Jobcenter-Leiter über Bürgergeld-Einführung: "Die Arbeit wird anspruchsvoller"
Was ändert sich ab 2023 mit dem neuen Bürgergeld für das Hohenloher Jobcenter? Leiter Edgar Oettig beschreibt die Neuerungen und sagt, welche Aufgaben vor den Mitarbeitern liegen und worauf sich Kunden einstellen müssen.

Ende November war es so weit: Nach dem Bundestag stimmte auch der Bundesrat dem Bürgergeld als Nachfolger des Arbeitslosengelds II und des Sozialgelds zu. Mit der Reform, die Hartz IV ablöst, werden zum 1. Januar Veränderungen auf die Jobcenter zukommen. Wie sich das im Hohenlohekreis bemerkbar machen wird, erklärt Amtsleiter Edgar Oettig und sagt, ob seine Behörde für den Wechsel gewappnet ist.
Das Bürgergeld ersetzt Hartz IV: Wie gefällt Ihnen das neue Gesetz?
Edgar Oettig: Zunächst regelt das Grundgesetz, dass wir ein sozialer Bundesstaat sind. Doch was die Sozialstaatlichkeit konkret bedeutet, steht dort nicht. Und das aus gutem Grund. Die Lebensverhältnisse verändern sich stetig und damit auch die sozialen Anforderungen, die an den Staat gestellt werden. Vor diesem Hintergrund blicke ich darauf, wie sich ein Sozialgesetz weiterentwickelt. Ich begrüße die Einführung des Bürgergelds, so wie es jetzt ist. Aus meiner Sicht ist es ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Welche Neuerung ist am wichtigsten?
Oettig: Was mir gut gefällt, ist, dass der Förderansatz künftig weiter gefasst ist. Wir konnten bisher schon Förderungen für berufliche Qualifizierung anbieten. Mit der Streichung des Vermittlungsvorrangs geht der Förderansatz nun aber weiter. In manchen Fällen, wo Vermittlung in Arbeit möglich wäre, ist Förderung nachhaltiger.
Jobcenter sollten also flexibler sein?
Oettig: Diese Klarstellung kommt meiner Haltung entgegen, wie ein Jobcenter Kundinnen und Kunden Leistungen und Förderungen anzubieten hat. Zuvor galt das Schröder"sche Postulat von "Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit". Immer wenn eine Vermittlung in Arbeit möglich war, brauchte man über Förderung mit den Kunden nicht weiter in die Beratung zu gehen. Das fällt im Bürgergeld-Gesetz weg.
Bedeutet das Bürgergeld mehr oder weniger Arbeit für das Jobcenter?
Oettig: Bei der Leistungsgewährung gibt es im Zuge der Pandemie vereinfachte Zugangsverfahren. Da sind einige übertragen worden. Neu ist unter anderem eine Bagatellgrenze. Dadurch wird der administrative Aufwand geringer. Andere Ansätze, wie Karenzzeit und Schonvermögen, betreffen nur wenige Leute. Was man hier an Prüfarbeit spart, ist also eher gering. Gleichzeitig wird die Arbeit anspruchsvoller durch die vertiefte Beratung der Kunden zu Qualifizierung und Fördermaßnahmen.
Wie stark wird technisch umgestellt?
Oettig: Der Aufwand ist groß, zahlreiche Weisungen müssen aktualisiert werden. Klar ist: Es braucht eine Übergangszeit, bis alle Anträge, Bescheide und Schriftstücke auf die neuen Begrifflichkeiten umgestellt wird. Das macht aber nicht das örtliche Jobcenter. Wir nutzen meist Bescheide der Bundesagentur für Arbeit, die werden zentral aktualisiert. Wichtig ist: Kein Kunde muss sich sorgen, die Leistungen verspätet zu bekommen. Und die Ansprechpartner bleiben die selben.

Wie viele Langzeitarbeitslose haben Sie in den letzten fünf Jahren denn in Arbeit gebracht?
Oettig: Von 2018 bis September 2022 haben unsere Vermittlungsfachkräfte 244 Langzeitarbeitslose in Arbeit gebracht. Die Zahl an Langzeitarbeitslosen im Jahresdurchschnitt schwankte in den letzten fünf Jahren von 309 über 402 im Jahr 2021 und liegt aktuell bei 372. Durch die Einflüsse der Pandemie und Wirtschaft auf den Arbeitsmarkt schwankt auch die Zahl der Menschen, die wir jährlich in Arbeit bringen. 42 sind es bis zum September dieses Jahres, 73 waren es 2021 - und im Jahr 2018 61 Personen.
Leiter von Jobcentern sehen das Bürgergeld eher positiv, Mitarbeiter eher negativ. Wie erklären Sie sich das?
Oettig: Ich denke, es geht um das Grundprinzip von Fördern und Fordern. Wie das ausbalanciert ist, darüber denken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach, und wie die Politik das Bürgergeld verhandelt hat, konnte auch jeder erfahren. Insgesamt hat jeder Mitarbeiter auch eine eigene Auffassung dazu, und die habe ich nicht zu kritisieren. Mein Eindruck ist, dass im Jobcenter Hohenlohekreis die Mitarbeiter während des Gesetzgebungsverfahrens darüber diskutiert haben. Das ist richtig, denn wenn man diskutiert, versteht man die Zusammenhänge und kann die Hintergründe erläutern.
Verschärft das Bürgergeld Ihre personelle Lage? Personalräte von Jobcentern warnen vor deutlicher Mehrarbeit, die zu Kündigungen führen könnten.
Oettig: Tatsache ist, dass die Jobcenter in einem Dauerkrisenmodus sind. Die Einführung des Bürgergelds wird dies nicht auf null stellen. Die Grundsicherung während Corona aufrechtzuerhalten und seit Juni für die Ukraine-Geflüchteten zuständig zu sein, war und ist eine große Herausforderung. Das Bürgergeld wird zum 1. Januar 23 eingeführt, ein Teil der Neuregelungen tritt in einer zweiten Stufe ab Juli 23 in Kraft. Die neuen Aufgaben für unsere Mitarbeitenden möchte ich dem entsprechend in eine strikte Reihenfolge bringen. Für neue Beratungsleistungen braucht es genügend Personal. Und dafür ein möglichst auskömmliches Budget. Schon Stand heute sind allerdings nicht alle Stellen besetzt, weil Fachkräfte fehlen.
Durch das Bürgergeld und die Wohngeld-Reform gebe es mehr Anspruchsberechtige, heißt es.
Oettig: Das ist die große Unbekannte: Es hängt davon ab, wie viel die Kollegen im Landratsamt beim neuen Wohngeld bewerkstelligen können. Was dort nicht erledigt werden kann, können wir erledigen. In solchen Fällen des Übergangs muss man ins Tun kommen, da hilft es nicht, sich die Welt zurecht zu denken. In einer Situation, wo Wohngeld und Bürgergeld gleichermaßen neu aufgestellt werden, muss man sich mit allen Akteuren abstimmen und das werden wir auch tun.
Außerdem soll die Einbürgerung ausländischer Menschen erleichtert werden.
Oettig: Wenn die Einwanderer Staatsangehörige sind und sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, dann ist es auch unsere Aufgabe, uns um sie zu kümmern. Wenn das über ein Einwanderungsgesetz klar geregelt ist, werden alle anderen Gesetze, die nachgeordnet sind, sich auf diese Menschen einstellen müssen. Für all diese Aufgaben wünsche ich mir Rechtssicherheit.
Wie stark sanktionieren Sie säumige Kunden?
Oettig: Unsere Sanktionsquote liegt mit 2,5 unter dem Bundesdurchschnitt von 3,1. Ich erlebe Mitarbeiter, die mit aller Kraft daran arbeiten, dass die Kunden zu dem kommen, was sie berechtigterweise erwarten können. Bei regelmäßigen Befragungen werden unsere Leistungsbezieher von einem Institut außerhalb des Hohenlohekreis befragt - und da werden uns seit Jahren schon gute Zeugnisse ausgestellt. Und es ist auch keine neue Erkenntnis, dass Integration nur dann gelingt, wenn es für Arbeitgeber und Arbeitnehmer passt. Sonst würden wir auf beiden Seiten andauernd Enttäuschungen produzieren.
Laut Armutsforscher Christoph Butterwegge ist das Bürgergeld "etwas fairer" als Hartz IV. Gehen Sie mit?
Oettig: Als die Grundsicherung 2005 eingeführt worden ist, hatten wir noch Massenarbeitslosigkeit in einer ganz anderen Dimension. Mit dem Bürgergeld hat man erkannt, dass es vielerorts einen Arbeits- und Fachkräftemangel gibt. Weitere Qualifizierungsmöglichkeiten sind da aus Sicht eines Jobcenters ein guter Ansatz. Zum anderen wird auf die Lebenswelten der Bürger mehr Rücksicht genommen, etwa mit besseren Hinzuverdienstmöglichkeiten. Insofern kann ich dem zustimmen, dass es fairer ist.
Erwarten Sie, dass durch das Bürgergeld die Jobcenter-Mitarbeiter ein besseres Image bekommen?
Oettig: Die Beantwortung dieser Frage muss ich den Bürgern überlassen. Seit fast acht Jahren bin ich hier und kann für unsere Jobcenter-Mitarbeiter sagen, dass es ihnen ein großes Anliegen ist, mit unseren Kunden auf Augenhöhe zu kommunizieren und die gesetzlichen Bedingungen einzuhalten, aber auch auszuschöpfen. Wenn es da nicht gelingt, alle Erwartungen zu erfüllen, ist das keine Frage fehlenden Respekts, sondern der gesetzlichen Möglichkeiten.
Zur Person: Das Jobcenter im Hohenlohekreis leitet Edgar Oettig seit 2015. Seine berufliche Laufbahn begann er bei der Agentur für Arbeit in Tauberbischofsheim. Nach einem dualen Studium zum Diplom-Verwaltungswirt an der Bundesagentur-Hochschule in Mannheim arbeitete er bereits in einem Jobcenter, ehe er als Führungskraft an verschiedenen Stellen der Sozialverwaltung tätig war. Dort war Oettig Leiter der Berufsberatung und für den Bereich "Beratung &Vermittlung" zuständig. In dieser Funktion wechselte er nach Schwäbisch Hall, ehe er dann Chef in Künzelsau wurde.



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