Klaffende Lücke an Arbeitskräften: (Null) Bock auf Arbeit?
Politik und Wirtschaft müssen rasch Antworten auf die neuen Realitäten in der Arbeitswelt finden, meint unser Autor. Denn mit immer weniger Arbeit wird es nicht funktionieren.

Will denn hier niemand mehr arbeiten? Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man dieser Tage mit Unternehmern und Personalverantwortlichen spricht. Wo es in Bewerbungsgesprächen früher um Gehalt, Dienstwagen oder Aufstiegschancen ging, stehen heute Vier-Tage-Woche, mobiles Arbeiten und Sabbatical im Mittelpunkt.
Die Prioritäten der Bewerber, längst nicht nur der Jungen, haben sich verschoben. Geld und Karriere sind vielen Menschen heute weniger wichtig als Zeit für sich und die Familie. Daraus pauschal zu folgern, dass niemand mehr arbeiten wolle, ist jedoch überzogen. Die Menschen sind sehr wohl bereit, sich reinzuhängen, wenn sie einen Sinn in ihrer Tätigkeit sehen. Die boomende deutsche Start-up-Szene ist dafür ein gutes Beispiel. Doch wer seine Arbeit ohne Begeisterung nur verrichtet, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, wird sich früher oder später nach etwas anderem umschauen. Weil er es kann.
Das ist der große Unterschied zu früher. Vor 20 Jahren konnten sich die Unternehmen die besten Bewerber rauspicken, weil die Konkurrenz riesig war. Doch seit einigen Jahren haben wir einen Bewerbermarkt − die Interessenten können sich den Arbeitgeber aussuchen. Dass sie das ausnutzen, kann man ihnen kaum vorwerfen. Nie zuvor hatten Arbeitnehmer so viele Möglichkeiten, eine selbstgewählte Berufstätigkeit mit ihren persönlichen Interessen zu vereinbaren.
Die Wirtschaft ist davon natürlich wenig begeistert. Nicht nur, dass die Unternehmen viel mehr Aufwand betreiben müssen, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Sie müssen auch die Arbeit neu organisieren, weil sie nicht mehr nach den alten Mustern funktioniert. Mobiles Arbeiten gehört spätestens seit Corona zum Standard, auf den Mitarbeiter abgestimmte Teilzeit-Modelle sowie die Möglichkeit, sich längere Zeit auszuklinken, werden heute ebenfalls erwartet. Das wirbelt vor allem im Mittelstand eingespielte Betriebsabläufe durcheinander, ist aber alternativlos, wenn die kleinen und mittleren Unternehmen mit den Konzernen mithalten wollen, die hier meist viel weiter sind. Wer glaubt, seinen Betrieb und seine Mitarbeiter wie vor 20 Jahren führen zu können, ist bald weg vom Fenster.
Viel zu wenig wird jedoch diskutiert, was die neue Arbeitswelt für volkswirtschaftliche Konsequenzen hat. Wenn Millionen von Arbeitnehmern nur noch vier Tage pro Woche arbeiten, wirkt sich das auf Produktivität und Wachstum aus. Denn es ist trotz fortschreitender Automatisierung und Digitalisierung unwahrscheinlich, dass dieselbe Arbeit, die bisher in fünf Tagen geleistet wurde, in absehbarer Zeit in vier Tagen geschafft werden kann.
Klaffende Lücke an Arbeitskräften wird noch größer
Es geht uns nicht die Arbeit aus, sondern die Arbeitskräfte. Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft verlassen alleine im laufenden Jahr 260 .000 Beschäftigte mehr den deutschen Arbeitsmarkt, als Jüngere nachrücken. Die ohnehin schon klaffende Lücke an Arbeitskräften wird also noch größer − und damit zum echten Problem angesichts der gewaltigen Herausforderungen, vor denen das Land mit der klimafreundlichen Transformation der Wirtschaft steht. Daran wird auch die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt nur wenig ändern.
Einen deutlichen Rückgang der Arbeitszeit und des Arbeitsvolumens kann sich Deutschland nicht leisten, zumal das Rentensystem heute schon alles andere als zukunftsfest ist. Politik und Wirtschaft müssen rasch kluge Antworten auf die Frage finden, wie sie den Menschen wieder mehr "Bock auf Arbeit" machen können, wie es Arbeitgeberpräsident Steffen Kampeter formuliert hat. Sonst geht es bergab mit dem einstigen Wirtschaftswunderland Deutschland.