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Wird Alexander Gerst unser Mann auf dem Mond?

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Im Interview spricht Astronaut Alexander Gerst über seine Chancen auf eine Mondmission, wie wahrscheinlich ein Asteroideneinschlag auf der Erde ist und über seine Heimat, das Kochertal.

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Zweimal war „Astro-Alex“ auf der Internationalen Raumstation ISS. Wenn es nach ihm geht, würde er wieder ins All fliegen. Eine Mondmission käme da gerade recht.
Zweimal war „Astro-Alex“ auf der Internationalen Raumstation ISS. Wenn es nach ihm geht, würde er wieder ins All fliegen. Eine Mondmission käme da gerade recht.  Foto: ESA/NASA

Er war bereits zwei Mal auf der Internationalen Raumstation und umkreiste mit ihr die Erde. Dennoch ist der Künzelsauer Astronaut Alexander Gerst einer, der auf dem Boden bleibt. Wir haben mit ihm über die Mission Mond, die Begeisterung für Raumfahrt und seine Heimat, das Kochertal, gesprochen.

 

Herr Gerst, werden Sie der erste Deutsche und damit auch der erste Hohenloher auf dem Mond?

Alexander Gerst: Das weiß ich leider nicht, dafür bräuchte ich eine Kristallkugel. Es gibt noch einige Meilensteine bis dahin.


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Wären Sie es denn gerne?

Gerst: Ich würde mich, nicht nur als Astronaut, sondern natürlich auch als Geophysiker sehr darüber freuen. Aber meine Kolleginnen und Kollegen vom Europäischen Astronautencorps würden vermutlich auch nicht Nein sagen.

 

Das Raumschiff haben Sie ja bereits inspiziert.

Gerst: Ja, das Orion-Raumschiff sieht schon ganz gut aus. Das ist vor allem zur Hälfte in Deutschland gebaut, was viele gar nicht wissen.

 

Auch aus Lampoldshausen kommen Teile.

Gerst: Richtig, beispielsweise die Lageregelungstriebwerke. Das sind kleine Steuerdüsen, mit denen man die Raumkapsel drehen kann. Die sind extrem wichtig. Dass die aus Lampoldshausen kommen, finde ich toll. Als kleiner Bub hat es mich sehr beeindruckt, dass man das Grollen der Triebwerke der Ariane-Rakete, die dort getestet wurden, manchmal bis zu uns ins Kochertal hören konnte.


Konnten Sie schon Testsitzen?

Gerst: Nein, leider sind noch keine richtigen Sitze eingebaut. Aber an der Stelle sitzen auch gerade Helga und Zohar, die Strahlenmesspuppen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Aber ich saß natürlich schon öfter im Trainingsmodul.


Dass Sie aktuell das Pangaea-Training absolvieren, das Astronauten für eine mögliche Mondmission vorbereitet, lässt hoffen, dass Sie in der engeren Auswahl sind. Was erforschen Sie dabei?

Gerst: Das Training ist nicht nur für mich, sondern für alle, die zum Mond fliegen könnten – und das sind im Grunde alle erfahrenen Astronauten. Die Auswahl der Crew liegt noch einige Zeit in der Zukunft. Wie weit genau, hängt auch von der weiteren Entwicklung bei Artemis ab. Wenn der Testflug Artemis I gut läuft, wird es bald regelmäßige Missionen zum Mond geben. Auf mindestens drei Missionen werden dann auch Europäerinnen und Europäer dabei sein. 

 

Und dafür braucht es das Pangaea-Training?

Gerst: Definitiv, denn es geht darum, alle Astronauten fit zu kriegen für das, was wir auf der Mondoberfläche tun werden. Viele Kollegen sind ja keine Geophysiker oder Geowissenschaftler. Man möchte allen das gleiche Grundwissen vermitteln, welches für eine Mondexpedition erforderlich ist. Auf dem Mond werden nicht nur Experimente durchgeführt, die man vorher auf der Erde geübt hat. Man ist dort Geowissenschaftler, muss die Umgebung verstehen lernen und das neue Wissen präzise an die Kollegen auf der Erde übermitteln. Vieles kann man zwar mit Fotos festhalten, aber als Mensch erfasst man Dinge häufig besser, wenn man in der Umgebung drin ist, sie sieht, fühlt und sich umschaut. Das müssen wir kommunizieren können.

 

Ein Beispiel?

Gerst: Statt zu sagen, ich habe einen Stein gefunden, da sind grüne Kristalle drin und er ist umgeben von schwarzem, feinem Gestein, sagt man eben, der sieht aus wie ein Basalt. Das Wissen muss man sich aber aneignen. Man muss ein Gefühl dafür kriegen, welche Gesteinsarten existieren, dass etwa Sedimentgesteine, die wir auf dem Mars erwarten, ganz anders aussehen als Vulkangestein, das wir auf dem Mond erwarten.

 

Sie selbst haben dieses Wissen aber bereits...

Gerst: Zum Teil schon, denn ich habe als Geophysiker und Vulkanologe promoviert. Deshalb ist das so eine Art Reise in meine Vergangenheit. Dabei kann ich jetzt mein Wissen mit den aktuellsten Informationen etwas auffrischen. Wir haben Experten aus ganz Europa dabei, die führend in ihrem Gebiet sind, und die kann ich mit vielen Fragen löchern, das ist wunderbar. Und deshalb war es ein sehr lehrreiches Training.


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Was haben Sie denn Neues gelernt?

Gerst: Na ja, ich hatte bisher viel mit Vulkanen zu tun, mit Einschlagkratern eher weniger. Deshalb war die Woche im Nördlinger Ries wirklich spannend. Ich habe gelernt, wie Gesteine aussehen, die von einem Meteoriteneinschlag zertrümmert wurden und wie man diese erkennt. Wenn man das weiß, dann erkennt man diese eben auch auf dem Mond. Und darum geht’s.

 

Sie haben vor Kurzem auf Twitter geschrieben: „Unser kosmisches Umfeld zu verstehen, wird eines Tages überlebenswichtig für unsere Spezies sein.“ Was meinen Sie damit?

Gerst: Wir müssen uns als Inselvolk sehen auf diesem kleinen blauen Planeten, der vom großen schwarzen Kosmos umgeben ist. Und dieser Kosmos kann uns irgendwann gefährlich werden, etwa durch Sonnenstürme, die unsere gesamte Elektrizitätsversorgung innerhalb von Sekunden ausschalten können. Oder eben auch durch Asteroiden, die Kurs auf die Erde nehmen und als Meteoriten einschlagen können. Das ist den Dinosauriern zum Verhängnis geworden, was man am Krater im Nördlinger Ries erkennen kann. Dabei war das eher ein kleinerer Brocken von 1,5 Kilometern.

 

Klein?

Gerst: Absolut, der war nur etwa ein Siebtel so groß wie der Asteroid, der die Dinosaurier ausgelöscht hat, hatte also vermutlich weniger als ein Prozent von dessen Masse. Aber schon ein solcher Brocken, der mit etwa 70.000 Kilometern pro Stunde in unseren Planeten rast, verursachte einen Krater, in den ganz München passen würde. Und er hat im Umkreis von 100 Kilometern sämtliches Leben ausgelöscht. Und das wird wieder passieren. Die Frage ist nur, wann.

 

Okay, wann?

Gerst: Es ist relativ unwahrscheinlich, dass uns so ein großer Asteroid trifft, aber ein kleinerer würde ausreichen, um eine Großstadt komplett zu zerstören. Wir wissen jedoch nicht genügend über die Wahrscheinlichkeit. Auf der Erde sehen wir davon nur wenige Überreste. Diese werden schnell von Erosion, Vegetation und ähnlichem bedeckt. Auf dem Mond sind die Krater, die in den letzten Jahrmillionen entstanden sind, eins zu eins erhalten. Bei einer Mondexpedition können wir untersuchen, wie alt diese sind. Die Daten, die wir dort erhalten, helfen uns, die Wahrscheinlichkeit eines Asteroideneinschlags in den Mond oder in die Erde besser berechnen zu können. Dazu müssen wir zum Mond und sehr viele Gesteine untersuchen. Hinzu kommt, dass wir nicht wissen, was im genauen Ablauf passiert, wenn so ein Brocken auf die Erde einschlägt. Wie viel Material dieser hochschleudert, dessen Klimawirkung, und ob vielleicht eine 50 Kilometer entfernte Stadt überlebt oder zerstört wird. Solche Erkenntnisse erhoffen wir uns vom Mond.

 

Und wenn man es dann genauer weiß und ein Brocken fliegt auf uns zu, was macht man dann?

Gerst: Das ist eine wichtige Frage. Das ist das, was die Dart-Sonde der Nasa, die in den vergangenen Tagen auf den Test-Asteroiden eingeschlagen ist, zeigen soll. Die Hera-Sonde startet dann in wenigen Jahren in Europa und misst, was da genau passiert ist und ob der Asteroid in seiner Bahn wie gewünscht abgelenkt worden ist. Man muss die technischen Herausforderungen und die Erfolgschancen einer solchen Aktion vorher abschätzen können. In der letzten Zeit ist es ein paarmal passiert, dass ein Asteroid sehr nah an der Erde vorbeigeflogen ist. Das hat man erst einige Tage vorher, einmal sogar erst danach bemerkt.

 

Das ist nicht gerade Vertrauen erweckend...

Gerst: Wir bei der Esa arbeiten daran, Gefahren aus dem Weltraum besser zu erkennen. Mit erdgebundenen Teleskopen, mit Sensoren im Weltraum, und durch ein besseres Verständnis des Erde-Mond Systems, auch durch astronautische Erforschung. Und genau für solche Projekte erbitten wir die Unterstützung der Entscheidungsträger bei der anstehenden Ministerratskonferenz im November. Übrigens könnte uns sehr wahrscheinlich auch ein Teleskop auf der Rückseite des Mondes, abgeschirmt von der irdischen Störstrahlung, dabei helfen, Gefahren aus dem Weltraum schneller zu erkennen.


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In der Raumfahrt wird die internationale Zusammenarbeit gelebt und ist auch existentiell. Wie funktioniert das vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges mit Russland?

Gerst: Der Krieg ist zuallererst eine Katastrophe für die Menschen in der Ukraine. Und zudem ist er ein großer Verlust für die Zusammenarbeit in der Wissenschaft, nicht nur in der Raumfahrt. Es wurden viele Forschungsprojekte gestoppt oder radikal umgeplant, wie beispielsweise Exomars, ein ehemals gemeinsames Programm von Esa und der russischen Weltraumagentur Roskosmos zur Erforschung des Mars. Bei der ISS haben sich die Mitgliedsstaaten entschieden, die Kooperation fortzuführen. Ein Abbruch wäre hier nicht möglich, das würde die ISS nicht überleben und es würde die Crew gefährden. Noch dazu wäre der Schaden für die Wissenschaft beträchtlich. Gerade jetzt wäre das schädlich, da wir das goldene Zeitalter der ISS erleben, indem wir den maximalen Return of Investment ernten und so viele Experimente wie nie durchführen – zum Wohle aller Menschen auf dieser Erde. Ein Abbruch würde uns von wichtigen Erkenntnissen abschneiden, auf die wir in Zukunft angewiesen sind. In der Mondforschung hat sich Russland dazu entschieden, nicht mehr mit den westlichen Nationen zusammenzuarbeiten, sondern mit China. Mir persönlich wäre eine weltumspannende Kooperation lieber gewesen, aber Konkurrenz belebt auch das Geschäft. Europa kooperiert nach wie vor mit vielen Nationen, darunter die USA, Kanada und Japan.

 

Die ISS-Missionen haben viel Rummel um Ihre Person ausgelöst. Wird das auch mal zu viel?

Gerst: Eigentlich geht es nicht um meine Person, sondern um eine Begeisterung der Menschen für die Raumfahrt. Das ist ein Kompliment für unsere Arbeit, also die der Esa und der nationalen Agenturen wie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Und wir brauchen diese öffentliche Unterstützung auch, gerade jetzt, da ambitionierte Entscheidungen gefragt sind, sonst verlieren wir Europäer den Anschluss. Mir ist es ein Anliegen, den Menschen zu verdeutlichen, warum es wichtig für uns alle ist, dass wir den Weltraum erforschen. Deshalb habe ich diese Gedanken auch in den sozialen Medien geteilt. Der Nebeneffekt, dass ich dadurch oft im Mittelpunkt stehe, ist mir manchmal etwas unangenehm. Aber ich akzeptiere das als Teil meines Jobs. Wenn die Leute respektvoll sind, was meistens der Fall ist, ist das auch in Ordnung. 

 

Aber nicht jeder bekommt eine solche Resonanz.

Gerst: Das kann ich selbst nicht beurteilen. Ich versuche meine Person nicht in den Vordergrund zu stellen. Mir ist die Botschaft wichtig. Und mit der hatte ich oft leichtes Spiel, da ich dort oben einzigartige Perspektiven einfangen konnte, welche neugierige Menschen, so wie mich, beeindruckt haben. Und wenn ich etwas Besonderes sehe, dann habe ich immer das Gefühl, es auch teilen zu müssen. Jedes Privileg kommt mit einer Verantwortung. Für mich ist es das größte Kompliment, wenn Eltern zu mir kommen und mir erzählen, dass ihre Tochter mich bei der Sendung mit der Maus gesehen hat und jetzt Wissenschaftlerin werden will. Oder Astronautin. Das passiert immer wieder und das ist dann wirklich schön.

 

Wie wichtig ist es, sich auf die Wurzeln zu besinnen und die Familie, damit man nicht abhebt?

Gerst: Meine Familie und meine Freunde sind das Allerwichtigste in meinem Leben. Ich bin oft zu Hause im Kochertal, und zum Beispiel mit dem Mountainbike unterwegs. Das entspannt mich. Ich habe außerdem das Glück, Freunde zu haben, die mir offen sagen, wenn ich etwas ändern sollte. 

 

Vom All aus ist Hohenlohe ein winziges Fleckchen. Was macht es dennoch besonders?

Gerst: Der Ort, an dem man aufwächst, noch dazu, wenn man wie ich eine tolle Kindheit hatte, das ist einfach ein besonderer Ort. Wenn ich ins Kochertal reinfahre und die Weinberge, die Wälder und Wiesen sehe, dann geht mir das Herz auf. Das passiert inzwischen auch an anderen Orten wie Köln und Hamburg, die ich liebgewonnen habe. Aber ich glaube, so intensiv wie das Gefühl, in die Heimat zu kommen, wird es woanders nie.


Einen wichtigen Teil Ihrer Vorbereitung für den Mond haben wir vergessen: Gesangsstunden bei Annâweech. Denn Sie haben auf Twitter angekündigt, auf dem Mond zu singen.

Gerst: Da war ich wohl etwas leichtfertig. (lacht) Die Nasa hat ein Musikvideo für die Artemis-Mission gedreht und uns gebeten, dafür „Fly me to the Moon“ zu singen. Singen gehört nicht zu meiner Kernkompetenz. Ich habe also versucht, durch Kreativität davon abzulenken und gesungen, während ich mit meinem Gleitschirm in den Bergen flog. Bevor ich also auf dem Mond lande, sollte ich wohl besser noch eine Gesangsstunde nehmen, zur Sicherheit aller Beteiligten.


Dieser Artikel wird in unserem Nachrichten-Podcast AbendSTIMME erwähnt - für weitere Nachrichten aus der Region können Sie hier den ganzen Podcast anhören.

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