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Bauernproteste: Minister Özdemir bringt die Stimmung in Erlenbach zum Kippen

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Landwirtschaftsminister Cem Özdemir stellte sich in Erlenbach bei einem Bürgerdialog wütenden Landwirten und Weingärtnern. Anfangs gab es "Buh"-Rufe, dann kippte die Stimmung.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir stellte sich in Erlenbach wütenden Landwirten und Weingärtnern.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir stellte sich in Erlenbach wütenden Landwirten und Weingärtnern.  Foto: Kunz, Christiana

Wenn Erlenbach bislang Schlagzeilen machte, dann höchstens für sein heimeliges Weinfest, zu dem Wengerter und Vereine im August laden. Ein beispielloses Medienspektakel gab es am Dienstagabend – als Reporter von "Spiegel", "Bild", "Süddeutscher Zeitung" und zahlreiche Fernsehsender in das Dorf bei Heilbronn drängten.

Kurzfristig hatte Cem Özdemir, grüner Bundeslandwirtschaftsminister, sich zum lange geplanten Bürgerdialog der grünen Landtagsfraktion um Ministerpräsident Winfried Kretschmann angemeldet. Seine Mission: mit Landwirten ins Gespräch kommen, die seit Wochenbeginn mit Traktoren durch die Republik fahren, um ihre Wut über die Sparpläne der Bundesregierung für den Agrarsektor zum Ausdruck zu bringen (Stimme.de berichtet im Newsblog).


Angesichts der Drohkulisse aus Dutzenden landwirtschaftlichen Maschinen und anfänglichen lauten "Buh"-Rufen rund um die Sulmtalhalle ist das ein mutiges Vorhaben – und es läuft am Ende für den Berliner Minister besser, als es zu erwarten gewesen wäre.

Proteste bei grünem Bürgerdialog: Erlenbach als Symbol für eine intakte dörfliche Struktur

Der Ort für die Austragung des Konflikts könnte passender kaum sein. Erlenbach, die kleine Weinbaugemeinde mit ihrem dörflichen Charme, den vielen Besenwirtschaften und dem regen Vereinsleben, kann als Symbol verstanden werden. Ein Symbol für die intakten dörflichen Strukturen, für die auch die Bauern seit Jahrhunderten stehen, die aber mit dem Sterben kleiner Höfe immer mehr verschwinden. Gleichzeitig sind die Ansprüche der Verbraucher an Lebensmittel hoch. Sie sollen regional sein, bio, das Fleisch aus artgerechter Haltung – und doch wenig kosten.

Die Bauern sind die Leidtragenden dieser Entwicklung. Das ist die großen Konfliktlinie. Der Streit um den Agrardiesel sei lediglich eine Metapher "für die Unzufriedenheit mit vielen Jahrzehnten Landwirtschaftspolitik in der Bundesrepublik", konstatiert der Gast aus Berlin. Dabei sei die Landwirtschaft eine tragende Säule der Gesellschaft, denn sie sorge dafür, dass die Menschen zuverlässig mit Lebensmitteln versorgt würden.

Gleichzeitig engagierten sich Landwirte in Kirchengemeinderäten, bei der Feuerwehr und sie seien die ersten gewesen, die während der Flut im Osten und Norden der Republik uneigennützig geholfen hätten. "Sie sind die Leistungsträger", so Özdemir, an den Saal gewandt. "Die Gesellschaft profitiert von Ihnen, dafür sollen Sie auch ein auskömmliches Einkommen haben."

Özdemir bei Bürgerdialog in Erlenbach: Die Stimmung kippt – ins Positive

Dann zählt er auf, was er in Berlin und Brüssel für die Landwirtschaft erreicht habe und weiter erreichen will und schafft damit, was Winfried Kretschmann zuvor nicht gelungen ist: den Saal zu befrieden. Immer mehr zustimmendes Gemurmel ist zu hören, je länger Özdemir spricht. "genau", "richtig" ruft es aus dem Teil des Saals, wo viele Männer in Arbeitskleidung stehen. Mit jeder Minute wird lauter und häufiger geklatscht, die Stimmung schlägt um.

Seine Branche sei am Sterben, die Verdienste seien immer mehr gesunken, sagt der Beilsteiner Weingärtner Hartmann Dippon. Die zusätzliche Bürokratie habe außerdem dazu geführt, dass er sich gegängelt fühle. "Ich halte mich für einen aufrechten Demokraten, aber zunehmend komme ich mir selbst vor wie ein Wutbürger." Die Rede des Ministers habe ihn immerhin davon überzeugt, dass dieser ihnen ernsthaft helfen wolle, so Dippon.

Sein Oedheimer Kollege Bernhard Herold stimmt mit der Einschätzung des Ministers überein, dass der Aufstand gegen die Kürzungen beim Agrardiesel ein Symbol sei. Letztlich gehe es um angemessene Preise für ihre Erzeugnisse. "Ich brauche einfach einen Euro pro Kilo Trauben, ansonsten kann ich nur noch Plörre für den Tetrapack produzieren."

Klare Botschaften, entschlossenes Auftreten: Özdemir überzeugt in Erlenbach

Während Kretschmann bei seiner Rede die Stimme versagt, gelingt es Özdemir, sich laut und mit klaren Aussagen als empathischer Kümmerer zu präsentieren. Der Bürgerdialog und der weitere Verlauf der Bauernproteste – sie könnten nach dem Abend in Erlenbach womöglich zur Weichenstellung über die Nachfolge des 75-jährigen Kretschmann werden.

 

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