Erntedank ist für die Landesbauernpfarrerin am wichtigsten
Sabine Bullinger und Veronika Grossenbacher arbeiten beim Evangelischen Bauernwerk in Hohebuch und erklären, warum die Verbindung von Landwirtschaft und Kirche so eng ist.

Warum brauchen Bauern einen eigenen Pfarrer, respektive Pfarrerin? Und warum ist die Verbindung von Landwirtschaft und Kirche eine so besondere und so enge, dass es ein Evangelisches Bauernwerk in Württemberg gibt? Das hat seinen Sitz in Hohebuch, am Fuß der Waldenburger Berge, nicht weit entfernt von der Domäne Hohebuch. Deren Eigentümer, die Familie Hege, sind wiederum eng mit dem Bauernwerk verbunden: Albrecht Hege war hier einst Landesbauernpfarrer und später Prälat in Heilbronn.
Frau Bullinger, Sie sind seit September 2020 Landesbauernpfarrerin. Warum brauchen die Bauern eine eigene Pfarrerin?
Sabine Bullinger: Weil die Kirche Bodenhaftung braucht. Weil Kirche für Menschen und mit Menschen ist. Es gibt kaum noch hauptberufliche Landwirte. Aber alle leben vor Ort. Die Sonderpfarrstelle gibt es seit 70 Jahren. Und es ist gut so, dass es diese Tradition noch gibt. Denn die Themen, die ich bearbeite, sind Themen, die durch die Klimakrise aktueller sind denn je.
Inwiefern?
Bullinger: Die Klimakrise beschäftigt die ganze Gesellschaft. Die hat aber einen ganz anderen Blick auf ihren Lebensraum als die Landwirtschaft. Da tut es gut, wenn es mit Hohebuch einen Ort gibt, an dem der Dialog stattfinden kann.
Veronika Grossenbacher: Sie kennen die Geschichte vom schwäbischen Pfarrer, der die schön gediehenen Felder betrachtet? Der kam zu einem Bauern und sagte: Da haben der liebe Gott und Sie aber wunderbares geschaffen. Da schmunzelte der Bauer und sagte: Ja, das stimmt. Sie hätten das sehen sollen, als ihn Gott noch alleine bewirtschaftete.
Bullinger: In der zweiten Schöpfungserzählung gestaltet Gott den Garten Eden, schafft den Menschen und gibt ihm den Auftrag, den Garten zu bebauen und zu bewahren. Gott schenkt dem Menschen also Lebensraum und Lebensaufgabe. Das ist der biblische Hintergrund.
Was konkret sind die Aufgaben einer Landesbauernpfarrerin?
Bullinger: Mein Schwerpunkt ist Erntebitt und Erntedank. Zu Erntebitt gibt das Evangelische Bauernwerk jedes Jahr Materialien heraus. Sie entstehen in Zusammenarbeit mit Bezirksarbeitskreisen. Es sind Anregungen und Bausteine für die Gemeinden, um vor Ort Erntebittgottesdienste zu feiern. Ich wurde dieses Jahr von verschiedenen Gemeinden eingeladen, bei Erntebittgottesdiensten zu predigen. Auch zu Vorträgen werde ich eingeladen. Während der Pandemie fand aber weniger statt als sonst.
Grossenbacher: Erntebitten haben eine lange württembergische Tradition. Sie wurden 1817 vom württembergischen König angeordnet: „Da hilft nur noch beten.“ Das war nach dem Jahr ohne Sommer und der damit ausgelösten Hungersnot nach einem Vulkanausbruch auf Indonesien.
Wenn Ihr Thema vor allem Erntebitte und Erntedank ist, dann ist für Sie Erntedank wichtiger als Weihnachten?
Bullinger: Beruflich gesehen ja. Ich bin wohl eine der wenigen Pfarrerinnen, die an Weihnachten frei hat.
Warum wurde vor 70 Jahren die Wichtigkeit eines Bauernwerks gesehen?
Bullinger: Die Idee war, den Menschen nach Jahren der Nazi-Ideologie Bildung und Demokratie näher zu bringen. Es wurden sechswöchige Grundkurse für junge Menschen vom Land angeboten. Wir laden nun zu Grundkursjubiläen ein. Da begegne ich Menschen, die mir erzählen, wie sie vor 50 Jahren gelernt haben, ihre Meinung zu formulieren und zu diskutieren. Danach haben sie es sich zugetraut, Ämter im Kirchengemeinderat oder im Gemeinderat oder in Berufsverbänden zu übernehmen. Die Kurse haben viel zur Persönlichkeitsbildung beigetragen.
Grossenbacher: Es ist auch wichtig, dass wir die Themen auf unsere eigene Weise aufgreifen, fachlich, aber auch zwischenmenschlich. Ein gutes Beispiel dafür ist das Hofübergabe-Seminar. Viele kommen zunächst, weil sie vor allem bei der Abfindung weichender Erben und steuerlich Orientierung suchen. Dem Fachlichen ist der erste Tag gewidmet. Der zweite beginnt mit einer Besinnung und wir fragen: Was macht dieser Schritt menschlich mit uns? Am Ende wird der zweite Tag als mindestens so wichtig wie der erste erlebt. Das Zusammenleben von Generationen, das miteinander Leben und Arbeiten, das sind große Themen.
Jetzt richten sich die Angebote der Ländlichen Heimvolkshochschule nicht nur an Landwirte?
Grossenbacher: Nein, es geht hier um ganzheitliche Bildung. Neben den Agrarthemen und der Persönlichkeitsentwicklung geht es auch um Ernährung und Kreativität. Ein großer Teil der Menschen, die im ländlichen Raum leben, haben mit Landwirtschaft nichts mehr zu tun, wollen aber ihren Garten beispielsweise naturnah pflegen. Wir wollen die Menschen im Auge haben, lebensbegleitend unterwegs sein.
Bullinger: Wir möchten den Menschen Impulse geben. Dazu kommt: Wir sind hier für die Kirche auch Kompetenzzentrum, um Auskunft geben zu können über die Anliegen des ländlichen Raums und um den Dialog zu führen zwischen Kirche, Landwirtschaft und Gesellschaft.
Wie hat das während Corona funktioniert?
Grossenbacher: Vorträge außerhalb hat es keine gegeben, das fängt erst wieder an. Dafür gab es Online-Angebote.
Bullinger: Man erwirbt hier nicht nur Fachwissen, sondern erlebt Begegnung.