Raketen-Explosion auf der Heilbronner Waldheide: Erstmals äußert sich ein damals beteiligter US-Soldat
Am 11. Januar 1985 explodierte auf der Heilbronner Waldheide der Motor einer Pershing-Atomrakete. Drei US-Soldaten starben, 16 wurden verletzt. Erstmals äußert sich ein Beteiligter öffentlich dazu.

Als Daniel David Harstin an diesem brütend heißen Tag im August 2018 auf der Waldheide niederkniet und seine Baseball-Kappe abnimmt, tut er das nicht nur, um auszuruhen - oder sich für die Handy-Kamera besser ins Bild zu rücken. Der 62-Jährige ist vielmehr ein tief gläubiger Mensch, er ist sogar methodistischer Pastor.
"Die Rückkehr nach Heilbronn, nach Fort Redleg", so berichtet er dieser Tage per Video-Schaltung der Heilbronner Stimme, "das ist schon sehr bewegend gewesen", besonders als er erstmals an diesem unscheinbaren Felsen steht - und kniet. Ein Messingschild mit den Namen John Leach, Darryl L. Shirley und Todd A. Zephier weist den Granitbrocken als Gedenkstein für die drei getöteten Soldaten des Pershing-Unglücks von 1985 aus.
Daniel David Harstin und seine Frau Julie, mit der er drei Kinder zur Welt brachte, leben heute in einer kleinen Stadt namens Obion im US-Bundesstaat Tennessee. Vor knapp 40 Jahren, genauer von November 1984 bis März 1986, war Harstin als Soldat der US-Army in der Artillery-Kaserne Neckarsulm stationiert: als Pershing Electronics Material Specialist.
In dieser Funktion erlebte Harstin vor genau 38 Jahren, am Freitag, 11. Januar 1985, um 13.58 Uhr die Explosion eines Pershing-II-Raketenmotor auf der Waldheide mit: nicht am Rande, nicht nur als Augenzeuge, sondern als Beteiligter, als Handelnder, als Verunglückter, "hautnah", wie er zu verstehen gibt.
Drei Tote und 16 Verletzte
Der damals 24-Jährige stand bei dem Unglück, das zu Hochzeiten des Kalten Krieges zwischen Nato und Warschauer Pakt die Welt erschütterte und Heilbronn schlagartig in den Brennpunkt der Weltöffentlichkeit rückte, in der ersten Reihe. Er gehörte zu den 16 Verletzten, die den Unfall mit Brandwunden überlebten.
Über seinen Großcousin Johannes Heibel, der im Westerwald lebt, war Harstin vor einem Jahr auf einen Stimme-Artikel zum Waldheide-Unglück aufmerksam geworden. Er mailte die Redaktion an, gab ihr den Link zu einem kurzen Youtube-Video und zeigte sich auf Anfrage bereit für ein persönliches Gespräch.
Soweit bekannt, ist es das erste Mal, dass sich ein Beteiligter öffentlich zum damaligen Unfallhergang äußert. Dies sieht auch Stadtarchivdirektor Christhard Schrenk so, der sich derzeit besonders in die Materie vertieft, weil er für die Waldheide ein Gedenkkonzept projektiert.
"Es war ein sehr kalter und verschneiter Tag", erinnert sich Harstin. Mit anderen Soldaten sei er damit beschäftigt gewesen, Pershing-II-Raketen zusammenzubauen und deren Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Übrigens nur 100 Meter von einem Hubschrauberhangar entfernt, dem letzten Gebäude von Fort Redleg, das heute als Schafstall dient und abgerissen werden soll. "Wir wollten rechtzeitig zum Wochenende fertig werden und hatten deshalb schon früh am Morgen angefangen," berichtet er in aller Ruhe, bald aber mit gebrochener Stimme, stockend, nachdenklich.

Sein Trupp sei gerade mit der dritten Rakete zugange gewesen, wollte deren Antriebsstufe mit einem Kran und einzelnen Führungsseilen aus einem Container hieven. Doch plötzlich kam alles anders, als geplant. "Als mein Freund den Kran bediente, um den Motor anzuheben, wackelte er ein wenig, also senkten wir ihn zurück, um den Kran so einzustellen, dass er gerader angehoben werden konnte. Doch als er sich zu heben begann, zündete er plötzlich", - mutmaßlich eine elektrostatische Entladung, die vom Metall auf den Treibstoff übersprang, wie spätere Untersuchungen ergaben.
Dank an die Ersthelfer
"Durch den Druck wurde ich nach hinten geschleudert, über einen Containerdeckel, mit dem Gesicht nach unten in den Schnee. Ich wusste sofort, dass die Rakete brannte. Ich hörte sie brennen. Ich lag auf dem Bauch, kroch dann unter dem Raketenwerfer durch, stand auf, rannte zu einer Kiefer, wo ich schemenhaft einige Gestalten erkannte. Gleichzeitig trugen sie den Kranführer raus, er hatte eine Armverletzung, aber sonst war er ganz okay."
Anders Darryl L. Shirley. "Er starb später an seinen Kopfverletzungen. Staff Sergeant John Leach, der sich am hinteren Ende des Motors befand, erlitt schwere Verbrennungen. Soweit ich weiß, starb er an der Seite von Todd A. Zephier. Ich war damals erst seit sechs Wochen dabei und neu in der Einheit und kannte daher die Leute nicht so gut. Es waren aber auch alte Bekannte dabei, etwa Acer Owens aus Oklahoma. Ein anderer Freund, der an diesem Tag hier oben Dienst hatte, war ein Sanitäter namens Keith Harden."
Keith Harden habe erste Hilfe geleistet. "Er gab mir eine Infusion, hat die Augen vom Ruß befreit und verbunden. Dann wurde ich mit dem Krankenwagen in ein Krankenhaus gebracht", mutmaßlich in Heilbronn, denn die Fahrt dauert nicht lange. Gesehen habe Harstin nichts, "meine Augen waren ja abgeklebt. Wimpern und Augenbrauen waren total verbrannt, auch ein Teil der Haare, aber ich hatte Glück im Unglück, insgesamt nur Verbrennungen zweiten Grades und leichte Verbrennungen an meinen Augen."
Hoher Besuch am Krankenbett
Bald wird Harstin ins Militärhospital Bad Cannstatt verlegt. Am Krankenbett bekommt er Besuch von Pershing-General Raymond Earl Haddock, der später beim Mauerfall US-Kommandant von Berlin ist, und Staatssekretär Robert Ruder. "Nach einer Woche hatte ich sechs Tage Erholungsurlaub, traf Freunde, machte Spaziergänge durch die Weinberge, auch Ausflüge, etwa nach Heidelberg." Seine Wunden seien Gott sei Dank schnell verheilt. "Ich habe keine Narben und bin zum Glück noch hier, um meine Geschichte zu erzählen."

Derzeit büffelt der Amerikaner feste Deutsch, denn zum 40. Jahrestag des Waldheide-Unglücks, also 2025, will er unbedingt nach Heilbronn reisen und möglichst viel verstehen. Aus der Video-Konferenz mit der Heilbronner Stimme verabschiedet sich der Veteran pastoral: "Gott holt die Menschen wirklich aus dem Feuer, er zieht sie wirklich aus dem Feuer heraus."