Pro & Contra: Sollte man Twitter jetzt verlassen?
Die chaotische Führung des Twitter-Chefs Elon Musk und fragwürdige Tweets sind für viele Nutzer ein Grund, der Plattform den Rücken zu kehren. Auch Bundeskanzler Scholz soll darüber schon nachdenken. Unsere Autoren sind geteilter Meinung, ob man seinen Twitter-Account löschen sollte.
Pro
Von Valerie Blass
Es reicht. Nach dem unsäglichen Hass-Tweet von Elon Musk gegen den US-Virologen Anthony Fauci ist endgültig klar: Musk ist ein Rechtsaußen-Aktivist, der kein noch so krudes Mittel scheut, um mehr Nutzer für sein neu erworbenes Spielzeug zu generieren. Demokratische Politiker, Wissenschaftler und Journalisten, die Twitter bisher hauptsächlich trugen, kehren dem Medium seit Wochen angeekelt den Rücken. Also muss offenbar eine neue Klientel her, um die sagenhaft teure Übernahme nicht zum wirtschaftlichen Debakel zu machen.
Am Samstag forderte Musk also in bester Trump-Manier, Fauci vor Gericht zu stellen ("My pronouns are: Prosecute/Fauci" - "Meine Pronomen sind: Verfolgt/Fauci"). Eine Äußerung, die darauf abzielt, Verschwörungstheoretiker, Coronaleugner und Rechte anzuziehen. Die Formulierung wird sonst in der LGBTQ-Community genutzt, also bei Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau definieren und ihre Identität mithilfe von Pronomen wie "they/them" ausdrücken - von Rechten wird diese Gruppe leidenschaftlich gehasst.
Zuvor hatte Musk gesperrte rechte Accounts wieder freischalten lassen, darunter Donald Trump, und Moderationsteams radikal verkleinert. Schon diese Schritte hatten darauf hingedeutet, dass Twitter Medium für Hasstiraden werden könnten - womöglich auch mit ganz konkreten Konsequenzen für Betroffene. Es sei nur erinnert an die österreichische Impfärztin Lisa-Maria Kellermayr, die zur Zielscheibe militanter Impfgegner geworden war und schließlich Suizid beging.
Unter diesen Bedingungen sollte sich jeder, auch die Bundesregierung, überlegen, ob Twitter noch ein geeignetes Kommunikationsmedium ist.
Contra
Von Christoph Donauer
Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden, und das drückt es noch milde aus. Elon Musk verhält sich als neuer Twitter-Chef wie die Axt im Walde, vernichtet ungebremst jahrelange Expertise, macht Werbung für die Rechtsaußen-Republikaner und bricht zum Teil deutsche und europäische Gesetze.
Dennoch wäre es falsch, der Plattform den Rücken zu kehren. Twitter ist ein Medium geworden, in dem Politik in Echtzeit passiert. Regierungsmitglieder, Abgeordnete, Wissenschaftler, Journalisten und Augenzeugen teilen dort jeden Tag Neuigkeiten, Standpunkte, Bilder und Videos. Diese Informationsquelle können besonders Journalisten, bei aller gebotenen Vorsicht, nicht außer Acht lassen. Aber auch für alle anderen bietet Twitter einen direkten Draht zu Politikern, Promis und Unternehmen, der in dieser Form einzigartig ist. Die Alternative Mastodon hat diesen Status bei Weitem nicht erreicht, und es ist fraglich, ob sie es jemals schafft.
Es wäre schade, wenn nun all jene, die Twitter mit interessanten Inhalten füllen, die Plattform verlassen und den Hetzern und Idioten das Feld überlassen. Das Internet ist keine Wohlfühloase, genauso wenig wie das echte Leben. Immerhin kann man im Netz unangenehme Nutzer blockieren, stummschalten oder den Kreis derer, die auf die eigenen Tweets antworten dürfen, einschränken. Das gehört aus eigenem Interesse leider dazu.
Die EU muss zeigen, dass sie es ernst meint mit der Losung, das Internet sei kein rechtsfreier Raum. Dazu gehört, Straftaten im Netz genauso wie im echten Leben zu verfolgen und saftige Bußgelder zu verhängen, wenn Musk vorsätzlich EU-Recht bricht. Daran entscheidet sich, ob Twitter wieder zu einem angenehmeren Ort wird.