Urlaubsgefühl über den Dächern Heilbronns: Tour durch die Weinberge
Es gibt in Heilbronn einige gute Verstecke für eine Auszeit. Nicht zu vergessen die Weinberge. Am besten in der Abendsonne. Denn kurz bevor sich die Nacht über die Stadt legt, ist ein Spaziergang oben am Waldrand ein wunderschönes, friedliches Erlebnis.

Carpe Diem. Nutze den Tag. Spätestens seit Robin Williams alias John Keating seinen Schülern im „Club der toten Dichter“ diesen Satz mit aller Leidenschaft ans Herz gelegt hat, kennen auch Nicht-Lateiner ihn. Wobei er fast ein wenig abgegriffen ist. Leider. Denn es ist ein guter Satz. Weniger geläufig ist etwas anderes Kluges, das Williams im Film sagt. „Gerade wenn man glaubt etwas zu wissen, muss man es aus einer anderen Perspektive betrachten, selbst wenn es einem albern vorkommt oder unnötig erscheint. Man muss es versuchen.“ Es ist nicht so weit hergeholt, das auf Heilbronn zu übertragen. Geheimnis ist es schließlich keines, dass viele mit ihrer Stadt hadern.
Eine andere Perspektive – die gewinnt man auf dem Weg vom Wartberg in Richtung Jägerhaus. Ohne schwere Rucksäcke. Ohne Wanderschuhe. Denn heute geht es lediglich darum, die Abendstunden zu genießen. Ohne weite Anfahrt. Ohne große Vorbereitung. Im Gepäck nur: eine Flasche Rotwein, zwei Gläser, Brot und Käse.
Nicht anstrengend
Große Anstrengungen bringt der asphaltierte Weg nicht mit sich, denn er verläuft praktisch auf einer Höhe entlang der Berge im Osten der Stadt. So bleibt Zeit zu gucken. Erst einmal auf dem Wein-Panorama-Weg, der Rebsorten erklärt und mancher Eidechse ein zu Hause ist, die sich an den Sandsteinmauern sonnt. Dann, nach Querung der B39 zwischen Weinsberg und Heilbronn, auf dem Württembergischen Weinwanderweg, dieser Grenzlinie zwischen Wald und Weinbergen. Die Sonne steht nun schon etwas tiefer am Himmel. Doch es ist Juli, erst nach 21 Uhr wird sie am Horizont verschwinden. Bis dahin wollen wir bis kurz vor den Parkplatz am Steinbruch, unterhalb des Jägerhauses, gelaufen sein. Denn von dort ist die Sicht nach Westen am besten. Und damit: die Sicht auf den Sonnenuntergang.

Noch ist die Stadt zu unseren Füßen nicht zur Ruhe gekommen. Die Luft ist vollgesogen mit Wärme – wie ein See, der sich den ganzen Tag in der Sonne geaalt hat. Und diese Luft, sie trägt etwas zu uns herüber. Ein Summen? Raunen? Flüstern? Es ist: die Stimme des Alltags. Des Feierabendverkehrs. Ein Meer von Geräuschen, das seine Wellen in gleichmäßigem Rauschen hinauf zum Waldrand schickt. Man hört es. Sieht es. Ist aber kein Teil mehr davon. Weil einen das da unten alles nicht mehr betrifft. Nicht das Tosen, nicht die Hektik. Von hier oben wirkt alles friedlich. Schön. Gefällig und hübsch ist Heilbronn eingebettet ins dichte, grüne Laub der Weinberge.
Kaum Mit-Wanderer
Kaum jemand ist unterwegs. Warum eigentlich nicht? Wobei … ehrlich gesagt sind wir das ja sonst auch nicht. Dabei stimmt der Spaziergang in den Abend hinein so zufrieden. Liegt es am Sommer? An der warmen Luft? Dieser gleichzeitigen Distanz und Nähe zur Stadt? Dem stillen Wald neben uns? Vielleicht ist es eine Mischung aus all dem. Die Bänke am Wegrand sind dabei ziemlich verlockend. Es gibt einige davon auf der Strecke. Und da wir nicht auf der Flucht sind und uns nichts treibt, setzen wir uns einfach immer wieder und schauen – mehr nicht. Der Singsang der Tiere übertönt längst die Stimme der Stadt. Und der Himmel beginnt, sich am Horizont tiefgelb einzufärben. Ein paar Wengerter arbeiten im Hang, und ein, zwei Spaziergänger sind mit Hund unterwegs. Aber sonst? Weitere Sonnenuntergangswanderer? Fehlanzeige. Stell dir vor, es ist Frieden und keiner sieht hin. Klingt kitschig? Vielleicht. Aber genau so fühlt es sich an.

Aussicht bis zum Horizont
Sonnenuntergänge. Sie sind eines der beliebtesten Fotomotive im Urlaub, oder? Wer Daheimgebliebenen ein Bild von diesem herrlich glühenden Ball schickt, der langsam im Meer oder über den Bergen versinkt, der zeigt: Ich habe es gerade sehr schön hier. Genau das geschieht auch über Heilbronn. Nicht jeden, aber an vielen Abenden. Und fast immer verpassen wir es. Aber nicht an diesem Tag.
Kurz vor dem Parkplatz am Steinbruch suchen wir ein hübsches Fleckchen Wiese aus für eine weitere Rast. Der Weinkorken ploppt, die Gläser füllen sich, und wir müssen eigentlich nur noch eines tun: den Alltag hinter uns lassen, während der Himmel langsam seine Farbe verändert. Das kleine Stückchen Wiese, von Weinreben umgeben, mit einer Aussicht bis zum Horizont – es ist wie ein kleines Versteck vor der Welt. Und doch liegt ihre Schönheit in diesem Moment vor unseren Füßen.
Die Sonne wird zur orangefarbenen Kugel. Senkt sich wie der Minutenzeiger einer Uhr Zentimeter um Zentimeter. Und leuchtet dabei immer wärmer, umspielt die wenigen Wolken geheimnisvoll mit ihrem Feuer. Ganz egal, wie oft man ihr schon dabei zugesehen hat: Dieser Moment, wenn der Tag sich schlafen legt, trägt einfach etwas zutiefst Friedliches in sich. Am Strand, auf dem Meer, in den Bergen. Und ganz genauso hier. Als legte der Abend eine schützende, weiche Decke über uns.
Happy End mit Zugabe
Und dann ist sie verschwunden. Die Leinwand, auf der gerade noch ein fulminantes Farbspektakel aufgeführt wurde, wird schwarz. Ein packender Film ist zu Ende. Und wir bleiben alleine mit dem Erlebten zurück. Beinahe: traurig. Weil man sich so darauf eingelassen hatte. Weil man so eingetaucht war. So berührt von einem wunderschönen Happy End.

Immer dunkler wird es nun, doch der Vollmond, still und heimlich im Osten hinter unserm Rücken aufgetaucht, hat schon seine Wegstrecke für die Nacht angetreten. So wird der Rückweg zum Wartberg wie ein Galeriebesuch mit Himmelskunst. Gar nicht auf weitere Gäste außer uns eingestellt, klingen von der Feuerstelle aus dem Dunkel des Waldes Stimmen. Jugendliche, die sich treffen. Zum Grillen. Haben sie sich auch eben den Sonnenuntergang angesehen? Schnell schießt eine andere Frage durch den Kopf: Wieso macht man diese Dinge – abends in die Weinberge, in den Wald fahren – immer seltener, je älter man wird?
Als wir schließlich zurück am Auto sind, ist es spät geworden. Schnell nach Hause jetzt. Aber nicht, ohne noch einmal einen Blick auf die Stadt zu werfen, die nun hell leuchtet. Nicht sie hat sich in den vergangenen Stunden verändert. Wie könnte sie. Aber unsere Perspektive, die schon ein bisschen. Nein – nicht jeder Abend kann und muss so sein. Aber einige haben die Chance verdient.
Nutze den Tag.
Infos zur Tour
Strecke: ca. 9 Kilometer
Dauer: Abendaktivität, Spaziergang ca. 2 ½ Stunden plus Zeit für Käse und Wein
Zielgruppe: Jeder, der Sonnenuntergänge liebt. Der Weg ist durchgehend asphaltiert und kinderwagentauglich.
Jahreszeit: ganzjährig
Anreise: Mit dem Auto zum Wanderparkplatz am Heilbronner Wartberg.
Wartberg 1, 74076 Heilbronn
Wegbeschreibung: Ab dem Wartberg-Parkplatz geht es zunächst auf dem Wein-Panorama-Weg sowie nach Querung der B39 auf dem Württembergischen Weinwanderweg (Wanderzeichen: „rote Trauben“) bis kurz vor den Parkplatz am Steinbruch, unterhalb des Jägerhauses. Auf dieser Höhe kann man sich ein schönes Plätzchen zum Beobachten des Sonnenuntergangs suchen. Auf selber Strecke geht es zurück bis zur B39 und auf der anderen Seite auf dem Weinwanderweg hoch zum Wartberg. Der Weg ist durchgehend asphaltiert.
Gastro-Tipps:
Wartberg Restaurant
regionale Karte mit Zwiebelrostbraten und Co., schöne Aussicht auf Heilbronn
Wartberg 1, 74076 Heilbronn
www.restaurant-wartberg.de
Waldgaststätte Jägerhaus
In der Mitte der hier vorgeschlagenen Runde kann man auch im Jägerhaus einkehren, es gibt gutbürgerliche, schwäbische Gerichte, außerdem einen schönen Biergarten.
Jägerhaus 1, 74074 Heilbronn
www.jaegerhaus-heilbronn.de
Besonderer Tipp: Die Touristikgemeinschaft Heilbronner Land zeigt auf ihrer Website eine große Auswahl an Wanderungen (Rund- und Streckenwanderungen, Spazierwege, aber auch Lehr- und Erlebnispfade), unter anderem die Tour N1 „Vom Wein-Panorama auf die Waldheide“. Ein Ausschnitt daraus ist die hier vorgestellte Abendwanderung, die größtenteils auf dem Württembergischen Weinwanderweg verläuft, einem 470 Kilometer langen Fernwanderweg des Schwäbischen Albvereins von Aub in Bayerisch Franken nach Esslingen. Er führt durch die Weinlandschaft des nördlichen Württembergs und gilt als längster deutscher Weinwanderweg.
Mehr Touren in "Heimatverliebt"

Wer in diesem Jahr nicht in die Ferne reist, kann mit dem Heilbronner Stimme-Buch „Heimatverliebt“ die Schönheit des Sommers im Umkreis von eineinhalb Fahrstunden rund um Heilbronn entdecken: bei außergewöhnlichen Tageswanderungen und Wochenendausflügen, mit Ideen für einen besonderen Nachmittag, Morgen oder Abend. Im Mittelpunkt der 20 Touren im Heilbronner Land, dem Kraichgau und in Hohenlohe, auf der Schwäbischen Alb, in der Pfalz, im Oden- und Nordschwarzwald: die Zeit in der Natur. Weil sie entschleunigt. Weil sie ein Abenteuerspielplatz ist. Weil sie guttut. „Was wir erlebt haben, erzählen wir in Reisegeschichten – reich an Details, Eindrücken und Empfindungen“, erklären die Autoren Stefanie Sapara und Andreas Tschürtz.
Dazu gibt es ausführliche Tourinfos, ausgewählte Einkehrtipps oder Rezeptideen fürs Picknick unterwegs. „Heimatverliebt will Lust machen, hinauszugehen und sich selbst in das wunderschöne Fleckchen Erde zu verlieben, das direkt vor unserer Haustüre liegt.“
„Heimatverliebt. 20 Rendezvous mit der Natur“, Heilbronner Stimme, 192 Seiten, 4. Auflage, 19,90 Euro – erhältlich im regionalen Buchhandel, in den Geschäftsstellen der Zeitung und auf www.stimmeshop.de