„Demos gegen rechts“ in Deutschland: Fünf Fragen und einige kritische Anmerkungen
35 Jahre nach den Montagsdemos im Osten und rund 40 Jahre nach den Friedensdemos im Westen gehen die Menschen in Deutschland wieder in Massen auf die Straße. Es geht ums Ganze.

Die Pläne der AfD und wie man darauf reagiert, treibt viele Menschen um. Es formiert sich Protest auf Deutschlands Straßen. Auch in Heilbronn ist eine große Demo geplant, deren Ablauf sogar geändert werden musste. Doch was können die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus bewirken? Der Diskurs darüber hat erst angefangen.
1. Was ist der Grund für die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus?
Auslöser, das scheint eindeutig, sind die Enthüllungen über ein Geheimtreffen von rechtsextremen Aktivisten und AfD-Vertretern in Potsdam, bei dem Pläne zur Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund vorgestellt wurden. Die Überraschung, dass Teile der Alternative für Deutschland solche Ideen verfolgen könnten, mag sich bei vielen Menschen in Grenzen gehalten haben. Entscheidend ist: Mit Umfragewerten von deutlich über 30 Prozent im Osten Deutschlands und steigendem Zuspruch auch im Westen haben solche Überlegungen eine neue Brisanz bekommen. Jetzt wurde vielen Menschen klar, dass die AfD – wie Rechtspopulisten und Nationalisten in anderen Ländern auch – drauf und dran ist, die Mehrheit in Teilen unseres Landes zu übernehmen. Und sie wird versuchen, unseren Staat radikal umzubauen, kommt sie erst einmal an die Macht. Das haben die Pläne von Potsdam gezeigt.
2. Können die Proteste das verhindern?
Kurzfristig lösen die Demonstrationen das wohltuende Gefühl aus, nicht allein zu sein. „Wir sind mehr“ lautet deshalb einer der zentralen Slogans. Doch nicht die Anzahl der Demonstranten entscheidet darüber, wer die Mehrheit im Land hat. Das wird in Deutschland in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen entschieden, so steht es im Grundgesetz. Das Problem: Bei den Wahlen könnte in diesem Jahr mehrfach die AfD gewinnen. Und wer sich mit dem Gedanken trägt, die AfD zu wählen, wird sich wegen der Demonstrationen nicht davon abbringen lassen. Die Vermutung liegt nahe, dass sogar eher das Gegenteil der Fall sein könnte.
3. Was ist also das Ziel der Proteste?
Hunderttausende Menschen in Deutschland setzen ein Zeichen. Das gilt es nicht kleinzureden. Sie gehen auf die Straße für die Demokratie, für die Grundrechte, für Weltoffenheit.
Zielscheibe einiger Demonstranten ist aber auch die vor gar nicht so langer Zeit in freien, gleichen und geheimen Wahlen gewählte Bundesregierung. Sie wird merkwürdigerweise von rechter wie von linker Seite, von Bauern und von vielen anderen Wirtschaftsvertretern nur noch ausschließlich „Ampel“ genannt – ein wenig versteckter Hinweis, dass man sich von ihr nicht vertreten fühlt.
Diese Kritik an der Bundesregierung sollte nicht als Einladung an die Unzufriedenen aller Richtungen verstanden werden können, sich der Bewegung anzuschließen. Am Ende ist sich ein Teil der Demonstranten sogar mit den Anhängern der AfD einig, dass es keine Partei mehr gibt, der man zutraut, „den Wählerwillen“ zu vertreten. Für Demokratie eintreten heißt eben auch, Entscheidungen einer Regierung zu akzeptieren – auch wenn man anderer Meinung ist.
Stattdessen sollten die Menschenmassen auch der Regierung den Hinweis geben, mutiger zu agieren, beherzter am Fortschritt zu arbeiten, auch unangenehme Entscheidungen zu treffen, wenn sie denn zielführend sind. Konstruktive Kritik ist an dieser Stelle gefragt.
4. Was braucht es nun vonseiten der Politik und der Medien?
In einem Wort: Distanz. Journalisten und Politiker haben allen Grund, dankbar für dieses hunderttausendfache Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung zu sein. Sie ist die Grundlage ihres Tuns. Die Videobotschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist ein Ausdruck dieser Dankbarkeit. Doch seine Botschaft ist zugleich ein Aufruf – und genau das ist ein zweischneidiges Schwert. Die Politik sollte zuhören, was die Demonstranten zu sagen haben. Sie sind Adressaten der Botschaften von der Straße, sie sollten keine Anführer der Bewegung sein.
Und ebenso müssen die Medienvertreter ihre Beobachterfunktion wahrnehmen. Privat darf man den Protest unterstützen, man sollte auch Farbe bekennen. Doch gerade bei den wankelmütigen Wählern darf nicht der Eindruck entstehen, dass hier etwas von oben geleitet wird, was doch aus zivilgesellschaftlichem Engagement heraus entstand.
5. Und warum heißen die Demos „gegen rechts“?
„Rechtsextremismus“ braucht mehr Platz auf dem Plakat als „Rechts“, das man im Übrigen klein schreibt. Doch das darf als Begründung für diese Ungenauigkeit nicht herhalten. Das „gegen rechts“ ist ein Begriff der linksextremen Antifa, der hier gedankenlos übernommen wird – leider auch bei der Demonstration an diesem Dienstag in Heilbronn. Vor allem in den 1980er Jahren sah sich die Linke tatsächlich in Opposition zur bürgerlichen Rechten, ebenso zu Polizei und Ordnungsstaat. Um das geht es diesmal nicht, es sollte zumindest nicht darum gehen. In München etwa sprach sich Organisatorin Lisa Pöttinger gegen eine Teilnahme von CSU-Politikern aus. Sie twitterte auf X, dass sie „gar keinen Bock auf Rechte jeglicher Couleur habe“ und stellte damit eine demokratische Partei auf eine Stufe mit der AfD. Man möchte frech zurückfragen: Alles Nazis, oder was? Sie sprach dabei nicht für alle Teilnehmer der Demo, doch etwas mehr Genauigkeit ist an dieser Stelle angebracht.


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