Zur Person: Dr. Aiko Wagner, 1982 in Berlin geboren, studierte Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Derzeit arbeitet er am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und forscht zu Parteiensystemen, Wahlen und politischem Verhalten.
Blitzaufstieg des BSW: Warum die Partei genauso schnell wieder verschwinden könnte
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) feiert einen rasanten Aufstieg und mischt die deutsche Parteienlandschaft auf. Der Höhenflug könnte aber genauso schnell wieder enden, meint Politikwissenschaftler Dr. Aiko Wagner.

Kaum eine Partei ist so schnell aufgestiegen wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Es ist noch kein Jahr alt, hat aber schon in drei Bundesländern Koalitionsgespräche geführt. Jetzt bereitet es sich auf die Bundestagswahl vor. Wagenknecht selbst stand beim Stimme.tv-Live-Talk „Ohne Ausrede“ Rede und Antwort.
Politikwissenschaftler Aiko Wagner, vom Otto-Suhr-Institut zu Berlin, beschäftigt sich schon seit langem mit populistischen Parteien. Er erklärt den Erfolg des BSW – und weshalb es ebenso schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden kann, wie es aufgestiegen ist.
Herr Wagner, gab es in Deutschland schon einmal eine Partei, die ähnlich schnell Erfolg hatte wie das BSW?
Nein, dass eine Partei in mehreren Bundesländern so schnell zweistellige Wahlergebnisse erzielt, hat es deutschlandweit bisher nicht gegeben.
Wie hat das BSW das geschafft?
Populistische Parteien wie das BSW profitieren derzeit von der Unzufriedenheit vieler Bürger. Das BSW vereint sozialpolitisch eher linke Positionen mit gesellschaftlich konservativen Ansichten. Vor allem in Ostdeutschland hat es viel Zustimmung, wo es aus historischen Gründen eine emotionale Nähe zu Russland, Skepsis gegenüber der NATO und eine geringere Westbindung gibt.
Es zieht eine ähnliche Gruppe wie die AfD an, die vielen Wählern aber doch zu extremistisch ist. Zudem sind die Wähler offener geworden. Bis in die 1970er-Jahre gab es starke Parteiloyalitäten, doch die haben sich zunehmend aufgelöst. Die Menschen sind heute bereit, anders zu wählen und sich kurzfristig umzuorientieren – ein Vorteil für neue Parteien.

Die Wählerschaft der Partei ist größtenteils älter. Müssten neue Parteien nicht versuchen, auch jüngere Wähler anzusprechen?
Das Wahlprogramm des BSW bietet keine Vision für die Zukunft – es geht eher um die Bewahrung des Status quo und eine Rückkehr zu früheren, vermeintlich besseren Zuständen. Das spricht ältere Menschen an. Die jüngeren Generationen sind dagegen meist etwas liberaler, also das Gegenteil der konservativen Linie des BSW.
Das BSW hat viele Versprechen gemacht, die schwer umsetzbar sein dürften. Wird ihnen das zum Verhängnis?

Das hat tatsächlich eine gewisse Ironie. Selbst wenn Sahra Wagenknecht mit ihrer Partei eine Mehrheit im Bundestag hätte, könnte sie den Ukraine-Krieg nicht einfach beenden oder wieder Gas aus Russland beziehen. Doch eine neue Partei muss Alternativen anbieten – sonst hätte sie keinen Grund, anzutreten. Ob diese Versprechen später zum Problem werden, wird sich zeigen.
Viele vermuten, dass das BSW trotz Wahlerfolgen kein Interesse an Landeskoalitionen hat.
Das könnte sein. Um auf Landesebene mitzuregieren, müsste das BSW Kompromisse eingehen und könnte das eigene Programm nicht vollständig umsetzen. Das würde signalisieren: „Wir sind zwar dabei, aber es ändert sich trotzdem nicht viel.“
Welche Auswirkungen hätte eine mögliche Koalition auf Landesebene und die daraus resultierenden, nicht umsetzbaren Versprechen auf die Chancen der Partei bei künftigen Wahlen?
Dies könnte die Bundestagswahlchancen der Partei deutlich schwächen. Durch das Nichteinhalten von Versprechen würde das ein klares Signal senden: „Mit diesen Partnern lassen sich unsere Ziele nicht verwirklichen.“ Wenn die Umsetzung auf Landesebene schon schwierig ist, wie soll es dann im Bund funktionieren? Dadurch könnte die Partei weniger attraktiv werden und vielleicht sogar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.
Und bei der übernächsten Bundestagswahl 2029 – wo sehen Sie das BSW dann?
Das hängt von vielen Faktoren ab. Aber das Wählerpotenzial des BSW ist groß. Momentan können sich laut Umfragen 20 Prozent vorstellen, für das BSW zu stimmen. Entscheidend wird jedoch die internationale Lage sein, die für das BSW eine zentrale Rolle spielt. Was passiert, wenn der Ukraine-Krieg endet? Die Partei könnte entweder schnell an Relevanz verlieren – oder aber sich ähnlich etablieren wie die AfD durch die Flüchtlingsdebatte. Im Prinzip ist alles möglich.
Kann es dann sein, dass die Partei genauso schnell abstürzt, wie sie aufgestiegen ist?
Das ist durchaus möglich. Die nächsten beiden Wahlperioden werden entscheidend sein. Bleiben Erfolge aus, könnte die Partei schnell in die Bedeutungslosigkeit abrutschen und – wenn überhaupt - nur noch lokal erfolgreich auftreten. Es hängt aber auch sehr von Sahra Wagenknecht persönlich ab.

Also ohne Sahra Wagenknecht kein BSW?
Sahra Wagenknecht ist eine prominente, polarisierende Figur und das Gesicht der Partei. Das hat ihr sehr geholfen, sie prägt den Kurs maßgeblich. Zugleich ist der Job als Spitzenpolitiker hart und herausfordernd, wie das Beispiel von Kevin Kühnert bei der SPD zeigt und auch Wagenknecht selbst litt schon mal an einem Burn-out. Die Partei ist stark auf Wagenknechts Linie ausgerichtet, und Abweichungen davon sind nicht gern gesehen.
Sie sprechen den Konflikt mit der BSW-Spitzenkandidatin in Thüringen, Katja Wolf, an. Entstehen da bereits erste Lager innerhalb der Partei?
Nein, die Partei ist sehr klein und besteht aus handverlesenen Mitgliedern, sodass kaum Raum für relevante interne Strömungen bleibt. Dennoch zeigt dieser Konflikt: Wer zu weit von der Parteilinie abweicht, wird zurechtgewiesen – und das wohl stärker als in anderen Parteien.
Was bedeutet das für die Zukunft von Katja Wolf im BSW?
Sie muss sich an die Linie Wagenknecht halten. Da gab es von Wagenknecht, dem Europaabgeordneten Fabio De Masi und vom Schatzmeister Ralph Suikat sehr harte Vorwürfe gegen die ihrerseits durchaus populäre und erfahrene Katja Wolf. Dauerhaft wäre eine Position gegen die Bundesebene wohl schwer durchzuhalten, daher versuchen auch alle Seiten, den Konflikt nicht zu groß werden zu lassen.

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