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Im Schlaf ans Ziel: Comeback der Nachtzüge

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Nachtzüge schienen endgültig auf dem Abstellgleis. Doch Schlaf- und Liegewagen erleben eine Renaissance, die Corona wohl nur kurzzeitig ausbremst. Das Comeback des einst so beliebten Verkehrsmittels hat mit Nostalgie nichts zu tun.

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Endstation Pyrenäendorf: Die französische SNCF hat ihr Nachtzug-Netz drastisch zusammengestrichen. Aber auch hier deutet sich eine Trendwende an.
Endstation Pyrenäendorf: Die französische SNCF hat ihr Nachtzug-Netz drastisch zusammengestrichen. Aber auch hier deutet sich eine Trendwende an.  Foto: Hettich, Alexander

Seit Jahren betreibt Bernd Baudler die Internetseite nachtzug-retten.de. Lange schien es, als kämpften der Nürnberger und seine Mitstreiter einen aussichtslosen Kampf. Jetzt denkt Baudler erstmals daran, seine Seite umzubenennen. Vielleicht irgendwas mit Ausbau statt Rettung, denn diese scheint geschafft. Der Nachtzug ist zurück auf dem Gleis. Der Klimawandel macht eine alte, nostalgie-umwehte Beförderungsart wieder hochaktuell.

Alte Helden des Hellas-Express

"Es gibt viel Positives", sagt Bahnfan Baudler am Telefon, man erreicht ihn auf Sylt. Dorthin gekommen ist er mit dem Nachtexpress, der seit Juli von Süden ganz in den Norden rollt. Betrieben wird er vom privaten Bahnkonzern RDC. Das ist symptomatisch. Der Nachtzug-Markt erlebt einen kleinen Boom. "Aber die Deutsche Bahn bleibt bei ihrer Linie", beklagt Baudler. Die DB hat das Nachtzuggeschäft 2016 aufgegeben, erklärte es für unwirtschaftlich. Trotzdem rollen Liege- und Schlafwagen durchs Land, und es werden mehr.

Der NJ 471 kommt fahrplanmäßig um 5.12 Uhr am Karlsruher Hauptbahnhof an, am späten Abend ging es in Berlin los. Heute ist der Zug mit etwas Verspätung unterwegs, ein Notarzteinsatz. Der Schaffner hat das einkalkuliert und weckt den Fahrgast zum Umstieg in Karlsruhe Richtung Heilbronn etwas später. Auch recht, etwas mehr Zeit, um auszuschlafen. Der Zugwechsel am frühen Morgen ist der Haken an dieser Verbindung aus der Hauptstadt nach Süden. Das Unterland oder der Raum Stuttgart liegen im Windschatten des Nachtzugnetzes. Dabei ging es früher gerade von der Landeshauptstadt im Schlaf nach Paris, Prag oder sogar nach Athen. Wer sich auf den legendären Hellas Express einließ - viele Interrailer erzählen heute noch davon wie von einer Heldentat - verbrachte zwei Nächte auf Schienen. Der Komfort dürfte begrenzt gewesen sein. Heute hat der Nachtzug von Berlin über Karlsruhe in die Schweiz "Single Deluxe"-Kabinen im Angebot - inklusive Dusche.

 


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ÖBB investieren im großen Stil

Ein Nightjet-Zug am Bahnhof. Die Österreichische Bahn sieht in dem Segment ein Erfolgsmodell und steckt viel Geld in moderne Schlaf- und Liegewagen. Fotos Hettich, Eisenberger/ÖBB
Ein Nightjet-Zug am Bahnhof. Die Österreichische Bahn sieht in dem Segment ein Erfolgsmodell und steckt viel Geld in moderne Schlaf- und Liegewagen. Fotos Hettich, Eisenberger/ÖBB  Foto: ÖBB/Harald Eisenberger

Das Kürzel NJ steht für Nightjet, eine Marke der Österreichen Bundesbahnen. Die ÖBB haben das Nachtzuggeschäft 2016 von der Deutschen Bahn übernommen und konzentrieren sich auf wenige, lukrative Linien. Rom, Zürich, Brüssel oder Wien sind von Deutschland aus mit einem Nightjet zu erreichen. "Die Verbindungen von Zürich und Wien nach Hamburg, aber auch von München nach Rom sind sehr stark nachgefragt", sagt ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder. Die Fahrgastzahlen sind wegen Corona zurückgegangen, erholen sich aber wieder. Häufig gebucht werden Schlafwagen oder Privatabteile im Liegewagen, die es einfacher machen, zu fremden Mitreisenden auf Distanz zu bleiben.

Langfristig haben die ÖBB offenbar Vertrauen in das Marktsegment. Gemeinsam mit den Schweizer SBB wollen sie das Angebot ausbauen. Geplant sind neue Nachtzüge nach Amsterdam, Rom und Barcelona. Zürich würde die Drehscheibe des Nachtzugnetzes. Die ÖBB investieren Hunderte Millionen Euro in neue Schlaf- und Liegewagenzüge. Bestellt sind 13 neue Garnituren, weitere seien möglich, heißt es aus Wien. Auch in Frankreich regen sich Stimmen, die den "train de nuit" zurückwollen. Das früher stattliche Netz ist dort auf zwei Linien gestutzt, eine davon mit dem kurios anmutenden Endbahnhof Latour de Carol - ein Dorf in den Pyrenäen, Anschluss gibt es mit dem Regionalzug nach Barcelona. Überall entdeckt die Politik langsam den Nachtzug, Orient-Express-Nostalgie ist dabei nicht das Motiv. Fliegen wird zunehmend kritisch hinterfragt, über Nacht lassen sich in Europa auch Mitteldistanzen mit der klimafreundlichen Bahn zurücklegen.

Bund unterstützt Projekt TEE 2.0

Und in Deutschland? Hier hat Verkehrsminister Andreas Scheuer Pläne für einen Trans-Europ-Express (TEE) 2.0 vorgestellt. "Auf Basis nationaler Taktverkehre und Verbindungen kann ein grenzüberschreitender Europa-Takt entstehen, mit Hochgeschwindigkeitszügen und Nachtzügen, die von den Unternehmen eigenwirtschaftlich betrieben werden können", so das Ministerium. Als Beispiel werden Verbindungen von Paris über Brüssel und Berlin nach Warschau oder von Berlin über Straßburg und Lyon nach Barcelona genannt.

Für Bernd Baudler, Betreiber der Nachtzug-retten-Seite, ist der TEE 2.0 "ein recht blumiges Konzept mit vielen Fragezeichen". Er stößt sich auch an der Vorgabe, der Betrieb solle "eigenwirtschaftlich", also ohne staatliche Zuschüsse erfolgen. Das sei schwer vermittelbar, wenn die Lufthansa mit Milliarden gerettet werde. Wenn es um neue Nachtzuglinien geht, "kann man nur hoffen, dass die DB mit einsteigt", sagt Baudler. Irgendwann, überlegt der Nürnberger, kann er seine Seite ganz vom Netz nehmen. Dann wäre die Mission erfüllt.

 


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Ute Nitsche am 12.10.2020 08:09 Uhr

Als vor 20 Jahren Stuttgart noch ins bundesdeutsche Schienennetz integriert war, habe ich die Nachtzugverbindung Stuttgart-Leipzig kennen und lieben gelernt. Als Pendler war es einfach nur genial, auch für Mutter mit Kind. Der Wegfall war eine mittelschwere Katastrophe. Hoffentlich setzen sich die Nachtzüge wieder durch, ich wäre begeistert.

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am 11.10.2020 21:54 Uhr

Ich hoffe, daß diese Verbindungen auf einem benutzerfreundlichen Portal Buchner sind und die der TEE 2.0 es auch sein werden.
Das derzeitige Buchungsportal der DB ist zum Teil eine nicht fertigkonzipierte oder zu Ende implementierte Frechheit, z.B. funktioniert das Zurückgehen während des Buchungsvorgangs nicht ohne Daten zu verlieren.
Für einen Herrn Scheuer scheint es ja wichtiger zu sein, Luftblasen zu generieren und sich intellektuell indiskutabel zu aktionieren und seine Partei weniger wählbar zu machen, als Probleme der Wählerschaft und der Transportwirtschaft zu lösen.

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