Wie realistisch sind die Klimaziele? Das sagen Experten zur neuen Studie des Umweltbundesamts
Forscher sind unterschiedlicher Meinung, wie ambitioniert und welche Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden könnten. Auch künftige Naturkatastrophen machen den Experten Sorgen.

Wie viele Stunden Arbeit in die Studie für das Umweltbundesamt geflossen sind, kann Julia Repenning gar nicht auswendig sagen. "Sie war auf jeden Fall sehr aufwendig, umfangreich und es gab viel Abstimmungsbedarf." Repenning leitet den Bereich Energie und Klimaschutz am Freiburger Öko-Institut und hat dort die Durchführung der Studie geleitet.
Die Studie zum Klimaschutz beruht auf Annahmen
Für die Untersuchung haben die Forscher ausführliche Annahmen getroffen, wie sich Bevölkerung, Wirtschaftsleistung, Energiepreise, der Ausbau der Erneuerbaren und vieles mehr in den nächsten Jahren entwickeln werden. "Das ist immer eine Wenn-dann-Annahme", sagt Repenning.
Herausgekommen ist ein dickes Bündel an Maßnahmen, wie die Klimaziele in den einzelnen Sektoren bis 2030 erreicht werden können. Gleichwohl datiert das Papier auf Herbst 2021, aktuelle Entwicklungen wie die Gaspreis-Krise sind nicht enthalten.
Gebäude- und Verkehrssektor sind die Sorgenkinder
Überhaupt steht die Frage, wie realistisch es ist, dass diese Maßnahmen umgesetzt werden, auf einem anderen Blatt, sagt Repenning. "Wir müssten sehr ambitioniert, deutlich ambitionierter als bisher, an die Klimaziele herangehen."
Besonders der Gebäude- und der Verkehrssektor seien Sorgenkinder. Bei den Gebäuden brauche es eine ausgewogene Mischung aus Förderungen und gesetzlichen Vorgaben. Egal wie die aussieht, schnell müsse es allemal gehen, betont die Expertin. "Der Gebäudesektor ist ein träger Sektor." Mit den jetzt geplanten Maßnahmen werde das Sektorziel deutlich verfehlt.
Was ist realistisch?
Ähnlich ist das im Verkehr. "Die Instrumente, die wir dort vorsehen, sind momentan politisch nicht realistisch." Zwar werde die Wende hin zum E-Auto schon durch Vorgaben der EU erreicht, das reiche jedoch nicht, sagt Repenning. "Wir müssen gleichzeitig die mit fossilen Kraftstoffen angetriebenen Autos teurer machen. Auch die Verlagerung des Individualverkehrs muss noch weiter angereizt werden." Derzeit passiere das Gegenteil: Mehr Menschen seien mit dem E-Auto unterwegs, der Verkehr nehme eher zu.
Doch welche Maßnahmen könnten umgesetzt werden, welche nicht? Das sei nicht einfach zu beantworten, sagt Volker Stelzer. Er forscht seit 20 Jahren zur Zukunft der Energieversorgung am Karlsruher Transformationszentrum für Nachhaltigkeit und Kulturwandel. Etwa bei der Erhöhung des CO2-Preises, die ein zentraler Teil der Studie ist. "Das ist sehr stark abhängig von unseren europäischen Partnern."
Mehr Naturkatastrophen würden den Handlungsdruck erhöhen
In die Rechnung spiele mit rein, dass in vielen EU-Ländern Parteien regieren, die sich gegen die Energiewende stellen. Stelzer vermutet, dass sich Skeptiker nur überzeugen lassen, wenn sich Naturkatastrophen künftig häufen, wie die Flut im Ahrtal oder in Norditalien, Waldbrände oder Wasserknappheit und Probleme in der Schifffahrt. "Das ist nicht wünschenswert. Wenn sich das aber häuft, wird es eine größere Unterstützung für Klimaschutz-Maßnahmen geben."
Andererseits hält der Experte auch einen positiven Kulturwandel für möglich. Wenn sich in der Nachbarschaft herumspreche, dass sich eine Solaranlage und ein E-Auto finanziell lohnen, seien das Gründe, die Menschen überzeugen. "Die Ökonomen tun sich schwer damit, solche Faktoren einzurechnen."
Zweifel an energetischer Sanierung
Skeptisch ist Stelzer, dass die energetischen Sanierungen jemals hochschnellen werden. Das Umweltbundesamt hält eine Sanierungsquote von 1,6 bis 3 Prozent im Jahr für geboten. "Das ist am oberen Rand dessen, was ich mir vorstellen kann." Geothermie oder Flusswärmepumpen seien in dem Papier zudem unterschätzt.
Generell glaubt Stelzer, dass der Druck groß genug wird, mehr Klimaschutz-Maßnahmen zu beschließen. "Dadurch könnten wir in Richtung der Klimaziele kommen", sagt der Forscher.



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