Warum die Politik beim Klimaschutz Städter und Landbewohner im Blick haben muss
Klimaschutz wird oft so diskutiert, als seien entweder die Städter oder die Landbewohner in der Pflicht. Dabei braucht es auf beiden Seiten gute Ideen. Unsere Autoren beleuchten das Thema jeweils aus ihrer Perspektive.
Liebe Politiker, beim Klimaschutz müsst ihr an die Städter denken!
Von Christoph Donauer

Mit dem Rad oder der Bahn zum Einkaufen, da steigt bei vielen schon der Puls. Wie soll man die Einkäufe nach Hause transportieren? Was ist bei schlechtem Wetter? Solche Forderungen können ja nur von Städtern kommen!
Der Vorwurf hat einen wahren Kern. Wer in der Stadt wohnt, hat es zur Arbeit, zum nächsten Supermarkt, in die Innenstadt oder zu Ämtern oft nicht weit. Und trotzdem ächzen Städte wie Heilbronn, Mannheim oder Stuttgart unter dem Autoverkehr. Volle Straßen von morgens bis abends sind die Regel, nicht die Ausnahme. Und daran sind nicht nur die Auswärtigen schuld.
Klimaschutz in Städten bewirkt viel
Darunter leiden viele Menschen: Zwei Drittel der Deutschen, genauer 49,5 Millionen, leben in Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern und in den vier Millionenstädten Berlin, Hamburg, München und Köln. Wenig verwunderlich ist, dass Städte eine eher schlechte Klimabilanz haben: Sie erwärmen sich stärker als das Umland, sie versiegeln mehr Flächen und setzen seltener auf erneuerbare Energieträger. Das bedeutet aber auch: Mehr Klimaschutz in Städten bewirkt auch besonders viel.
Die Politik sollte sich beim Klimaschutz darauf fokussieren, die Städte attraktiver zu machen. Das Stadtviertel der Zukunft ist nachhaltig erbaut, beheimatet viel Grün und erzeugt seinen Strom selbst. Außerdem darf gerne deutlich höher gebaut werden, um mehr Wohnraum auf kleiner Fläche zu schaffen. So kann in der Stadt wohnen nachhaltig sein!
Vor allem aber muss sich die Mobilität der Städter grundlegend ändern. Der knappe Platz muss zwischen den Verkehrsmitteln gleichmäßig aufgeteilt werden. Statt vierspuriger Straßen braucht es Wege, die Autos, Bus und Bahn sowie Radfahrern und Fußgängern gleichermaßen zur Verfügung stehen. Kurze Wege müssen klimaneutral zurückgelegt werden: Zentrale Fahrradachsen sind dafür wichtig, Dänemark und die Niederlande machen vor, wie das geht. Statt Parkplätzen an den Straßenrändern braucht es mehr Parkhäuser, die Anwohner günstig bis kostenlos nutzen können.
Verkehr ist der klimaschädlichste Sektor
Der Nahverkehr muss so ausgebaut werden, dass alle wichtigen Ziele jederzeit erreichbar sind und sich trotzdem jeder ein Ticket leisten kann. Zu später Stunde sind Ruftaxis praktisch. Wenn möglich, sollten Bus und Bahn im Stadtkern kostenlos sein, wie es in Augsburg derzeit getestet wird. Der Nahverkehr muss ein Angebot bieten, das niemand ablehnen kann.
Denn eines ist klar: Wie es in der Vergangenheit lief, kann es in Zukunft nicht weitergehen. Der Verkehr ist Baden-Württembergs klimaschädlichster Sektor und verursacht fast ein Drittel (31 Prozent) der CO2-Emissionen. Erst danach kommen Stromerzeugung (20 Prozent), private Haushalte (14 Prozent) und die Industrie (8 Prozent).
Berufspendler, Handwerker, Lieferdienste und mobilitätseingeschränkte Menschen werden auch weiterhin auf ein Auto angewiesen sein. Doch es wäre fürs Klima schon viel erreicht, wenn all jene auf ihr Fahrzeug verzichten, die auch ohne leben könnten.
Liebe Politiker, fordert und fördert auch die Landbewohner!
Von Christian Gleichauf

Jahrzehntelang ging es für die Bürger im ländlichen Raum vor allem in eine Richtung: weiter weg vom Arbeitsplatz. Stand früher über kurz oder lang ein Umzug an, der die Distanz zum Arbeitgeber minimierte und somit vielleicht auch eine Mittagspause mit den Kindern zu Hause ermöglichte, haben sich die Lebensgewohnheiten inzwischen radikal verändert. Zu Hause wartet in der Regel niemand mehr mit dem Kochtopf.
Jeder siebte Berufspendler legt in Baden-Württemberg inzwischen täglich locker mehr als 25 Kilometer auf dem Weg zur Arbeit zurück. Und in Corona-Zeiten kommt plötzlich das Homeoffice zupass. Jetzt scheint sich naturnahes Leben und Arbeiten im Großunternehmen unkompliziert verbinden zu lassen.
Viele Zahlen im Umlauf
Doch der Blick auf die beruflich zurückgelegten Kilometer verzerrt das Gesamtbild. Denn fast doppelt so viel wie für den Beruf wird in der Freizeit gefahren. Natürlich vor allem mit dem Auto - am liebsten mit dem Auto. Das ist in Baden-Württemberg der größte Posten in der Klimabilanz der meisten Menschen.
Der persönliche CO2-Fußabdruck hat es allerdings in sich. Unterschiedliche Zahlen geistern durch den Blätterwald - auf dass sich jeder das Passende herausziehen kann. Grundsätzlich verursachen die Städte, wo inzwischen die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, drei Viertel aller klimaschädlichen Emissionen. In Deutschland liegt der Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 auf dem Land allerdings höher als in der Stadt. Weder aus dem einen noch aus dem anderen sollte aber politisch Kapital geschlagen werden.
Wohin das Gegeneinander von Stadt- und Landbewohnern führt, darf man in den USA beobachten, wo sich die eine Partei konsequent als Vertreter des "American heartland" geriert, während die andere liberale Städter anspricht. Am Ende zeigen beide Gruppen mit den Fingern auf die jeweils andere.
Täglich halten die Paketdienste vor dem Haus
Es gilt, den Unterschied zwischen Bewohnern des ländlichen und des städtischen Raums konstruktiv herauszuarbeiten. Es darf nicht darum gehen, die Landbewohner alle in die Stadt zu schicken oder umgekehrt. Aber die Möglichkeiten, auf dem Land etwas fürs Klima zu tun, sehen anders aus als in der Stadt.
Wer mehr Lebensraum zur Verfügung hat, kann auch mehr zur Produktion erneuerbarer Energien beitragen. Wer näher an der Natur lebt, braucht auch nicht ständig das Weite zu suchen. Und wer keine Kleidergeschäfte um die Ecke hat, sollte zumindest darauf achten, dass nicht täglich drei Paketdienste vor dem Haus anhalten müssen.
Leichter gesagt, als getan. Die Lebensweisen verändern sich derzeit dramatisch. Die Politik muss hier die richtigen Fragen stellen ohne anzuklagen. Die Menschen müssen ein neues Verständnis entwickeln, ohne in den Selbstverteidigungsreflex zu verfallen. Wer ein Haus aus den 70er Jahren mit großzügiger Bodenversiegelung renaturiert, für den sollte es ebenso auch finanzielle Anreize geben wie für Städter, die günstiger an eine Jahreskarte für den ÖPNV kommen sollten. Wir brauchen mehr Sowohl-als-auch und weniger Entweder-oder.
Wo leben die Deutschen überhaupt, in der Stadt oder auf dem Land? Einen Überblick zur Einwohnerdichte zeigt folgende Karte: