Muskel-Mythen treffen Trainings-Tipps
Kommt man mit hartem, schweißtreibendem Training fit durch den Winter? Nicht alles, was seit Jahrzehnten als Wahrheit gilt, tut wirklich gut.
Was schon immer so gemacht wurde, kann nicht falsch sein, oder? „Gerade beim Sport bewegen wir uns viel im Bereich der Vermutungen“, sagt Frank Pulvermüller, Arzt für Innere Medizin, Fachgebiet Kardiologie, aus Weinsberg. „Wir sollten immer wieder infrage stellen, was seit 30 Jahren als Wahrheit gilt.“ Wie steht es um die Mythen, denen ich fast zwangsweise begegne, wenn ich fit durch den Winter kommen will?
Nur ein schweißtreibendes Training ist ein gutes Training!

„Schwitzen ist kein geeignetes Kriterium, um über die Qualität von Training zu urteilen“, sagt Frank Pulvermüller. „Schwitzen ist nur ein Zeichen der überschüssigen Wärme, die vom Körper, seinen Muskeln abgegeben wird.“ Zudem gebe es beim Schwitzen große individuelle Unterschiede. Ein gutes Steuerelement sei hingegen die Herzfrequenz, die sich über Sensoren, zum Beispiel per Sportuhr, leicht messen lasse.
Aber es geht auch ohne Gerät, sagt der Mediziner aus Weinsberg, der in der Kardiologischen Gemeinschaftspraxis in der Heilbronner Kaiserstraße praktiziert: Beim Ausdauersport gelte nach wie vor die Faustregel: Wenn man sich während der Belastung noch unterhalten könne, liege man richtig. Die klare Botschaft von Herz-Spezialist Frank Pulvermüller lautet: „Regelmäßiges Ausdauertraining spielt in der Medizin die zentrale Rolle für die Vermeidung von Erkrankungen.“
Sport bei Kälte härtet ab!

Regelmäßiger Sport bei Kälte beeinflusse das Immunsystem günstig, ist auf Fitnessportalen zu lesen. „Das ist bisher nicht durch Studien belegt“, sagt Frank Pulvermüller. Je kälter es ist, desto höher sei die Belastung für den Körper: „Es ist keine gute Idee, im Winter mit joggen anzufangen.“ Das Hauptproblem bei kalter Luft ist die Atmung, die stärkere Forderung des Herzens könne aber auch zu einer Angina Pectoris führen, zu dem Gefühl von Enge in der Brust. Das kann ein Zeichen für einen Herzinfarkt sein. Es hat also einen ernsten Hintergrund, dass beispielsweise Biathlon- und Langlauf-Weltcups nur bis 20 Grad minus gelaufen werden dürfen – wobei die Körper der Profis Kälte besser abkönnen als Hobbysportler. Denen kann ein Schal vor dem Mund oder reine Nasenatmung helfen.
Frauen und Männer trainieren völlig anders!

„Männer machen einfach Sport, wollen so Fett ab- und Muskeln aufbauen. Frauen sind viel komplexer, Frauen haben immer eine Ausrede“, weiß Vial Cansevil. Die 48-jährige Sportwissenschaftlerin betreibt in Hamburg drei Frauen-Fitnessstudios der Kette Mrs. Sporty Club. Frauen ließen den Sport schon mal sausen, wenn es regnet oder wenn es im Sommer sehr heiß ist. Zu ihr kommen viele Frauen mit Rückenschmerzen, „weil sie viel sitzen“, sagt Vial Cansevil. „Wichtig ist, ein Ziel zu haben, egal welches. Man muss sich ein Ziel setzen.“ Mit Ziel trainiert es sich leichter. Vor allem im Winter, egal ob drinnen oder draußen. „Man muss sich nicht körperlich fertig machen, völlig aus der Puste sein. Man kann auch mit Therabändern, Bällen, dem eigenen Körpergewicht seinen Körper im niedrigen Pulsbereich stärken.“
Vial Cansevil hat sich vor zwölf Jahren selbstständig gemacht, erlebt immer wieder im Frühjahr das Gleiche: „Frauen haben gute Vorsätze fürs neue Jahr, wollen eine gute Sommerfigur. Sie kommen mit diesem Ziel aber erst im März, April zu uns – das ist leider zu spät.“ Mit dreimal 30 Minuten pro Woche komme man binnen drei Monaten sehr weit. Das geht auch im Winter. Nur wer ein Ziel hat, findet den richtigen Weg.
Saunieren stärkt die Abwehrkräfte!

Saunieren ist ein wunderbares Mittel, den Körper zu entgiften, durch Wärme die Muskeln und nicht zuletzt den Kopf zu entspannen und das Immunsystem zu stärken – oder? „Das ist ein ganz großes Fass“, sagt Frank Pulvermüller. Fakt ist, dass das Saunieren nichts Negatives für den Körper, aber eine (mittlere körperliche) Belastung sei. Ja, es gebe die positiven Effekte in den Bereichen Infektabwehr, Hauterkrankungen und Herz-Kreislaufsystem, aber keine belastbaren wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse. „Wobei eine finnische Studie positive Effekte des Saunierens auf die Lebenserwartung zeigt“, so Pulvermüller, der aber einschränkt: „Man muss wissen, dass Finnen zwei bis sieben Mal die Woche saunieren und Frauen nicht zur untersuchten Gruppe gehörten.“ Hm.
Frank Pulvermüller nennt als wichtige Grundregeln: viel trinken vor dem Saunagang; Menschen mit niedrigem Blutdruck müssen aufpassen, dass sie in der Sauna nicht kollabieren; Menschen mit hohem Blutdruck wiederum müssen beim Abkühlen vorsichtig sein. Ja, es gibt immer wieder Todesfälle in der Sauna – da sei oft Alkohol während des Saunagangs im Spiel, so Pulvermüller. Fazit: Saunieren kann glücklich machen.
Eine gute Ernährung ist eine gute Basis!

„Absolut“, sagt Ernährungsexpertin Kirsten Brüning. Gerade im Winter, wenn das Immunsystem verstärkt mit Viren zu kämpfen hat. „Wir haben im Winter leider nicht so unseren Flüssigkeitshaushalt im Blick – wir müssen mehr trinken, 1,5 bis zwei Liter am Tag.“ Das durchfeuchte einen wichtigen Schutzwall, die Schleimhäute, sagt die 56-jährige Frankfurterin, die unter anderem als Ernährungsberaterin am Olympiastützpunkt in Heidelberg arbeitet. Gut für den Körper seien ausreichend Schlaf und Entspannung. Sowie Milchsäurebakterien. Die stecken in Joghurt, Kefir, Buttermilch und vergorenem Gemüse und unterstützten das Milieu im Darm – um das man sich wissenschaftlich erst seit fünf bis zehn Jahren so richtig kümmere.
Auch wichtig: Gemüse und Kräuter. „Knoblauch wirkt wie ein Antibiotikum, Chili, Kurkuma und Ingwer bringen die Körpertemperatur nach oben, wirken antibakteriell, sogar antiviral“, weiß Kirsten Brüning und erzählt von selbstgemachtem Ingwer-Tee. Auch gut ist ein Ingwer-Shot. Als grundsätzliches Ideal nennt die Beraterin der Schwimmer der Sport-Union Neckarsulm mediterrane Mischkost mit hochwertigen Ölen und zählt als Grundregel auf: „Drei Portionen Gemüse, zwei Portionen Obst und ein Vollkornprodukt am Tag, ein- bis zweimal die Woche Fisch mit viel Omega-3-Fettsäuren wie Hering, Lachs, Sardine oder Makrele.“ Nüsse liefern Vitamin E, Haferflocken Eisen und Zink.
Ich bin fit, eine Grippeschutzimpfung brauche ich also nicht!

Ja, Sport stärkt den Körper. Aber natürlich sei eine Grippeschutzimpfung vor allem für über 60-Jährige, für Menschen mit Vorerkrankungen oder mit vielen Kontakten sinnvoll, sagt Frank Pulvermüller. Er berichtet von einer Studie, die kürzlich beim Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie vorgestellt worden sei: Patienten, die nach einem Herzinfarkt noch im Krankenhaus gegen Grippe geimpft worden sind, „haben eine deutliche Senkung der Zweitinfarktrate“. Kurzum: Impfen ist grundsätzlich eine gute Sache. Bewegung, Sport ist eine gute Sache. Auch oder gerade im Winter.