In bayerischer Trachtenmode zum Cannstatter Volksfest auf den Wasen: Muss das sein?
Lederhose und Dirndl sind aus Festzelten wie beim Cannstatter Volksfest in Stuttgart nicht mehr wegzudenken. Darf es bayerische Mode sein, auch wenn es sich um ein schwäbisches oder fränkisches Fest handelt? Unsere beiden Redakteure sind unterschiedlicher Meinung.
Pro
Von Wolfang Müller
Um es gleich vorwegzusagen: Die Krachlederne mit Hosenträgern und Hirschgeweih kommt mir ebenso wenig in den heimischen Kleiderschrank wie der anthrazitfarbene Trachtenjanker, wollene Kniestrümpfe oder braune Haferlschuhe. Trotzdem: Lederhose und Dirndl gehören zum Cannstatter Wasen mittlerweile ebenso wie kugelrundes Glasornament oder Kerzenschein zum Weihnachtsbaum.
Sie sind keine bierernste Angelegenheit, sondern Ausdruck unbeschwerter Lebensfreude und der Lust am Feiern. Sie sind Blickfänge in den Bierzelten, und sie verleihen Volksfesten deren charakteristische Atmosphäre. Was wäre der Cannstatter Wasen für ein Volksfest, wenn die Besucher ausnahmslos daherkämen, als würden sie gerade im Supermarkt einkaufen?
Und weil es angesichts des moralischen Zeigefingers dazugesagt werden muss: Ja, bayrische Tracht hat auf dem Cannstatter Wasen keine Tradition. Trotzdem nein, Dirndl und Lederhosen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt sind keine kulturelle Aneignung. Ebenso wenig wie Hexenmasken an Halloween oder das Winnetou-Kostüm an Fasching. Sexistisch sind sie auch nicht. Frauen dürfen ebenso unverdächtig Kleider tragen wie Männer kurze Hosen.
Contra
Von Tobias Wieland
In Tracht ein Volksfest besuchen? Rein gar nichts spricht dagegen. Nur wäre es schon angebracht, die Damen und Herren würden bei der Kleiderwahl ein wenig Geschichtsbewusstsein erkennen lassen.
Karohemd, kurze Lederhose, Hut mit Gamsbart – das dürfen Volksfestgänger im alpinen Raum gerne tragen. Wobei das Karohemd selbst dort keine Tradition hat. Auf Feste wie den Cannstatter Wasen gehört die häufig nur modisch nachempfundene, angeblich bayerische Tracht jedoch nicht – und auch nicht auf Veranstaltungen wie das kürzlich zu Ende gegangene Fränkische Volksfest in Crailsheim und das – sprachwissenschaftlich betrachtet – ebenfalls fränkische Volksfest in Heilbronn.
Bayern-Stil in Franken und Schwaben kopieren? Das macht wenig Mühe. Weniger einer Mode hinterherrennen, sondern eigene Akzente setzen – das sollte das Motto sein. Dann auch gerne mit Hohenloher Dreispitz auf dem Kopf, weißem Leinenhemd oder -bluse und württembergisch verzierten Trachtenjankern und Schürzen. Komisch, dass sich die immer individualistischere Jugend bei Wasen und Co. auf Einheitsbrei verständigt hat.