In 182 Stunden um die Welt: Weltrekorde made in Wüstenrot
Mercedes-AMG stellt mit einem GT-Prototypen in Nardò mehrere Geschwindigkeits- und Distanz-Weltrekorde auf. Zum Fahrer-Team um Formel-1-Pilot George Russell gehört auch Luca-Sandro Trefz aus Wüstenrot.

Es ist der 25. August, als gegen 3 Uhr in der Nacht an der Pista di Nardò im Süden Italiens Jubel ausbricht und Erleichterung abfällt. „Ein einzigartiges Gefühl. Im Ziel sind bei allen die Emotionen hochgekommen. Nach sieben Tagen haben wir den Zieleinlauf zusammen gefeiert – nicht nur wir Fahrer, sondern alle. Ingenieure, Mechaniker und Helfer“, erzählt einer, der mittendrin war.
Luca-Sandro Trefz aus Wüstenrot kann sich seit vergangener Woche Montag als Weltrekordhalter bezeichnen, denn der 23-Jährige ist einer von 17 Fahrern, die auf der 12,5 Kilometer langen kreisförmigen Teststrecke bei Nardò insgesamt 25 Langstrecken-Weltrekorde aufgestellt haben.
Projekt unterliegt monatelang einer strikten Geheimhaltung
Der Wichtigste davon dreht sich um 40.075 Kilometer, was dem Erdumfang am Äquator entspricht, die ein orange-schwarzer Mercedes-AMG-Prototyp in noch nie dagewesenen sieben Tagen, 13 Stunden, 24 Minuten und sieben Sekunden zurückgelegt hat.
„Das ist etwas ganz Besonderes. Das gesamte Projekt hat mega viel Spaß gemacht“, sagt Trefz, der nach wochenlanger strikter Geheimhaltung nun endlich erzählen kann, wie es der Mercedes-AMG-Crew um seine prominenten Fahrerkollegen wie den ehemaligen DTM-Piloten Luca Stolz oder den viermaligen Formel-1-Grand-Prix-Sieger George Russell auf der Hochgeschwindigkeits-Teststrecke gelingt, sogar das selbst anvisierte Ziel, die 40 075 Kilometer in acht Stunden zu absolvieren, deutlich zu unterbieten.
24-Stunden-Distanzrekord um 38 Prozent verbessert
Im Mittelpunkt des Weltrekords stehen zwei parallel fahrende Concept AMG GT XX – Prototypen mit jeweils drei leichten Axial-Fluss-Motoren und direktgekühlten Batteriezellen. Die mehr als 1360 PS sorgen dafür, dass mit 5479 zurückgelegten Kilometern auch noch der bisherige 24-Stunden-Distanzrekord um 1518 Kilometer überboten und damit um 38 Prozent verbessert wird.
Über die Agentur Renger Racing hatte Mercedes-AMG die Fahrer für das Projekt gesucht, der Kontakt zu Trefz, der als Mercedes-Testfahrer seit Jahren enge Verbindungen nach Affalterbach pflegt, war über Motorsportler Nico Bastian schnell hergestellt und Trefz sofort an Bord.
Ladeleistungen von 850 kW sorgen für schnelle Boxenstopps
In verschiedenen Zeitslots fahren die Fahrer über eine Woche lang in Dreier-Teams jeweils 60- bis 90-minütige Stints, täglich sammelt jeder Fahrer rund vier Stunden Cockpit-Zeit. Alle vier bis fünf Runden geht es an die Box, um die Fahrzeugbatterie an einer speziell entwickelten Ladesäule mit Ladeleistungen von rund 850 kW zu versorgen. Nach vorläufigen Mercedes-Berechnungen lässt sich dadurch nach fünfminütiger Ladezeit eine Reichweite von 400 Kilometern zurücklegen.

Gerade bei den Stopps muss jeder Handgriff sitzen, jedes Wort stimmen, um den Zeitverlust möglichst gering zu halten. „Wichtig war der Austausch mit den anderen Fahrern daher vor allem bei den Fahrerwechseln“, betont Trefz, der aber auch sonst von einem angenehmen Miteinander spricht. „Rennfahrer sprechen halt einfach eine eigene Sprache“, sagt er und lacht.
Äußere Bedingungen, Geschwindigkeit und Konzentration als Herausforderungen
Bei über 40 Grad Celsius Außentemperatur sind die Tag-Fahrten vor allem physisch herausfordernd, in der Nacht sorgt die eingeschränkte Sicht bei den hohen Geschwindigkeiten für spezielle Anspannung. „Wir sind in den Steilkurven eigentlich immer oben gefahren. Und bei konstant 300 km/h auf einer High-Speed-Strecke braucht es Präzision, zum Beispiel bei starken Windböen oder Regen“, sagt Luca-Sandro Trefz, der vor allem die Nacht-Stints genießt.
Dafür dass die Gedanken beim ständigen Fahren im Kreis nicht abschweifen, sorgt auch ein Ingenieur im Ohr, mit dem der Fahrer stets per Funk verbunden ist. „Im Hinterkopf war uns die Verantwortung und das Vertrauen, das in uns gesetzt wurde, immer bewusst – deshalb haben wir auch alles daran gesetzt, diese zu erfüllen, und bis zum Schluss mitgefiebert“, betont Trefz.

Eine Unkonzentriertheit, ein Unfall – und ein millionenschweres Projekt, aus dem neben dem werbewirksamen Weltrekord auch Erkenntnisse für die Entwicklung künftiger Serienfahrzeuge gewonnen werden sollen, wäre gescheitert. Für Luca-Sandro Trefz geht es daher hinter dem Lenkrad darum, bei konstanten Geschwindigkeiten von 300 km/h eine Mischung aus Leistung und Materialschonung zu finden und aufrechtzuhalten.
Trefz’ liebäugelt mit motorsportlicher Rückkehr auf die Nordschleife
Wie wichtig Mercedes-Benz und AMG das Projekt ist, zeigt die Präsenz von führenden Unternehmensköpfen wie Mercedes-Vorstandsmitglied und Chief Technology Officer Markus Schäfer, AMG-Chef Michael Schiebe und dem Chefingenieur für Elektrische Sportwagen bei AMG, Oliver Wiech. Für AMG soll mit dem Projekt eine neue Ära beginnen. Erkenntnisse aus dem Langstreckentest in Italien werden zudem in den für 2027 geplanten, neuen Mercedes-AMG GT3 einfließen.
Spätestens dann möchte auch Trefz wieder im motorsportlichen Wettbewerb mitmischen. Erste Pläne für eine Rückkehr zum 24-Stunden-Rennen am Nürburgring 2026 seien bereits geschmiedet, verrät der Wüstenroter. Dass er in den vergangenen beiden Jahren, in denen er sich auf seine Arbeit als Testfahrer und Instruktor konzentriert hat, seine Schnelligkeit nicht verloren hat, haben die 182 Stunden von Nardò bewiesen.
Erinnerungen an 1983
Mit Weltrekord-Fahrten auf der Pista di Nardò hat Mercedes Erfahrung. Im August 1983 hatten die Stuttgarter dort ihr damals neues Top-Modell, den Mercedes 190 E 2.3-16, einem letzten großen Belastungstest unterzogen. Drei seriennahe Fahrzeuge (Vierventilmotor mit vier Zylindern, 185 PS, 2299 ccm) waren beinahe zeitgleich auf die Strecke gegangen, um eine Distanz von 50.000 Kilometern in möglichst kurzer Zeit zurückzulegen.
Der schnellste 190 E schaffte es trotz Boxenstopps bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von beinahe 278 km/h in 201:39,43 Stunden. Vier Wochen später stellte Mercedes-Benz das Modell bei der IAA in Frankfurt am Main schließlich der Öffentlichkeit vor.