Warum der Hohenlohekreis vom Corona-Hotspot zum Vorbild wird
Erstmals seit September konnte der Sieben-Tage-Inzidenz-Wert im Kreis auf unter 50 pro 100.000 Einwohner gesenkt werden: Es gibt aktuell nur noch 43,5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Mediziner und Landrat warnen jedoch vor verfrühter Freude.
Es ist eine Zeit, in der die guten Nachrichten rar sind. Aber es gibt sie noch: Am vergangenen Wochenende hat der Hohenlohekreis die "magische Grenze" des Inzidenzwerts von 50 erstmals seit Ende September wieder unterschritten. Damit wies der Kreis zwischenzeitlich gar landesweit im Verhältnis zur Einwohnerzahl die geringste Fallhäufigkeit auf.
Zum Vergleich: Mitte Dezember hatte der Wert im Landkreis noch über 180 betragen. Im März war bekanntlich das Eschentaler Kirchenkonzert zur Keimzelle der Epidemie im Kreis geworden - in den vergangenen Wochen sorgten indes mehrere dezentrale Ausbruchsgeschehen für die hohen Inzidenz-Werte.
Mutmaßungen zu den Gründen des Rückgangs
Warum die Infektionszahlen denn nun genau hier bei uns so rapide sinken? Das genau zu eruieren, fällt auch Fachleuten schwer: "Ich weiß es selbst nicht", sagt etwa Dr. Susanne Bublitz, Sprecherin der Kreisärzteschaft, zur HZ. Doch auch für sie ist klar: Die Hohenloher setzen die Corona-Regeln offenkundig "vorbildlich" um. "Man muss sich ja auch eher fragen: Warum sind die Zahlen anderswo immer noch so hoch?", so die Impfbeauftragte des Landkreises. Andernorts scheine man die Lockdown-Maßnahmen jedenfalls nicht so gut zu befolgen wie hier. "Die Hohenloher wollen wohl nicht mehr als Hotspot bekannt werden", scherzt die Medizinerin.

Ähnlich sieht das auch Dr. Werner Reinosch, Ärztlicher Direktor des Hohenloher Krankenhauses: "In einem ländlichen Gebiet wie dem Hohenlohekreis lassen sich manche der landesweit geltenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen vielleicht besser umsetzen und so schneller Effekte erzielen", sagt Reinosch. "Außerdem ist bei einigen Menschen hier im Kreis vielleicht noch die Erinnerung an das vergangene Frühjahr wach", vermutet auch er. Der leitende Arzt deutlich: "Angesichts der neuen Virus-Mutationen, die jetzt auch in Deutschland nachgewiesen wurden, kann die Situation jederzeit wieder kippen", warnt er.
"Ein wenig Luft zum Durchatmen"
Was die sinkende Inzidenz nun für die Mitarbeiter des Öhringer Krankenhauses bedeutet? "Wir behandeln immer noch 15 Corona-Patienten im Haus", berichtet Reinosch. Der leichte Rückgang gegenüber dem Monatsanfang verschaffe jedoch aktuell immerhin "ein wenig Luft zum Durchatmen nach vielen Monaten der Corona-Belastung".
Ob das Besuchsverbot in der Klinik nun gelockert oder gar aufgehoben werden kann? Bis auf weiteres nicht, kündigt der Chefarzt an: "Jetzt das Besuchsverbot zu lockern, um es bei einer möglichen Umkehr der Entwicklung kommende Woche wieder zu verschärfen, ist nicht sinnvoll." Die Devise lautet daher auch im Klinikum: "Wir bleiben vorsichtig und wachsam. Die Sache ist noch nicht vom Tisch."
Dass im Hohenlohekreis gegenwärtig "kein größeres Ausbruchsgeschehen zu erkennen ist," bestätigt Kreis-Sprecher Sascha Sprenger. "Unsere Kontaktnachverfolgung funktioniert für jeden einzelnen gemeldeten Fall." Meistens könne auch wieder die Quelle der Ansteckung ermittelt werden. "Das Infektionsgeschehen ist aktuell gut nachvollziehbar, auch aufgrund der gesunkenen Fallzahlen."
Lockerungen sind keine geplant
Beim Landratsamt hat man zusätzlich zu den bereits genannten Gründen - fehlende Großstadt und die Vorerfahrungen des Frühjahrs - noch eine weitere Mutmaßung: Es könne von Vorteil sein, dass die Pflegeheime - nur ein einziges im Kreis fehlt noch - durch die mobilen Teams des Zentralen Impfzentrums in Rot am See bereits die Erstimpfung und teilweise auch schon die Zweitimpfung erhalten haben. Die meisten Infektionen gebe es momentan bei Berufspendlern sowie im privaten und familiären Bereich.
Lockerungen gleich welcher Art schließt die Behörde jedoch aktuell aus. Die gegenwärtige Lage sei nur eine "Momentaufnahme": Ein einziges größeres Infektionsgeschehen könne den Inzidenz-Wert im Kreis rasch wieder ansteigen lassen.
Nur eine Neuinfektion – Inzidenz ist die zweitniedrigste im ganzen Land
Der positive Trend setzt sich fort: Gestern gab es lediglich eine offiziell registrierte Neuinfektion mit dem Coronavirus. Wie das Landesgesundheitsamt am Abend mitteilte, liegt der Inzidenz-Wert nun bei 43,5 – landesweit weist nur der Stadtkreis Baden-Baden mit 39,9 einen noch niedrigeren auf. Im Hohenloher Krankenhaus wurden gestern zehn positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getestete Patienten behandelt, zwei davon auf der Intensivstation. Überdies lagen fünf weitere Patienten mit dem Verdacht auf eine Corona-Infektion auf der Isolierstation des Öhringer Klinikums.
Wie geht es strategisch weiter bei der Pandemie-Bekämpfung? Aus der Wissenschaft ist in den vergangenen Tagen und Wochen vermehrt die sogenannte No-Covid-Strategie ventiliert worden. Wäre das für die Verantwortlichen im Kreis denn ein probates Mittel? Hierzu Landrat Matthias Neth: „Alle Maßnahmen, die entschieden werden und die starke Einschnitte für die Bürger bedeuten, müssen zielführend und begründet sein. Die Ziele der No-Covid-Strategie wären in einem Land, das in der Mitte eines Kontinents mit offenen Grenzen liegt, kaum erreichbar“, sagt der erste Beamte des Kreises. „Daher wären auch Verschärfungen, die dafür nötig wären, kaum verhältnismäßig. Viele Virologen gehen davon aus, dass wir auch in den kommenden Jahren mit dem Virus leben müssen.“ Ziel müsse vielmehr sein, zuerst die Zahlen zu senken und dann durch Impfungen, die „hoffentlich bald schneller und flächendeckender vonstattengehen können“, die Rückkehr zur Normalität zu schaffen.