Stimme+
Neuenstein
Lesezeichen setzen Merken

In und um die große Neuensteiner Asyl-Sammelunterkunft des Landkreises gibt es kaum Probleme

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Angehörige verschiedenster Nationen mit unterschiedlichsten Lebensläufen wohnen hier auf engem Raum friedlich zusammen. Alle Horrorszenarien, die gegenwärtig andernorts wieder beschworen werden, sind nicht eingetreten: Konflikte mit Anwohnern etwa gab und gibt es so gut wie nicht.

von Christian Nick
Sind mittlerweile fast komplett belegt: die fünf Häuser an der Bahnhofstraße. Die Erweiterung auf 136 Plätze wurde kürzlich vom Landratsamt verkündet.
Sind mittlerweile fast komplett belegt: die fünf Häuser an der Bahnhofstraße. Die Erweiterung auf 136 Plätze wurde kürzlich vom Landratsamt verkündet.  Foto: Nick, Christian

Georgi Gigolashvili hat einen Wunsch, den alle Väter haben - ganz egal, woher sie kommen: "Hauptsache, meinen Kindern geht es gut", sagt der 38-jährige Georgier, der seit über einem Jahr mit seiner Familie in der großen Neuensteiner Sammelunterkunft für Asylbewerber lebt. Doch er hat Sorgen um den fünfjährigen Sohn. Der Kleine leidet unter einer tückischen Krankheit, die zu Muskelschwund führt.

Daheim, nahe der Stadt Tiflis, konnte ihm nicht richtig geholfen werden: Medikamente waren rar, dafür hielten korrupte Ärzte reichlich die Hand für Therapien auf. Also entschieden sich Georgi und seine Frau Bela, nach Deutschland zu gehen. "Eine Entscheidung, die wohl jeder von uns für sein Kind treffen würde", sagt Beate Lütke-Bordewick, die sich als Sozialarbeiterin um die Familie kümmert.

Und nicht nur um sie: 88 Menschen leben mittlerweile in den fünf Wohnhäusern an der Bahnhofstraße. Sie kommen aus Afghanistan, Georgien, dem Jemen, Kamerun, dem Kongo, Nigeria, Pakistan, Sri Lanka, Syrien und der Türkei. Das Verhältnis der Geschlechter präsentiert sich dabei fast ausgewogen.

 


Mehr zum Thema

Die Frage, wie viele Flüchtlinge in das ehemalige Seniorenheim in Pfedelbach einziehen werden, beschäftigt viele Menschen. Antworten soll es am Mittwoch geben.
Foto: dpa
Stimme+
Pfedelbach
Lesezeichen setzen

Asylunterkunft in Pfedelbach: Ist ein Kompromiss in Sicht?


Befürchtungen "besorgter Bürger" scheinen übertrieben

Seit knapp sechs Jahren gibt es jenes Heim mit der schandhaften Vorgeschichte des fremdenfeindlichen Brandanschlags auf den Rohbau. Wie läuft das Zusammenleben der vielen Menschen mit den vielen Ethnien und Geschichten? Und: Gab und gibt es Schwierigkeiten mit der Integration und der Nachbarschaft?

Sie hoffen, bald arbeiten und in Deutschland bleiben zu dürfen: Familie Gigolashvili mit Flüchtlings-Sozialarbeiterin Beate Lütke-Bordewick (rechts).
Fotos: Christian Nick
Sie hoffen, bald arbeiten und in Deutschland bleiben zu dürfen: Familie Gigolashvili mit Flüchtlings-Sozialarbeiterin Beate Lütke-Bordewick (rechts). Fotos: Christian Nick  Foto: Nick, Christian

Fragen, die wieder zu stellen sind, seitdem auch in Hohenlohe "besorgte Bürger" mit Unterschriftenaktionen neuerlich Front gegen geplante Unterkünfte für schutz- und hilfesuchende Menschen machen - wie derzeit in Pfedelbach, wo sich manche Einwohner lautstark gegen die Umwandlung eines ehemaligen Seniorenheims in ein Objekt ähnlicher Dimension wie das Neuensteiner wenden.

Nachfrage bei denjenigen, die es wissen müssen: "Seit Eröffnung der Unterkunft im Jahr 2017 gab es praktisch keine Probleme", berichtet Neuensteins Bürgermeister Karl Michael Nicklas unserer Redaktion.

Ob Klagen aus der Bürgerschaft über unbotmäßiges Verhalten der Bewohner bekannt sind? Nein, sagt Nicklas. Zwar hätten auch hier einige Anwohner damals beim Bekanntwerden der Pläne zur Schaffung der Wohnstätte kritische Fragen gestellt und sich "erkundigt, was da eigentlich geplant ist". Aber seitdem laufe alles völlig problemfrei.

 


Mehr zum Thema

Die Frage, wie viele Flüchtlinge in das ehemalige Seniorenheim in Pfedelbach einziehen werden, beschäftigt viele Menschen. Antworten soll es am Mittwoch geben.
Foto: dpa
Stimme+
Meinung
Lesezeichen setzen

Unterbringung geflüchteter Menschen: Eigene Erfahrungen machen statt Vorurteile pflegen


Was sagt der Neuensteiner Verwaltungschef angesichts der langjährigen positiven Erfahrung in seiner Gemeinde zu den Gegnern des in Pfedelbach geplanten Heims - und zu seinem Amtskollegen Torsten Kunkel? "Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass das Zusammenleben absolut reibungslos funktioniert."

Das bestätigt auch Landkreis-Sprecherin Mathea Weinstock: Die Koexistenz funktioniere gut. "Konflikte mit den Anwohnern gab es in den vergangenen Jahren kaum", berichtet sie. Allenfalls ein paar Äpfel seien einmal vom Baum der Nachbarn gemopst worden - aus Unwissenheit, nicht mit böser Absicht. Es existierten "keine wiederkehrenden Konflikte zu einem bestimmten Thema mit der Nachbarschaft".

Streit gibt es ums Putzen - wie in jedem Mietshaus auch

Klar sei das Leben vor Ort nicht immer spannungsfrei, sagt Sozialarbeiterin Lütke-Bordewick: Es gebe intern durchaus Streit ums Putzen oder wegen zu lauter Musik. Aber all das lasse sich leicht klären - und komme auch in jedem Mietshaus bekanntlich vor. "Ich glaube nicht, dass wir verwöhnte Deutsche das in solchen Verhältnissen so gut hinkriegen würden." Dennoch: Die Situation ist nicht immer leicht. Bela Gigolashvili hofft, bald ihrem erlernten Beruf als Krankenschwester nachgehen zu dürfen. Ihr Mann bekämpft die Langeweile damit, dass er dem Hausmeister hilft.

Helfen - das wollte auch jene 43-jährige irakische Ärztin, die neben der Familie sitzt. Sie hat einen hohen Preis dafür gezahlt: Daheim im Irak, wo nicht-eheliche Schwangerschaften als Sünde gelten, unterstützte die Medizinerin eine junge Frau und kam in einen unabsehbaren Strudel, als ihre Patientin von der eigenen Familie mit dem Tode bedroht wurde. Mit ihrem Mann und den zwei Kindern musste sie fliehen. Türkei, Griechenland, Italien, Frankreich. Mit dem Boot übers Mittelmeer bis an die Küste. Wie die Gigolashvilis wartet sie nun auf den Entscheid über ihren Asylantrag - mit besseren Chancen.

Dankbar führt die Ärztin, die in ihrer Heimat eine wohlhabende und sozial angesehene Person war, nun durch die spartanischen zwei Zimmer im Flüchtlingsheim. Alle - Bewohner, Verantwortliche und Nachbarn - seien freundlich, versichert sie. "Es gibt keine Probleme."

Ein Blick in die Kriminalstatistik

Die polizeiliche Statistik - die nicht zwischen Asylbewerbern und anderen Geflüchteten unterscheidet - weist für Pfedelbach im Jahr 2019 zwölf, 2020 drei und 2021 sieben Straftaten jener Bevölkerungsgruppe aus. In Neuenstein hat die Polizei 2019 16, 2020 zwölf sowie 2021 nur noch sieben Delikte registriert. Der Anteil Geflüchteter und Asylbewerber an der Gesamtzahl aller Tatverdächtigen rangierte in den beiden Orten über die genannten Jahre zwischen drei und zwölf Prozent.

 
Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben