen acht Jahren (nicht selten vergeblich) um Aufmerksamkeit und vor allem Akzeptanz beim Motorsport-Publikum. Dass dann ausgerechnet René Rast, eines der bekanntesten Gesichter der DTM, 2023 für McLaren in der Formel E startet und bekennt, „Formel E fahre ich nächstes Jahr auf jeden Fall. Ob ich auch DTM fahre, weiß ich noch nicht“, stärkt die Tourenwagen-Serie jedenfalls nicht.
Termin-Engpässe verhindern bislang einen Rennkalender für 2023
Welchen (internationalen) Stellenwert das Masters hat, zeigt sich auch am Chaos um den Rennkalender. Noch immer gibt es für 2023 kein Programm – nicht einmal ein provisorisches. Die Dachorganisation ITR muss derzeit umplanen, nachdem die Formel 1 mit der Veröffentlichung ihres Rennkalenders Anfang des Monats einen Dominoeffekt ausgelöst hatte:
Die Motorsport-Königsklasse hatte ihren Belgien-Grand-Prix für das letzte Juli-Wochenende terminiert – ein Termin, der auf dem Circuit de Spa-Francorchamps in den vergangenen Jahren eigentlich immer für das traditionsreiche 24-Stunden-Rennen reserviert war. Daraufhin verlegte die GT World Challenge Europe dieses auf das erste Juli-Wochenende, was wiederum zu einer Überschneidung mit dem geplanten Stadtkurs-Rennen der DTM auf dem Norisring führte. Weil zahlreiche DTM-Fahrer jedoch auch beim Spa-Klassiker starten, muss die ITR eine neue Lösung finden. Gut möglich also, dass man im nächsten Jahr im Ausland auf kleinere Strecken ausweicht, um der Terminkonkurrenz mit anderen Rennserien aus dem Weg zu gehen.
Internationale Expansion ist noch kein uneingeschränktes Erfolgsmodell
Allerdings gelingt der Spagat zwischen nationaler Verwurzelung und internationaler Expansion bislang nur in Teilen. Zwar fuhr die Serie in diesem Jahr in Portugal, Österreich, Belgien und Italien, doch jenseits der Alpenrepublik waren das Interesse überschaubar und die Tribünen meist leer. Der Saisonstart in Portimão an der Algarve war schwierig und Italien ist für die DTM seit Jahren ein hartes Pflaster – egal ob wie in diesem Jahr in Imola, in Monza, an der Adria, in Mugello oder Misano, egal ob am Tag oder bei Nacht, die eigentlich rennsportbegeisterten Italiener werden mit der deutschen Serie nicht richtig warm. Daran änderte im Juni auch die Tatsache nichts, dass mit Ferrari und Lamborghini zwei traditionsreiche italienische Marken im Feld sind und mit Mirko Bortolotti ein aus dem Trentino stammender Fahrer um den Titel mitfährt.
Schubert Motorsport gewinnt die Teamwertung im Rookie-Jahr
Das größte Faustpfand für Berger, Tomczyk und die Serie ganz allgemein, sind Spannung, Ausgeglichenheit und das breite Starterfeld. Auf dem Hockenheimring lagen 26 von 27 Fahrzeugen im Qualifying am Samstag im Abstand von einer Sekunde, der Titelkampf war spannend bis zum Schluss und hatte im Endspurt – anders als im Vorjahr am Norisring – auch kein „Stallorder-Gschmäckle“.

„Zehn der Jungs konnten an der Spitze noch um die Meisterschaft kämpfen und der Rest des Feldes hatte nichts mehr zu verlieren. Sie wollten sich zeigen und in den letzten beiden Rennen noch einmal abliefern“, sagte der zweifache Gesamtsieger Marco Wittmann nach seinem dritten Platz am Samstag. Mit Schubert Motorsport gewann in Hockenheim ein BMW-Team in seinem Debüt-Jahr die Teamwertung, was zeigt, dass es selbst für Neu- oder Seiteneinsteiger schnelle Erfolgschancen gibt.
Zukunft ohne Einwagen-Teams?
Seit dem Wechsel zum GT3-Reglement ist das Interesse der Teilnehmer ohnehin so groß, dass man bei der DTM laut dem Online-Branchenportal „Motorsport-Total“ darüber nachdenkt, im nächsten Jahr Ein- und Dreiwagen-Teams aus dem Feld zu verbannen. Das würde etwa für den Österreicher Thomas Preining und das Porsche-KÜS-Team-Bernhard das Aus bedeuten.

Hintergrund der Gedankenspiele, die ITR-/DTM-Sprecherin Aline Proll auf Stimme-Nachfrage bestätigte, sind die Platzprobleme bei den Boxeneinteilungen. Bei rund 30 Startern gibt es an einigen Strecken nicht genügend Boxenplätze, so dass sich bereits einige Teams gleicher Marken die Plätze mit zwei Autos teilen. Bei Ein- oder Dreiwagen-Teams bliebe jedoch immer ein potentieller Boxen-Platz unbesetzt. Eine Reglement-Anpassung könnte das verhindern – zugleich aber auch kleinere, weniger finanzstarke Teams, die nur ein Fahrzeug ins Rennen schicken können, abschrecken.
Letzten Endes entscheidet jedoch allein das Publikum, in welche Höhen sich die DTM zukünftig noch aufschwingen kann. Doch nachdem die Serie vor zwei Jahren noch vor sich hin siechte, ist nun unbestrittenen wieder mehr Leben auf und neben der Strecke zu spüren. Bis das Gesamtprodukt allerdings wieder eine echte DTM-Begeisterung entfacht, ist es noch ein weiter Weg.
Hockenheim- und Gesamt-Ergebnisse
1. Rennen (30 Runden à 4,574 km/137,220 km), Samstag, 8.10.2022:
1. Lucas Auer (Österreich) - Mercedes-AMG GT3 1:34:18,676 Std.
2. Sheldon van der Linde (Südafrika) - BMW M4 GT3 +0,681 Sek.
3. Marco Wittmann (Fürth) - BMW M4 GT3 +1,907
4. Dev Gore (USA) - Audi R8 GT3 +3,099
5. René Rast (Minden) - Audi R8 GT3 +5,053
6. Philipp Eng (Österreich) - BMW M4 GT3 +5,849
7. Mirko Bortolotti (Italien) - Lamborghini Huracán GT3 +6,296
8. Nico Müller (Schweiz) - Audi R8 GT3 +9,324
9. Luca Stolz (Brachbach) - Mercedes-AMG GT3 +14,350
10. Maximilian Buhk (Dassendorf) - Mercedes-AMG GT3 +19,652
11. Maro Engel (München) - Mercedes-AMG GT3 +20,105
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14. Christian Engelhart (Starnberg) - Porsche 911 GT3 R +22,486
15. Maximilian Götz (Uffenheim) - Mercedes-AMG GT3 +31,218
16. Leon Köhler (Kleinwallstadt) - BMW M4 GT3 +41,545
Ausfälle:
Marius Zug (München) - Audi R8 GT3 (7. Rd.)
David Schumacher (Bergheim) - Mercedes-AMG GT3 (7. Rd.)
2. Rennen (34 Runden à 4,574 km/155,516 km), Sonntag, 9.10.2022:
1. Marco Wittmann (Fürth) - BMW M4 GT3 57:03,832 Min.
2. René Rast (Minden) - Audi R8 GT3 +4,425 Sek.
3. Sheldon van der Linde (Südafrika) - BMW M4 GT3 +14,793
4. Marius Zug (München) - Audi R8 GT3 +15,084
5. Kelvin van der Linde (Südafrika) - Audi R8 GT3 +23,821
6. Nico Müller (Schweiz) - Audi R8 GT3 +41,011
7. Lucas Auer (Österreich) - Mercedes-AMG GT3 +41,433
8. Leon Köhler (Kleinwallstadt) - BMW M4 GT3 +41,557
9. Luca Stolz (Brachbach) - Mercedes-AMG GT3 +42,360
10. Ricardo Feller (Schweiz) - Audi R8 GT3 +42,716
Ausfälle:
Maximilian Götz (Uffenheim) - Mercedes-AMG GT3 (1. Rd.)
Christian Engelhart (Starnberg) - Porsche 911 GT3 R (2. Rd.)
Maximilian Buhk (Dassendorf) - Mercedes-AMG GT3 (14. Rd.)
Maro Engel (München) - Mercedes-AMG GT3 (24. Rd.)
Fahrer-Wertung, Endstand nach 16 von 16 Wettbewerben:
1. Sheldon van der Linde (Südafrika) - BMW 164 Pkt.
2. Lucas Auer (Österreich) - Mercedes 153
3. René Rast (Minden) - Audi 149
4. Mirko Bortolotti (Italien) - Lamborghini 121
5. Thomas Preining (Österreich) - Porsche 116
6. Luca Stolz (Brachbach) - Mercedes-Benz 108
7. Nico Müller (Schweiz) - Audi 105
8. Marco Wittmann (Fürth) - BMW 98
9. Kelvin van der Linde (Südafrika) - Audi 90
10. Dennis Olsen (Norwegen) - Porsche 89
11. Maximilian Götz (Uffenheim) - Mercedes 74
12. Maro Engel (München) - Mercedes 65
...
21. Marius Zug (München) - Audi 13
24. Leon Köhler (Kleinwallstadt) - BMW 4
26. Maximilian Buhk (Dassendorf) - Mercedes-Benz 1
Hersteller-Wertung, Endstand nach 16 von 16 Wettbewerben:
1. Audi 441 Pkt.
2. Mercedes 413
3. BMW 327
4. Porsche 234
5. Lamborghini 130
6. Ferrari 129