Arbeitsmarkt der Zukunft braucht Bereitschaft zur Veränderung
Firmen und Beschäftigte, Berufe und Branchen stehen vor einem großem Wandel: Wie die Transformation auf dem Arbeitsmarkt gelingen kann, erklärt Elisabeth Giesen, Chefin der Arbeitsagentur Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim, die auch für Hohenlohe zuständig ist.

Der Arbeitsmarkt in Hohenlohe steht vor großen Herausforderungen. Was ist jetzt zu tun? Elisabeth Giesen, Chefin der hiesigen Agentur für Arbeit, gibt darüber Auskunft.
Wie stark hat Corona den Arbeitsmarkt in Hohenlohe getroffen?
Elisabeth Giesen: Der Arbeitsmarkt in Hohenlohe ist sehr gut durch die Pandemie gekommen. Die Lage ist stabil. Den Hotel- und Gaststättenbereich hat es schon getroffen. Aber die Beschäftigten, die dort freigesetzt wurden, hatten die Chance, innerhalb unseres großen Agenturbezirks, der vier Kreise umfasst, in andere Jobs zu wechseln.
Und die Unternehmen?
Giesen: Die Unternehmen, die stärker betroffen waren, haben alles getan, um ihre Arbeitnehmer zu halten. Deswegen haben sie das Instrument der Kurzarbeit stark in Anspruch genommen. Das hat sich ausgezahlt. Bei den Arbeitslosenzahlen haben wir aktuell schon wieder das Niveau von 2019 erreicht.
Dafür ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen weiter gestiegen.
Giesen: Ja, die hat zugenommen. Insbesondere bei den Älteren oder den Schwerbehinderten ist der Anteil überproportional gestiegen.
Wie viele Beschäftigte aus den Gesundheitsberufen, die nicht geimpft sind, haben sich zuletzt arbeitssuchend gemeldet?
Giesen: In der Gesundheitsbranche haben sich im Agenturbezirk 1,3 Prozent arbeitssuchend gemeldet. Es gibt dafür aber auch andere Gründe als die nahende Impfpflicht.
Trotzdem ächzt die Pflegebranche unter immer größeren Lasten. Müssen Pflegekräfte besser bezahlt werden?
Giesen: Wenn Sie mit Pflegekräften sprechen, spielt die Bezahlung nicht mehr die dominante Rolle. Die Löhne wurden da vielfach angepasst.
Wie können dann mehr Fachkräfte für diesen Bereich gewonnen werden?
Giesen: Indem wir den Blick weiten. Es ist im Gesundheitsbereich viel möglich: von der Intensivstation bis zur Werkstätte für Behinderte. Diese vielfältigen Chancen, mit Menschen in Kontakt zu kommen, müssen wir noch mehr betonen.
Wie steht es um die Dienstleistungsberufe insgesamt, vor allem im öffentlichen Sektor? Hier ist der Fachkräftemangel eklatant. Besteht die Gefahr, dass bestimmte Leistungen langfristig nur noch verspätet oder gar nicht mehr erbracht werden können?
Giesen: Diese Herausforderung wird immer größer. Es gibt eine Studie, wie sich die Branchen bis 2040 entwickeln. Da sind die Dienstleistungen im Vergleich zum Industriebereich viel mehr betroffen. Bei der Berufsberatung müssen wir darauf hinweisen und den Blick weiten von technischen Berufen hin zu Verwaltung, Dienstleistung oder Pflege.
Hohenlohe ist die Region der Weltmarktführer im Maschinenbau, in der Produktion, im Großhandel. In drei kurzen Sätzen: Was ist ihr Ratschlag an die heimische Wirtschaft?
Giesen: Hohenlohe ist attraktiv. Hohenlohe muss sich allerdings weiter entwickeln, um attraktiv zu bleiben. Hohenlohe muss seine Attraktivität noch besser publik machen.
Was ist am wichtigsten?
Giesen: Am wichtigsten ist das Thema Qualifizierung: von Arbeitslosen wie von Beschäftigten. Wir wollen frühzeitig mit den Firmen ins Gespräch kommen, um die Mitarbeiter auf die veränderten Arbeitsbedingungen vorbereiten zu können.
Bitte präzisieren Sie das.
Giesen: Wir wollen, dass Arbeitslosigkeit erst gar nicht entsteht. Und wir wollen mit den Arbeitslosen reden. Woher kommen sie, wohin tendieren sie? Wir wollen die Veränderungsprozesse klar aufzeigen und erklären: Du arbeitest jetzt in dem Bereich XY. Der Beruf hat sich verändert, aber auch die Wirtschaft. Könntest du dir vorstellen, in diesen oder jenen Bereich zu wechseln, mit dieser oder jener Qualifizierung?
Kann die Transformation gelingen? Schließlich sind viele Arbeitnehmer schon älter, und die Geringqualifizierten bekommen Sie schon jetzt kaum auf dem ersten Arbeitsmarkt unter.
Giesen: Das ist eine individuelle Frage. Für jeden Beruf gilt: Manche Basics bleiben immer gleich, andere Dinge ändern sich. Ich möchte das nicht am Alter festmachen. Entscheidend ist die innere Haltung: Lasse ich mich auf diesen Prozess ein und sehe ich auch die Chancen?
Nennen Sie ein Beispiel.
Giesen: Einen Ingenieur, der Getriebe entworfen hat, brauche ich nicht mehr, wenn das E-Fahrzeug sich durchsetzt. Das heißt aber nicht, dass er für anderes nicht mehr gebraucht wird. Er muss sich umorientieren. Das ist keine Frage der Qualifikation allein und auch keine des Alters, sondern der Einstellung.
Hohenlohe attraktiv halten: Was heißt das, und was können Sie tun?
Giesen: Die Einheimischen zu halten. Etwa über die Hochschulen. Da können wir in der Beratung unseren Beitrag leisten. Außerdem können wir zusehen, dass auch die Partner neuer Fachkräfte hier Arbeit finden.
Wo stünde der Arbeitsmarkt in Hohenlohe ohne Zuwanderung?
Giesen: Seit 2011 wurden über die Hälfte der neu geschaffenen Stellen mit Ausländern besetzt. Beschäftigungswachstum ohne Zuwanderung funktioniert also nicht.
Wie wichtig sind Einpendler?
Giesen: Es gibt eine enorm enge Verflechtung zwischen den Kreisen Schwäbisch Hall, Hohenlohe und Heilbronn. Es fahren fast so viele in die eine Richtung wie zurück. Im Main-Tauber-Kreis tendieren viel mehr nach Bayern als in die Region.
Wie groß sind die Risiken, dass bestimmte Berufe durch Maschinen oder Computer ersetzt werden?
Giesen: Im Internet gibt es den Futuromaten. Der zeigt, wie sehr Jobs durch Digitalisierung oder Automatisierung ersetzbar sein könnten.
Wie sind die lokalen Prognosen?
Giesen: Der Hohenlohekreis hat ein hohes Ersetzungspotenzial. Das liegt an den vielen Fertigungsberufen, die schon jetzt automatisierbar wären. Das birgt Risiken, eröffnet aber auch Chancen im Zuge des weiteren Strukturwandels.
Zur Person
Elisabeth Giesen leitet seit 1. Oktober 2020 die Arbeitsagentur Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim. Sie ist 46 Jahre alt, wurde in Stuttgart geboren, wuchs in Nürtingen auf und studierte Volkswirtschaftslehre in Tübingen. Giesen war zunächst unter anderem im Bankenbereich tätig, bevor sie 2009 zur Agentur für Arbeit wechselte. Erst war sie Bereichsleiterin des Jobcenters Augsburg-Stadt, dann operative Geschäftsführerin in der Agentur Offenburg. Zuletzt leitete sie den Fachbereich Strategieentwicklung in der Zentrale in Nürnberg. Elisabeth Giesen wohnt in Schwäbisch Hall, wo die hiesige Agentur für vier Landkreise ihren Hauptsitz hat.




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