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Woanders fast aufgegeben: Brackenheimer schaffte an der Susanne-Finkbeiner-Schule Sprung in eine gute Zukunft

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Einst wurde er von seiner alten Schule wegen einer Lese-Rechtschreib-Schwäche fast aufgegeben: Heute ist Lars Keiling stolz auf seine Mittlere Reife und seine Lehrstelle in Tripsdrill. Geschafft hat er dies dank viel Paukerei und einem nicht alltäglichen Lehrer-Schüler-Verhältnis.

Vier prägende Jahre war Lars Keiling an der Susanne Finkbeiner-Schule und konnte anschließend mit dem Realschulabschluss ins Berufsleben starten.
Vier prägende Jahre war Lars Keiling an der Susanne Finkbeiner-Schule und konnte anschließend mit dem Realschulabschluss ins Berufsleben starten.  Foto: Seidel, Ralf

"Ich darf doch?" Mit einem Lächeln zieht Mustafa Hozo, stellvertretender Schulleiter der Susanne-Finkbeiner-Schule (SFS), Lars Keiling die Mütze vom Kopf. Der 21-Jährige, groß und breitschultrig, lässt es zu, wuschelt sich kurz durch die braunen Haare. Fast ein freundschaftliches Verhältnis verbindet den Schüler mit seinem ehemaligen Lehrer.

Lars Keiling hat in kurzer Zeit Englischkenntnisse aufgeholt

Beiden kommt es vor, als wäre es gestern gewesen, dass Keiling aus dem Gebäude in der Hans-Rießer-Straße hinausspaziert ist, voller Stolz, mit seiner Trophäe, dem Realschulzeugnis in der Hand. Und das, obwohl er, der zuvor nie Englisch gehabt hatte, dank Sprachcamp und viel Paukerei in zwei Jahren Kenntnisse von rund fünf Jahren aufholen musste, um fit zu sein für die Prüfung. "Ich hatte den Willen, und meine Eltern haben mir gesagt, das kriegst du hin. Das hat geholfen."


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Doch der Weg war steinig, und am Schluss wurde es noch mal richtig knapp. An dem Abend, als Schulleiterin Ajla Coric ihn um 22 Uhr angerufen hat, dass er am nächsten Morgen in die mündliche Prüfung in Mathe muss und bitte noch lernen soll, da war selbst Coric nervös. Geklappt hat es letztlich trotz aller Widrigkeiten.

Wegen seiner langen Haare wurde er gemobbt

Dass er es packt, das hätten einige Pädagogen seines ehemaligen Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) wohl nicht für möglich gehalten. Mancher, so hat es Lars Keiling in Erinnerung, habe ihm schon als Kind vermittelt: "Du bist nichts, und aus dir wird auch nichts."

Nur ein Jahr verbringt er auf der regulären Grundschule, "dann bin ich auf die Förderschule gewechselt". Wegen seiner langen Haare wird er dort gemobbt, Beistand, auch seitens der Lehrer, erfährt er nicht. "Das hat dort irgendwie keiner richtig mitgekriegt."

Erst in der vierten Klasse fällt einer Lehrerin auf, dass etwas grundsätzlich nicht stimmt

Gleichzeitig ringt der Junge mit der Zeichensetzung, dem Silbensalat, mit dem Unterschied zwischen b und d. Es bleibt ein Rätsel, ob der "Bauch" der Buchstaben hinten oder vorne hingehört. Aus der Not heraus merkt er sich ganze Textabschnitte, weil er sie nicht entziffern kann.

Erst in der vierten Klasse fällt einer Lehrerin auf, dass etwas grundlegend nicht stimmt. Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) lautet schließlich die Diagnose. "Für meine Mutter ist eine Welt zusammengebrochen." Auch heute ist der Kampf mit der Schrift trotz der vielen Übung noch Teil seines Alltags: "Texte zu schreiben, ist für mich eine riesen Plage."

Als er 15 ist, ist die Zeit im SBBZ beendet, aber dort einen Abschluss zu erlangen, ist in dieser Schulform nicht vorgesehen. Also meldet er sich bei der Susanne-Finkbeiner-Schule an, nachdem die Klasse die Bildungseinrichtung besichtigt hatte. "Das war damals für jemanden wie mich weit und breit die einzige Möglichkeit, einen Abschluss zu machen."

Gespräche, die nicht zwischen Lehrerzimmer und Flur stattfinden

Der Brackenheimer geht positiv an die Sache heran. "Ich bin hier hereingekommen, weil ich etwas Besseres wollte. Und auch, um meiner früheren Lehrern zu beweisen, dass ich es doch draufhabe." Er schätzt die kleine Klasse, die neuen Freunde, das persönlichere Verhältnis zu den Lehrern, mit denen es Gespräche gibt, die "nicht zwischen Lehrerzimmer und Flur" stattfinden.

Mustafa Hozo wird sein Lernbegleiter, dokumentiert seine Entwicklung, die Fortschritte in Deutsch und Mathe und erfährt im regelmäßigen Austausch, wie es Lars Keiling privat geht. Schnell erkennt er in ihm den "guten Typen", den hilfsbereiten Jungen, der vieles kann, handwerklich sehr geschickt ist, einen Computer ohne Probleme auseinander- und wieder zusammenbaut und nur ein Problem hat: das Lesen.

Inzwischen macht er eine Lehre in Tripsdrill

Im Unterricht wenden Hozo und seine Kollegen eine Taktik der kleinen Schritte an. In einer überschaubaren Gruppe üben die Schüler in der sogenannten offenen Lernzeit Präsentationen und bauen damit das Selbstvertrauen ihrer Schüler auf. "Mit der Zeit kommt die Reife, die Stärke. Das ist viel besser, als wenn jemand, der sich schwertut mit dem öffentlichen Reden, versagt. Dann wird er frustriert und hat künftig noch mehr Angst vor Präsentationen."

Keilings erster großer Erfolg ist die einem Hauptschulabschluss gleichgesetzte Prüfung, die er auf der Sonderberufsfachschule bewältigt - und schließlich das Sahnehäubchen, die Mittlere Reife. Inzwischen macht er eine Lehre im Garten- und Landschaftsbau im Freizeitpark Tripsdrill in Cleebronn. Trotzdem besucht er ab und zu seine alte Schule und die wichtigen Wegbegleiter: "Das waren vier prägende Jahre."

Technik fasziniert ihn

In Tripsdrill bereitet es ihm Freude, per Computerprogramm einen neuen Wasserspielplatz zu konzipieren. Die Technik fasziniert den Mann, der in seiner Freizeit gern an Autos und Mopeds schraubt. Seine Favoriten bei den Achterbahnen? "Hals-über-Kopf und Mammut." Die Berufsschule ist kein reines Zuckerschlecken, doch sein Ziel vor Augen, bleibt er am Ball. "Ich habe die Türe geöffnet, jetzt muss ich auch durchgehen."

 
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