Einig sind sich Union und SPD darüber, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern und Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan möglich zu machen. Freiwillige Aufnahmeprogramme, beispielsweise mit Afghanistan, sollen beendet werden und der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige soll für zwei Jahre ausgesetzt werden. Unter den beteiligten Politikern in der Arbeitsgruppe eins war auch der CDU-Abgeordnete Alexander Throm.
Koalitionsverhandlungen: Wie es in der Migrationspolitik weitergehen könnte
Die Spitzen von Union und SPD verhandeln auf der Basis der 16 Arbeitsgruppen aktuell über einen möglichen Koalitionsvertrag. Unter anderem beim Thema Migration herrscht Uneinigkeit. Um welche Punkte es geht und wie eine Lösung aussehen könnte.

Aktuell verhandeln die Spitzen von Union und SPD über einen möglichen Koalitionsvertrag. Noch herrscht viel Klärungsbedarf, so auch beim Thema Migration. Dr. Raphael Bossong ist Migrations- und Europa-Experte bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf der Grenzsicherung und den Auswirkungen der Migrationskrise in der EU sowie auf der EU-Antiterrorismuspolitik. Er ordnet die Ergebnisse der Arbeitsgruppe - zuständig für Inneres, Recht, Migration und Integration - ein und erklärt, wie mögliche Kompromisse aussehen könnten.
Zurückweisungen an den Grenzen: Unterschiedliche Auffassung von Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten
Über kaum ein Thema wurde im Wahlkampf mehr gestritten, als über die Forderung, mehr Zurückweisungen an den deutschen Grenzen durchzuführen. Nun hat sich die Arbeitsgruppe auf die Formulierung geeinigt, „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen“ vorzunehmen. Was heißt „in Abstimmung“ genau und wie soll es konkret Zurückweisungen möglich machen?
„Das ist die große Frage. Es ist kein Zufall, dass diese Formulierung so ambivalent ins Arbeitsgruppenpapier übernommen worden ist“, sagt Raphael Bossong. Man wolle durch diese Unschärfe das Problem nicht sofort wieder zum Sprengstoff werden lassen. Für die SPD bedeute das klassischerweise, man mache das nicht alleine, ähnliche Vereinbarungen gebe es beispielsweise mit der Schweiz. Deutsche Polizisten dürfen an der Grenze auf Schweizer Territorium kontrollieren. Greifen sie dort jemanden auf, der Asyl beantragt, wird er direkt an die Schweiz übergeben.
Druck auf Nachbarstaaten erhöhen - Experte hält diese Option für fraglich
So könnte die Kooperation auch mit anderen Nachbarstaaten aussehen, aber ein Kernproblem ist hier: Wann gilt eine Person als eingereist und wann nicht? „Daran scheiden sich die Geister. Die dominante Meinung unter Experten ist, dass wenn Leute an der Grenze von der Bundespolizei aufgehalten werden, dann sind sie eingereist und es geht keine unmittelbare Zurückweisung mehr. Dann muss man zumindest einmal das Dublin-Verfahren machen“, erklärt Bossong.
Die CDU-Position sei dagegen eine andere. Hier wolle man sich mutmaßlich „nicht von Partnern abhängig machen“. Das betonte Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Union, am Dienstag nochmals im ZDF-Morgenmagazin. Die Vorstellung sei, man übe konsequent so viel Druck aus, dass die Nachbarstaaten ihrerseits Druck auf ihre Nachbarstaaten ausüben - bis das Problem an der EU-Außengrenze liege und es sich nach „ein bisschen Knirschen und Schock“ einpendle.
Allerdings ist es laut des Experten zum einen fraglich, ob dieser Domino-Effekt funktioniere und zum anderen bleibe dann die Frage: „Was passiert an den Außengrenzen?“ Die Gefahr, dass noch mehr illegale Push-backs und Rechtsbrüche stattfinden würden, könnte steigen. „Das halte ich für hochproblematisch und riskant. Ich glaube nicht, dass die Union das letztendlich machen wird“, sagt Bossong.
Keine Einigkeit über Drittstaaten-Modell und Zukunft des Chancenaufenthaltsrechts
Auseinander liegen Union und SPD auch bei der Frage, ob Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden sollen. Die Union hält daran fest, die SPD lehnt das ab. Neu ist, dass die Union dies mittlerweile nur noch als „Modell“ für Personen sieht, die „für Putins hybride Kriegsführung gegen Europa als illegale Migranten instrumentalisiert werden“. Das sei ein Zeichen, dass die Union vorläufig davon Abstand genommen habe, man das Modell aber nicht ganz aufgeben wolle, ordnet der Experte ein. „Es ist nicht mehr der große Systemwechsel.“
Gegensätzlich sind die Positionen hinsichtlich der Zukunft des Chancenaufenhtaltsrechts. Die SPD will es stärken, die Union abschaffen. Das Chancenaufenthaltsrecht ist seit Anfang 2023 in Kraft und soll Menschen mit langjähriger Duldung eine dauerhafte Bleibeperspektive ermöglichen. Hierfür erhalten sie eine einmalige, befristete Aufenthaltserlaubnis von 18 Monaten. Um ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten, müssen sie in dieser Zeit Integrationsleitungen nachweisen, ihre Identität klären sowie ihren Lebensunterhalt selbstständig sichern können. Mithilfe des Gesetzes soll vermieden werden, dass Menschen jahrelang in sogenannten Kettenduldungen leben.
„Es geht hier um zwei Grundverständnisse“, sagt Rapahel Bossong. „Das konservative Argument ist, dass man mutmaßlich keine falschen Anreize setzen will, man will Klarheit und keine Verwirrung zwischen Arbeits- und Asylmigration.“ Das Chancenaufenthaltsrecht vereinfacht aber eben den sogenannten „Spurwechsel“. Das andere Argument sei, dass man sich selbst Probleme heranzüchte, wenn man den vielen Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland in dauerhaften Duldungen leben, keine Perspektive aufzeige. Zwar sei das Gesetz relativ neu, doch der Experte hält es für grundsätzlich „positiv und sinnvoll“.
Für die Einigkeit zwischen Union und SPD sieht er hier „Raum für Kompromisse“, wenn man das Gesetz enger auslege. „Ich würde mich nicht wundern, wenn am Ende ein geschärftes Modell herauskommt.“

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