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Warum Immanuel Schmutz als Förster 200 Jahre in die Zukunft blicken muss

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Als Forstamtsleiter in Heilbronn sorgt Immanuel Schmutz dafür, dass der Wald auch künftig zur Erholung dient und Holz liefert. Was seine Arbeit erschwert und wie er auf das 200-jährige Leben eines Baums blickt, erzählt er im Interview.

Das Alter dieser Eiche schätzt Forstamtsleiter Immanuel Schmutz auf über 200 Jahre. Wenn sein Plan aufgeht, steht sie auch in 100 Jahren noch.
Das Alter dieser Eiche schätzt Forstamtsleiter Immanuel Schmutz auf über 200 Jahre. Wenn sein Plan aufgeht, steht sie auch in 100 Jahren noch.  Foto: Berger, Mario

Herr Schmutz, was macht der Wald mit Ihnen?

Immanuel Schmutz: Ich glaube, ich empfinde das wie jeder unbedarfte Spaziergänger. Die Geräusche, die Stille, das Rascheln der Blätter, das Vogelgezwitscher, die Kühle im Sommer. Für mich ist der Wald erholsam. Aber ich kann den Blick des Försters nicht ganz abschalten.


Sie denken quasi an die Arbeit?

Schmutz: Man kriegt das nicht ganz raus. In meinem Urlaub war ich mit der Familie auf der Schwäbischen Alb wandern. Auch nach einer Woche geht der Blick auf fachliche Dinge. Das ist genau wie bei einem Musikwissenschaftler, der ein Konzert von Bach schön findet, bestimmte Stellen aber anders wahrnimmt.


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Sie standen für unser Foto neben einer Eiche, deren Alter Sie auf 200 Jahre geschätzt haben. Wie überblickt man einen so langen Zeitraum?

Schmutz: Bis vor 120 Jahren wurden die Bäume hier meist als Brennholz und zu kleineren Teilen als Bauholz genutzt. Heute geht die Blickrichtung der Forstleute viel mehr auf Wertholzproduktion. Das heißt, dass wir aus Eichen Parkett, Furnier und Fässer machen und das Holz nicht einfach verheizen. Der Wald von heute lässt aber einen Blick in die Jahrhunderte seiner Geschichte zu und spiegelt frühere Waldgenerationen und ihre Nutzung wider.


Wie kann man den Wald erhalten und ihn gleichzeitig verändern?

Schmutz: Man muss wissen, woher der Wald kommt. Wir haben hier einen Mischwald aus Eiche und Buche. Insgesamt gibt es im Heilbronner Stadtwald aber 40 Baumarten, wir haben also eine große Vielfalt, aus der wir schöpfen können. Der Wald soll zur Erholung der Bevölkerung dienen. Er soll dicht an der Natur sein, damit wir unsere natürlichen Ökosysteme erhalten. Und er soll auch künftig die Holznutzung ermöglichen. Das Ziel ist eine Waldgesellschaft, die klimastabil ist. Der Weg dahin sollte in erster Linie über natürliche Verjüngung führen. Bei der Eiche gehen wir davon aus, dass sie mit dem Klimawandel relativ gut klarkommt.


Wie sehr bedroht der Klimawandel den Wald?

Schmutz: Wir gehen davon aus, dass sich der Klimawandel auf 1,5 bis 2 Grad beschränkt. Abseits dessen gibt es keine ernsthaften Prognosen, was mit unserem Wald passiert. Wir haben in Europa ja schon Gebiete, in denen es wärmer und trockener ist. Dort kann man sehen, dass viele Baumarten etwas geschwächt werden, weniger gesund sind und anfälliger für Schädlinge werden. Wir glauben aber, dass Eiche, Hainbuche, Linde, Kirsche, Elsbeere bei uns eine Zukunft haben. Die Fichte wird das nicht schaffen, sie wird im Heilbronner Wald verschwinden.


Wie ist das, wenn man das Ergebnis seiner Arbeit gar nicht miterlebt?

Schmutz: Für uns Forstleute war das immer eine Selbstverständlichkeit. Wir ernten das, was unsere Vorgänger gepflanzt und gepflegt haben und machen das Gleiche für kommende Generationen. Das ist ein Generationenvertrag, der immer funktioniert hat.


Und jetzt?

Schmutz: Jetzt kommt er ins Wackeln, weil wir mit der Unsicherheit des Klimawandels arbeiten müssen. Das Klima war immer eine Konstante, seit es die Forstwirtschaft gibt. Jetzt ändert es sich und wir wissen schlicht nicht, ob das, was wir machen, wirklich so funktioniert, dass unsere Nachfolger damit arbeiten können. Das ist eine Unsicherheit, die einen durchaus belastet.


Inwiefern?

Schmutz: Zum Beispiel, wenn man eine kahle Fläche hat, weil der Borkenkäfer da war. Bisher konnte man davon ausgehen, dass wieder ein Wald daraus wird, wenn man Buchen oder Eichen pflanzt. Diese Sicherheit gibt es nicht mehr.


Es ist nicht mal sicher, ob die Temperatur um 1,5 Grad, zwei Grad oder noch höher steigt.

Schmutz: Genau. Ich habe das Waldsterben in den 80er Jahren als Schüler miterlebt. Damals gab es riesige Kahlflächen. Der Grund waren Schadstoffe aus Braunkohlekraftwerken und dem Straßenverkehr. Das Problem ließ sich lösen, indem man Filter in die Kraftwerke eingebaut hat und den Schwefel in Kraftstoffen reduziert hat. Weil es keinen sauren Regen mehr gab, konnten sich die Wälder in weiten Teilen wieder erholen. Jetzt haben wir einen hohen CO2-Ausstoß, der nicht sinkt. Das ist ein Problem, das wir regional gar nicht lösen können. Wir können in Deutschland nur zeigen, dass es anders geht. Das ist jede Anstrengung wert.


Was macht Sie hoffnungsvoll?

Schmutz: Ich sehe, wie die Bäume wachsen. Aufgabe von uns Forstleuten ist, mit Wissen und unseren Möglichkeiten die Voraussetzungen für die nächste Waldgeneration zu schaffen.


Sie planen im Beruf weit voraus. Wie ist es privat?

Schmutz: Das Leben lässt sich nicht einfach planen. Man hat vielleicht Vorstellungen, aber man kann nicht planen, welchen Berufswunsch die Kinder mal haben. Mir war es nicht in die Wiege gelegt, Förster in Heilbronn zu werden. Auch da arbeitet man mit den Voraussetzungen, die man hat. Ich würde meinen Kindern oder Enkelkinder nicht sagen, was sie tun sollen.


Blickt die Gesellschaft heute anders auf die Zukunft?

Schmutz: Ich weiß nicht, ob sich das zum Besseren verändert hat. Die wirtschaftliche Entwicklung, die auf hohen schnellen Profit aus ist, könnte auf die Gesellschaft insgesamt abfärben. Das wirkt auf einen Förster zunehmend fremd. Wir wirtschaften in den öffentlichen Wäldern anders. Auch ein familiengeführter Betrieb denkt am ehesten an die Zukunft, weil die Enkel den Betrieb mal übernehmen könnten. Die Vorstellung, etwas Bleibendes zu hinterlassen und nachhaltig zu leben, hat schon gelitten in den letzten Jahrzehnten.


Was bedeutet nachhaltiges Leben für Sie?

Schmutz: Ich glaube, dass der Begriff Nachhaltigkeit noch nicht bei jedem angekommen ist. Er bedeutet, nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als im gleichen Zeitraum nachwachsen. Davon sind wir als Gesellschaft weit entfernt.


Ist Ihnen selbst nachhaltiges Leben wichtig?

Schmutz: Das ist mir schon wichtig. Man kann das nicht immer konsequent durchziehen. Ein völlig dogmatischer Lebensstil raubt einem auch die Freude. Aber es fängt damit an, dass man keinen SUV fahren muss, wenn man ihn nicht beruflich braucht. Es kommt darauf an, dass man nicht ständig neue Klamotten kauft, ob man Bio kauft oder wie oft man Fleisch isst. Über solche Dinge nachzudenken, hilft schon. Dann kauft man mal etwas Unvernünftiges, aber nicht regelmäßig.


Haben Sie mal darüber nachgedacht, sich im Wald beerdigen zu lassen?

Schmutz: Ja, ich bin mir aber noch nicht sicher (lacht). Das muss für einen Förster auch nicht unbedingt sein. Ökologisch betrachtet weiß ich nicht, ob es sinnvoll ist, sich einäschern zu lassen, weil das viel Energie verbraucht. Die Elemente, aus denen ein Körper besteht, fließen sowieso wieder in den natürlichen Kreislauf.


Immanuel Schmutz (50) ist bei Bad Urach auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen. Als Kind ist er mit seinen Eltern oft im Wald unterwegs, sein Großvater arbeitet im Winter als Waldarbeiter. Zu Hause wird damals mit Holz geheizt. Obwohl es lange nicht sein Ziel ist, will er als Schüler irgendwann Förster werden, erzählt er. "Ich hätte diesen Wunsch heute wieder." Später studiert er Forstwissenschaften in Freiburg, arbeitet in Berlin und Brandenburg. Heute wohnt er in Kirchheim und leitet die Abteilung Forst und Landwirtschaft bei der Stadt Heilbronn.

 

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