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Was Dekan Ingo Kuhbach zum jüngsten Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche sagt

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Das Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München, die Reaktion des emeritierten Papstes, die wachsende Zahl der Kirchenaustritte: Dekan Ingo Kuhbach bezieht Stellung zu den Themen, die die katholische Kirche und ihre Gläubigen bewegen.

von Armin Rößler
 Foto: Britta Schultejans (dpa)

Das Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München, die Reaktion des emeritierten Papstes Benedikt - damals Erzbischof - darauf, die wachsende Zahl der Kirchenaustritte: Dekan Ingo Kuhbach, Leiter des Dekanats Hohenlohe, bezieht Stellung zu den Themen, die die katholische Kirche und ihre Gläubigen bewegen.

Bewusst ausgeklammert wurde der Komplex Homosexualität und Kirche, zu dem die HZ bereits vergangene Woche ausführlich berichtet hat. Kuhbach findet die "zeitliche Nähe" vom Coming-out homosexueller Kirchenmitarbeiter (24. Januar), mit dem er ausdrücklich kein Problem hat, und dem Wirbel ums Missbrauchsgutachten (20. Januar) "total ungünstig", da beides nichts miteinander zu tun habe.

 

Darf ein Papst lügen?

Ingo Kuhbach: Nein. Ich erwarte, dass Benedikt sagt, das war falsch. Und ich erwarte, dass seine Berater jetzt entweder anderen das Wort überlassen oder einfach still sind.

 

Darf man einen Papst kritisieren?

Kuhbach: Ja. Ein Papst ist als Person für mich nicht unfehlbar. Hier geht es nicht um Glaubenssachen, da darf man Kritik üben. Auch sonst darf man Entscheidungen aus Rom in Frage stellen.

 

Was hat Benedikt aus Ihrer Sicht in der Aufarbeitung des Münchner Missbrauchsgutachtens falsch gemacht?

Kuhbach: Anfang der 80er hat er als Erzbischof gehandelt, wie man damals gehandelt hat, wenn ein Priester in Therapie musste. Die Frage ist: Warum hat man diesen Priester später in den Dienst übernommen? Das geht leider bis in die jüngere Vergangenheit. Denn Kardinal Marx hat diesen Priester 2008 noch einmal versetzt. Da bin ich persönlich am allermeisten enttäuscht. Dass man Anfang der 80er mit diesen Dingen nicht so umgegangen ist, wie es der Sache angemessen gewesen wäre, nicht nur in München, nicht nur in der Kirche, ist für mich keine Entschuldigung, weil die Kirche einen deutlich höheren moralischen Anspruch vertritt.

 


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Was sollte Benedikt jetzt tun?

Kuhbach: Er müsste eingestehen: Ich habe damals falsch gehandelt. Das wäre wichtig. Und was manche fordern, ist nicht überzogen: Dass er zum Zeichen der Buße nicht mehr sein weißes Papstgewand trägt, sondern mit seinen üblichen Gewändern den Schritt zurück geht. Es würde ihm auch gut zu Gesicht stehen, denen, die von diesem Priester geschädigt wurden, einen persönlichen Brief zu schreiben.

 

Wenn die katholische Kirche und sexueller Missbrauch immer selbstverständlicher im selben Atemzug genannt werden - wie gehen sie als Priester und Dekan damit um?

Kuhbach: Ich persönlich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen. Aber ich stelle mir immer wieder die Frage: Wie würde ich damit umgehen, wenn ich höre, dass so etwas vorgefallen ist? Ich hoffe und bin mir sicher, dass ich dann die richtigen Konsequenzen ziehe. Und ich meine, dass unsere Diözese damit heute mit einer anderen Ernsthaftigkeit umgeht, als andere Diözesen das getan haben.

 

Sind es Fehltritte Einzelner oder ein institutionelles Problem?

Kuhbach: Die Frage stelle ich mir auch immer wieder. Es ist die Fehlleistung von Einzelnen. Aber das System begünstigt das. Ich tue mich schwer, wenn die Institution über dem Einzelschicksal steht. Jesus sagt beim Abendmahl: Bei euch aber soll es nicht so sein. Und es ist leider so: Man versucht, sich gut darzustellen und alles irgendwie mit Umständen zu erklären - das hat jetzt ja auch Ratzinger versucht. Das ist nicht in Ordnung.

 

Wird es schwieriger, je weiter oben man in der Hierarchie steht, die eigene Institution zu hinterfragen?

Kuhbach: Das glaube ich schon. Aber es gibt auch weiter unten viele, die das nicht wollen, weil sie zu sehr darin verhaftet sind: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

 


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Was kann, was muss die Kirche tun?

Kuhbach: Wenn das Vertrauen total weg ist, dann muss die Kirche Hilfe von außen annehmen und sich dem auch öffnen. Mit dem Blick von außen kann man den Finger in die Wunde legen.

 

Haben Sie je gedacht: Das ist nicht mehr meine Kirche?

Kuhbach: Nein. Der Papst ist für mich nicht die Kirche, auch der Bischof nicht. Für mich ist Kirche das, was ich vor Ort erlebe. Das macht mir Mut.

 

Welche Reaktionen erreichen Sie von den Gläubigen im Hohenlohekreis?

Kuhbach: Angesprochen wurde ich von einem Pfarrer und vom Leiter der katholischen Erwachsenenbildung, dass wir jetzt etwas tun müssen. Von Gläubigen erlebe ich eine sehr große Betroffenheit, aber auch die starke Reaktion: Bei uns vor Ort ist es Gott sei Dank anders.

 

Nimmt sich bei einer Tasse Tee eineinhalb Stunden Zeit für die Fragen der Hohenloher Zeitung rund um den jüngsten Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und bezieht klar Position: Dekan Ingo Kuhbach.
Nimmt sich bei einer Tasse Tee eineinhalb Stunden Zeit für die Fragen der Hohenloher Zeitung rund um den jüngsten Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und bezieht klar Position: Dekan Ingo Kuhbach.  Foto: Rößler, Armin

Hat sich die Zahl der Kirchenaustritte in der Region erhöht?

Kuhbach: Ja. Es waren letztes Jahr schon mehr und auch dieses Jahr berichten einige Gemeinden, dass es wieder mehr sind. Auch bei mir hatte ich Kirchenaustritte, mit denen ich nicht gerechnet hatte.

 

Verstehen Sie die Menschen, die der katholischen Kirche den Rücken zuwenden?

Kuhbach: Ja. Die das aus Enttäuschung wegen des Missbrauchs tun, verstehe ich. Bei manchen ist es der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich kann nachvollziehen, wenn jemand nicht durch seine Kirchensteuer eine Institution unterstützen will, die sich wichtiger als den Einzelnen nimmt.

 

Vor Ort scheint Kirche in vielen Fällen noch zu funktionieren. Was kann von der Basis nach oben ausstrahlen?

Kuhbach: Den konkreten Menschen nicht aus dem Auge zu verlieren. Ich glaube, wenn man in der Hierarchie weiter oben ist, hat man eher das große Ganze im Blick als Einzelschicksale. Wenn man die Fälle aber konkret angeschaut hätte, wäre manche Entscheidung anders gefallen.

Wo ist die Kirchenspitze gefragt?

Kuhbach: Sie muss wieder lernen, den Einzelnen mehr in den Blick zu nehmen.

 

Bekommt die Kirche die Probleme in den Griff?

Kuhbach: Ich denke schon, dass der Blick sich jetzt weitet. Bei uns in der Diözese hat man das schon relativ gut im Griff. Wir wurden in der Ausbildung sehr genau geprüft. Es sind auch schon Leute abgewiesen worden. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass es in Zukunft anders wird. Ob man die Vergangenheit wirklich so aufarbeiten kann, wie sich das viele wünschen, da habe ich aber größte Bedenken.

 


Zur Person

Ingo Kuhbach wurde 1974 im Heilbronner Stadtteil Neckargartach geboren. Er ist im Gundelsheimer Teilort Obergriesheim aufgewachsen, hat erst die Realschule besucht und dann im Jahr 1995 sein Abitur in Rottweil gemacht. Theologie hat er in Tübingen und Wien studiert.

Zum Priester wurde Ingo Kuhbach 2002 in Weingarten geweiht. Seit dem Jahr 2006 ist er Pfarrer in der Kirchengemeinde Mulfingen, seit 2015 Dekan des katholischen Dekanats Hohenlohe. 

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