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Obdachlos trotz Beschäftigung: Morgens vom Erfrierungsschutz in Heilbronn zur Arbeit

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Berufstätig und trotzdem obdachlos in Heilbronn: Ein Betroffener erzählt, wie das geht. Ironischerweise hat er wegen des Jobs die Wohnung verloren.

Insgesamt 16 Menschen gewährt der Erfrierungsschutz Obdach in den eiskalten Nächten. Hans-Martin Klenk von der Aufbaugilde prüft, ob alles ok ist.
Insgesamt 16 Menschen gewährt der Erfrierungsschutz Obdach in den eiskalten Nächten. Hans-Martin Klenk von der Aufbaugilde prüft, ob alles ok ist.  Foto: Berger, Mario

Nichts an Walter M, im langen schwarzen Mantel, Turnschuhe, Mütze auf dem Kopf, den schwarz-weißen Schal um den Hals gewickelt, weist auf seine Lebensumstände hin. Damit das so bleibt, veröffentlicht die Stimme-Redaktion seinen richtigen Namen nicht.

Der 37-Jährige arbeitetet im Dreischichtbetrieb für eine Zeitarbeitsfirma in der Lagerlogistik. Wenn er Frühschicht hat um 5.45 Uhr, steht er um 4.45 auf, steigt um 5.21 in die Stadtbahn am Heilbronner Rathaus und fährt im Job "Ameise", wie er sagt, und meint damit einen Hubwagen. Für 1200 Euro brutto. Zum Leben bleibt nur der Grundbetrag. Der Rest wird abgezogen, "weil ich viele Schulden zahlen muss".


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Das Tafelmobil, wie hier in Weinsberg, hält künftig auch in Neuenstadt am Dr.-Carl-Möricke-Stift. Damit der Einkauf zügig erledigt und der Fahrplan eingehalten werden kann, bedarf es einer ausreichenden Zahl an Helfern. Wer sich für die freiwillige Arbeit interessiert, kann sich bei der Diakonie melden.
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Seine Privatsphäre ist ihm wichtig

Walter M., gelernter Metall-Facharbeiter, lächelt ein wenig schräg. Er möchte nicht zu viel verraten, nicht zu viel von sich preisgeben. Seine Privatsphäre ist ihm wichtig, es gibt nicht so viel davon. Nachts misst sie 80 Zentimeter in der Breite. Wenn er den Arm ausstreckt, stößt er rechts an einen fremden Mann, und links auch. Er hat den Geruch in der Nase, er hört das Schnarchen. Die Matratze seines Klappbetts ist mit Plastikfolie überzogen, die Bettwäsche eine Spende vom Krankenhaus.

Rückzugsmöglichkeiten gibt es nicht

Er schaut nicht fern, er kann sich nicht zurückziehen. Die Toilette teilt er mit 15 Leuten, wenn alle Betten belegt sind. Seine Heimat auf Zeit ist seit November der Erfrierungsschutz in den Mitarbeiterräumen des Freibads Neckarhalde.


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Die Wohnung hat er ironischerweise verloren, als er einen Job fand. Weil das Jobcenter die Hartz-IV-Zahlung einstellte, und damit die Miete, der Lohn aber erst im Folgemonat kam, warf der Vermieter ihn raus. Rechtens war das nicht. Aber Walter M. ging.

Heute Nacht hat eine Frau anhaltend geschrieen

Heute Nacht ist es laut geworden, eine Frau, die psychische Probleme hat, hat anhaltend geschrieen. "Ich hab" nichts gehört. Ich schlafe immer tief", sagt er. Nur wenn manche immer zum Rauchen rein- und raus müssen, ist das mit der Nachtruhe ein Problem.

Den Erfrierungsschutz hat die Aufbaugilde 2005 eingerichtet, erste Notübernachtungen gab es schon im einstigen Gildetreff, weil das Wohnungslosenheim im Salzgrund manche Menschen nicht erreicht. "Häufig sind es Einzelgänger oder Leute mit psychischen Problemen", sagt Hans-Martin Klenk, Leiter der Wohnungsnotfallhilfe und des Unterstützungszentrums der Aufbaugilde.

Der Erfrierungsschutz ist kostenlos, Wohnungslose dürfen ihre Hunde mitbringen

Im Erfrierungsschutz landen einige nach Trennungen, wurden in der Drogennachsorge-WG rückfällig oder kommen aus Osteuropa, teils massiv süchtig. Zeitweise schlief hier ein 19-Jähriger, der zuvor in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen war. Viele haben Probleme, trinken, zahlen keine Miete und verlieren ihre Wohnung.


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Sie finden hier kostenlos Schutz und dürfen ihre Vierbeiner mitbringen, was im Salzgrund nicht möglich ist, und wo die Nacht 11,50 Euro kostet. 31 Hunde-Übernachtungen gab es bislang in diesem Winter, 967 andere Übernachtungen. "Mit den Tieren klappt es gut. Sie sind bei ihrem Herrchen, oft haben wir dann besonders ruhige Nächte," sagt Klenk. Bei den Besuchern gibt es einen festen Stamm und ab und zu Wechsel. 40 Männer und zehn Frauen nahmen bis jetzt das Angebot wahr.

An seiner Schlafstätte deutet nichts Persönliches auf Walter M. hin. Der Nachbar hat hier noch seinen Rucksack deponiert, leere Flaschen liegen herum. "Das gibts bei mir nicht", sagt der Schichtarbeiter.

Zum Duschen geht er ins Unterstützungszentrum

Ein paar Kleider, Handy und Zahnbürste lagert er im Zimmer der Ehrenamtlichen, "damit nichts geklaut wird". Morgens geht nur Katzenwäsche am Waschbecken. Zum Duschen läuft Walter M. ins Unterstützungszentrum in die Wilhelmstraße 26 und auch zum Frühstück, wenn er keine Frühschicht hat. Sonst bleibt ihm, was von den Spenden der Gildetreff-Weihnachtsfeier übrig ist, das Essen in der Kantine, abends eine 5-Minuten-Suppe. Mit den Kollegen unterhält er sich, aber wo er wohnt, das ahnt dort keiner. Klar, sucht er ein Zimmer. "Aber die meisten Vermieter wollen nur Studenten."

Den Erfrierungsschutz gibt es bis März

Bis März gibt es den Erfrierungsschutz. Was dann kommt? Walter M. zuckt die Schultern. "Ich kann auch draußen schlafen. Alles kann passieren." Ob er auf der Liste fürs Aufnahmehaus der Aufbaugilde steht?, fragt Klenk, aber der Mann mit der Mütze winkt ab. Er mag keine sozialpädagogische Betreuung, mag es nicht, wenn jemand darauf achtet, dass er seinen Schriftverkehr im Griff hat. "Das ist zurzeit nichts für mich. Ich will nicht, dass jemand meine Post aufmacht."

Spendenfinanziertes Angebot

Dass jemand wohnungslos ist und arbeitet, ist eine Ausnahme und für den Betroffenen eine Herausforderung, sagt Hans-Martin Klenk, Leiter der Wohnungsnotfallhilfe der Aufbaugilde. Im städtischen Obdachlosenheim waren es zuletzt zwei von 72 Menschen. Der Erfrierungsschutz ist spendenfinanziert und setzt als Ergänzung zum städtischen Angebot auf Ehrenamtliche, die zu zweit nachts vor Ort sind. Techniker, ITler, Krankenpfleger, Azubis und ein Schüler sind darunter. "Der Erfrierungsschutz der Aufbaugilde ist ein wichtiger Baustein der Heilbronner Obdachlosenhilfe", sagt Sozialbürgermeisterin Agnes Christner. "Es beeindruckt mich sehr, und ich bin sehr dankbar, wie viele Menschen sich dort bürgerschaftlich engagieren."

 

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