Starker Anstieg der Sozialrechtsfälle bei den Juristen des Vdk
Angststörungen, Depressionen: Immer häufiger steigen Arbeitnehmer wegen psychischer Krankheiten früher aus dem Erwerbsleben aus. Die Verfahren im Sozialbereich sind für die VdK-Juristen in Heilbronn in den vergangenen Jahren gestiegen.

Andreas Schreyer und Cristina Meyer sind Sozialrechtsreferenten beim VdK, und sie haben alle Hände voll zu tun. Erwerbsminderungsrente, früher landläufig als Erwerbsunfähigkeit bekannt, und Schwerbehindertenrecht sind die zwei wichtigsten Themen, mit denen die beiden Juristen bei der Geschäftsstelle des VdK in der Frankfurter Straße in Heilbronn konfrontiert werden, wobei die Rentenklagen dominieren.
Und die Anfragen steigen. Vor vier Jahren hatte Andreas Schreyer mit 350 Verfahren im Jahr so viel zu tun, dass es für einen Einzelkämpfer nicht mehr zu bewältigen war. So kam seine Kollegin mit einer 50-Prozent-Stelle als Unterstützung dazu. Doch in der Zwischenzeit ist er erneut bei 350 Verfahren gelandet, während Cristina Meyer gleichzeitig auf 80 Prozent aufgestockt und ihrerseits 220 Verfahren auf dem Tisch hat.
Hinter jedem Fall steckt ein Schicksal
Wegen der starken Nachfrage ist nun eine erneute Ausweitung im Gespräch. "Hinter jedem Fall steckt ein Schicksal," sagt Schreyer. Auch in der Pandemie waren die Rechtsexperten erreichbar, "wir hatten keinen einzigen Tag geschlossen und haben alle Fälle weitergeführt". Per Telefon oder E-Mail, denn "die Nachfrage nach persönlichem Kontakt ist gesunken."
Auch die Mitgliederzahlen des Sozialverbands gehen in die Höhe. In den vergangenen zehn Jahren gab es einen Sprung von 5200 auf 8500 Mitglieder im Stadt- und Landkreis Heilbronn, wie VdK-Kreisverbandsvorsitzender Frank Stroh erläutert. Damit liegt der Kreisverband an dritter Stelle in Baden-Württemberg was das Wachstum angeht.

Leistungsdruck im Job nimmt zu
Gründe hierfür sieht Stroh zum einen in den härteren Anforderungen im Beruf. "Der Leistungsdruck nimmt zu und geht auf Kosten der Gesundheit", sagt der rührige 76-Jährige. Dann macht häufig nicht nur der Körper schlapp, sondern auch die Seele.
"Extrem oft", so Cristina Meyer, habe sie mit Menschen zu tun, die wegen psychischer Erkrankungen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten können, unter Depressionen litten oder Angststörungen. "Psychische Erkrankungen machen im Schwerbehindertenrecht rund 50 Prozent der Verfahren aus", sagt die Juristin, die zuvor in einer Kanzlei gearbeitet hat. Dazu kommt die demografische Entwicklung, selbst wenn der VdK auch Fälle junger Menschen oder Kinder betreut.
Es gibt auch einige Fälle Long-Covid-Betroffener
Die Juristen kümmern sich zudem um einige Long-Covid-Betroffene, die um Anerkennung der Schwerbehinderung kämpften. Andere, die unter ADHS litten oder wegen einer Krebserkrankung starke Schmerzmittel bräuchten, versuchten sich die Kostenübernahme von Cannabis-Präparaten als Heilmittel zu erstreiten. "Hier schalten die Krankenkassen immer den medizinischen Dienst ein, der das prüft. Of twird es abgelehnt", sagt Cristina Meyer.
Ihre Erfahrung: "Kassen und auch behandelnde Ärzte haben teils eher Vorbehalte und sehen Cannabis in erster Linie als Droge." Eine eventuelle Legalisierung 2024 fände sie gut. "Das würde mich freuen, weil es dann für die Betroffenen leichter wird bei der Abrechnung mit der Krankenkasse."
Dass es inzwischen so viele Anfragen gibt, sei auch der Corona-Zeit geschuldet. Sie habe die Menschen sensibler gemacht, mutmaßt Andreas Schreyer. Die frühere Obrigkeitsgläubigkeit, die er zuvor öfter erlebt habe, stelle er jetzt kaum noch fest. Die Leute seien gewillter, Bescheide von Behörden oder der Krankenkasse kritisch zu hinterfragen. "Viele haben gemerkt: ,wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt"", formuliert es Frank Stroh.
30 ehrenamtliche Lotsen sind bei den Beratungsstellen präsent
Erste Berührung mit dem VdK gebe es meist in den Beratungsstellen in den Rathäusern der Landkreiskommunen. 30 ehrenamtliche Lotsen helfen dort bei Formularen und Fragen, neuerdings auch beim Ausfüllen der Wohngeld-Anträge. Sie achten darauf, dass alle Unterlagen vorhanden sind und leiten die Bürger bei Bedarf zur VdK Sozialrechtsschutz gemeinnütziger GmbH weiter. Dort helfen dann Andreas Schreyer und Cristina Meyer.
Für eine Beratung müssen Interessenten VdK-Mitglied werden und bekommen eine erste Einschätzung der Juristen, ob sich ein Verfahren bei der jeweiligen Ausgangslage überhaupt lohnen könnte. Falls ja, stehen die Chancen gar nicht schlecht. "Die Erfolgsquote bei Rentenklagen liegt bei bis zu 50 Prozent", sagt Cristina Meyer.
Frank Stroh hört nächstes Jahr auf und sucht einen Nachfolger für den VdK
Frank Stroh hört nächstes Jahr als Kreisverbandsvorsitzender des Sozialverbands VdK Stadt- und Landkreis Heilbronn auf und sucht seit geraumer Zeit einen Nachfolger. "Generell ist es schwierig, Ehrenamtliche für den Vorstand zu finden, auch in den Ortsverbänden", sagt der 76-Jährige, der das Amt seit 2012 innehat. Nächstes Jahr werde er 78, "da ist es gut, wenn jemand mit neuen Ideen und Impulsen kommt", sagt der ehemalige IG-Metall-Bevollmächtigte. Was er an seinem Ehrenamt schätzt, ist das "gute, befriedigende Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun". Lotsen für die VdK-Beratungen in den Rathäusern zu finden sei dagegen weniger problematisch, weil das Zeitkontingent und die Verantwortung kleiner seien.


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