„Kanonenfutter?“ – Heilbronner Jugendliche kritisieren Wehrdienst-Losverfahren
Jugendliche in Heilbronn verfolgen die Debatte um die Wehrpflicht und sind geteilter Meinung. Aber bei einem Aspekt sind sie sich alle einig: Das Losverfahren ist unfair.
Die schwarz-rote Koalition in Berlin plant eine Änderung des Wehrpflicht-Gesetzes. Per Losverfahren soll entschieden werden, wer eingezogen wird und wer nicht. Dann, wenn sich nicht genügend freiwillige junge Leute zur Bundeswehr melden.
Was halten junge Leute davon? Die Heilbronner Stimme hat sich auf der Straße in Heilbronn umgehört. „Das ist nicht fair“, meint Felix Fischer zu den Plänen. Dem 15-Jährigen ist klar, dass angesichts der Bedrohung durch Russland mehr Soldaten gebraucht werden. „Es ist ja richtig, dass die Wehrpflicht wieder kommt“, sagt er. Aber mit Druck und Zwang erreiche man nichts. Stattdessen „sollten so viele Anreize geschaffen werden, dass wir das freiwillig machen“. Er sagt: „Ich gebe da ja ein Jahr meines Lebens auf und lerne aber im Prinzip nichts. Da gehe ich lieber studieren oder ins Ausland.“
Umfrage in Heilbronn: Jugendliche würden Dienst an der Waffe verweigern
Sein Freund Henry Teutsch findet, dass das alte Wehrpflichtsystem eigentlich gut funktioniert habe, dass statt Militär auch Zivildienst geleistet werden konnte. Der 15-Jährige würde, sollte es zu einer Einberufung kommen, den Dienst an der Waffe verweigern. Genau wie sein Freund Nikias Dresel. „Ich habe sogar schon darüber nachgedacht, freiwillig zur Bundeswehr zu gehen“, aber in der jetzigen geopolitischen Lage sei das ihm zu heikel. „In Zeiten der Drohnenkriegsführung sind wir dann doch eh nur noch Kanonenfutter.“

Vito Scrbak und Fabian Wieck haben sich auch schon öfter über das Thema Wehrpflicht unterhalten. Die 15-Jährigen sind ebenfalls der Meinung, dass das Losverfahren unfair sei. „Trotzdem sollte jeder zur Musterung. Aber dann sollen wir immer noch frei entscheiden können, ob wir es machen wollen.“
Student in Heilbronn: Verpflichtendes soziales Jahr soll Fachkräftemangel in der Pflege entgegenwirken
Michael Neugum sieht das anders. „Es ist mir egal, ich werde eh nicht eingezogen“, sagt der 20-Jährige. Er befürwortet ein verpflichtendes Jahr für alle. Es sollte aber jeder selbst entscheiden, geht er zum Militär oder macht er ein soziales Jahr. „Es mangelt an Pflegekräften. Das soziale Jahr ist genau das, was wir brauchen“, meint der Student.
Sein Kommilitone ist da geteilter Meinung. „Das Prinzip, dass man dazu gezwungen wird, ist das Problem“, sagt Kevin Schönmayer. Das gilt zum einen für das soziale Jahr, aber auch für den Einzug per Los. „Ich sehe keinen Grund, warum man es per Los entscheiden sollte.“ Der 19-Jährige stellt die Chancengleichheit bei dem Verfahren in Frage.
Wehrpflicht fördert klassische Geschlechterrollen: Verfahren sollte für alle gleich sein
Sara Vejsada hat die Diskussion in der Schule mitbekommen. „Wenn das bei uns Pflicht wäre, würde ich nicht mitmachen.“ Für Frauen ist die Musterung freiwillig, den zugeschickten Fragebogen müssten diese nicht ausfüllen. Dass die Männer in die Pflicht genommen werden, bedient für die 17-Jährige wieder klassische Geschlechterrollen. Die FSJlerin fände es gut, wenn es für alle freiwillig wäre. Eine Pflicht für alle Geschlechter lehnt sie ab.
„Da überdenke ich die Meinungsfreiheit in Deutschland doch sehr“, so ihre Arbeitskollegin Maryam Zehani. Auch die Geschlechterrollen sieht die 23-Jährige kritisch. „Nur weil das Klischee Mann bedient wird, als die Harten, muss nicht jeder gleich zum Militär.“
Vorsitzende des Heilbronner Jugendgemeinderates gegen Wehrpflicht
Le Thuc-Anh Do, kurz Thuki, ist die Vorsitzende des Jugendgemeinderates Heilbronn. „Für Jugendliche ist dieses Losverfahren fatal“, sagt sie. Es sei utopisch, anzunehmen, dass die geplante Reform funktionieren könnte. Ihr ist bewusst, dass Deutschland in einer Zwickmühle steckt, Soldaten gebraucht würden für die Verteidigung. „Aber wir sollten mehr in den Frieden investieren und weniger in den Krieg.“
Außerdem gehe das ganze Verfahren zu schnell. Erst sei nur eine Musterung vorgesehen, „jetzt wird direkt über ein Losverfahren diskutiert“. Da Deutschland schon lange keine Wehrpflicht mehr habe, sollte die Jugend langsam an das Thema herangeführt werden.
„Wehrpflicht ist eine Verschwendung der Ressourcen“
Jugendgemeinderat Benedikt Bihr zweifelt am Wehrdienst. „Das Europabündnis hat mehr Kapazitäten als die Aggressoren wie Russland“, glaubt er. Da hätten die Gegner keine Chance. Die Wehrpflicht wäre eine Verschwendung von Ressourcen, die an anderer Stelle dringender gebraucht würden, wie beispielsweise bei der Bekämpfung des Klimawandels.
Auch ein verpflichtendes soziales Jahr sieht Bihr kritisch. „Es heißt immer ,wir brauchen Fachkräfte’, aber ein Sozialdienst würde den Pflegeberuf wieder abwerten.“ Unerfahrene junge Leute, die keinen Spaß daran hätten, würden den Job machen.
Des Weiteren stellt er die Frage: „Will man wirklich für ein Land sterben?“ An allem werde gespart, der Staat kürze immer mehr Mittel. „Die bieten einem ja nicht mal was“, sagt der 20-Jährige. Aber es werde einem einiges abverlangt.


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