Katholische Kirche gerät zunehmend ins Kreuzfeuer
Homosexuelle katholische Kirchenmitarbeiter outen sich und berichten von Diskriminierung, Einschüchterung, Zerrissenheit. Viele Gläubige erklären sich solidarisch.

Die katholische Kirche kommt nicht zur Ruhe. Vor einer Woche hat ein Gutachten die systematische Vertuschung von Missbrauchsfällen aufgedeckt, Bischöfe bis hin zum späteren Papst Benedikt sind ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Nun sorgt das Outing homosexueller Priester und kirchlicher Mitarbeiter für Diskussionen. 125 Mitglieder der Gruppe Out in Church werben mit erschütternden Lebensberichten für eine "Kirche ohne Angst": in einem Manifest, in einem Buch, in einem ARD-Film.
Schwuler Pfarrer aus Marbach berichtet
In dem von Enthüllungs-Journalist Hajo Seppelt konzipierten Streifen meldet sich auch ein schwuler Unterländer Pfarrer zu Wort: Stefan Spitznagel aus Marbach. "Das Thema Homosexualität, queer oder Regenbogenfamilie ist in unserer Kirche in der Schmuddelecke", erklärt er. Der Amtskirche wirft er Angstmacherei vor. Es sei immer wieder versucht worden, "uns einzuschüchtern oder uns dazu zu bringen, dass wir stillhalten", auch unter Druck, nach dem Motto: "Wir lassen dich in Ruhe, wenn du Ruhe gibst."
Wie Spitznagel berichtet, hätten sich schwule Priester schon früher vernetzt und seien im Gespräch mit der Bischofskonferenz gewesen. Aber irgendwann habe diese geblockt und gesagt, jeder Bischof möge das für sich klären. So sei das Thema in den Schubladen verschwunden.
Rottenburger Diözesanleitung zollt Respekt
Wie es in dem Film heißt, hätten die Autoren alle 27 deutschen Bischöfe um Stellungnahmen gebeten, aber nur einer sei dazu bereit gewesen: Helmut Dieser aus Aachen. Neben etlichen katholischen Verbänden, die der Kampagne ihre Solidarität bekunden, äußern sich inzwischen auch einige Bischöfe positiv über die Aktion, für die Diözese Rottenburg-Stuttgart Generalvikar Clemens Stroppel. Er sei "tief berührt von dem Mut der Interviewten, die ihrem Anliegen ihr Gesicht und ihre Stimme und einen bewegenden Einblick in ihre persönliche Lebensgeschichte und -situation geben. Ihnen gilt mein und der Diözesanleitung Respekt." Dies gelte auch für die Mitarbeiter der Diözese, die den Personalverantwortlichen in ihrer queeren sexuellen Identität bekannt seien. "Die Diözese erwägt keine Konsequenzen für deren Beschäftigungsverhältnisse und hat mindestens seit 2005", also in Stroppels Amtszeit, diesbezüglich keine Kündigung ausgesprochen.
Sexualmoral nicht auf Höhe der Zeit
Die Frage, "wie Menschen in ihrer sexuellen Vielfalt wahrgenommen werden und ob sie einen Platz in der Kirche haben ist wichtig und richtig", so Pfarrer Hansjörg Häuptle aus Gundelsheim. "Ich antworte persönlich mit einem klaren Ja." Als Seelsorger wisse er, wie sehr bekennende Katholiken unter Verheimlichungen leiden müssten. Einmal mehr zeige sich, dass die kirchliche Sexualmoral nicht mehr auf Höhe der Zeit sei und sie "Erkenntnisse aus Theologie, Humanwissenschaften und die Lebenswirklichkeit der Menschen verschlafen hat".
Ähnlich äußert sich Michael Dieterle als Unterländer Dekanatsreferent. "Die Gesellschaft ist in diesen Dingen viel weiter als die Kirche. Dass Menschen, die sich outen, Angst haben müssen, macht mich traurig." Er hoffe, dass die Kampagne möglichst breit wahrgenommen werde und "sich etwas bewegt".
"Ich muss überlegen, was ich laut sagen darf", gibt Ingrid Wegerhoff von der Katholischen Erwachsenenbildung zu verstehen. "Die Kirche des 21. Jahrhunderts muss anerkennen, dass es verschiedene Lebensformen gibt, dass jeder Mensch heilig ist. Und: Sie darf nicht nur in Strukturen denken und nicht nur die eigene Institution hochhalten."
Regenbogenfahnen gefallen nicht allen
"Wir stolpern von Tiefpunkt zu Tiefpunkt. Jedes Mal denkt man, jetzt muss was passieren. Aber es passiert nichts." Bärbel Bloching, die die Gemeinde Obersulm-Löwenstein-Wüstenrot leitet, ärgert es, "dass das Gute, was wir vor Ort leisten", immer wieder durch Missstände überschattet werde. Schon im Frühling hat ihre Gemeinde als Zeichen der Solidarität mit Homosexuellen vor den Kirchen in Affaltrach, Willsbach und Neuhütten Regenbogenfahnen gehisst. Das hat nicht allen gefallen. Bloching: "Wir werden im Kirchengemeinderat überlegen, ob wir es wieder tun."
Neue kirchliche Reformgruppe
Out in Church ist eine Initiative überwiegend homosexueller Menschen im deutschen Sprachraum, die in der römisch-katholischen Kirche tätig sind. Am 24. Januar 2022 outeten sich 125 ihrer Mitglieder online und teils im TV, um "zur Erneuerung der Glaubwürdigkeit und Menschenfreundlichkeit der katholischen Kirche" beizutragen. Infos zu den Mitgliedern und zu ihren Forderungen: www.outinchurch.de.
ARD-Doku in der Mediathek
Hundert Gläubige, die im Dienst der katholischen Kirche stehen, haben sich in einer ARD-Dokumentation geoutet und den Schritt an die Öffentlichkeit gewagt. >>Hier ist das Video abrufbar
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