Klimawandel stellt Städte vor große Herausforderungen
Der neue Leiter des Heilbronner Grünflächenamtes plädiert angesichts des Klimawandels für eine vernetzte Stadtplanung. Oliver Toellner war vorher bei der Buga und hat spannende Ideen und Ansätze.

Nur mit vernetztem Denken lassen sich Stadt und Landschaft "versöhnen", betont der neue Leiter des städtischen Grünflächenamtes, Oliver Toellner. Im Stimme-Gespräch sagt der 52-Jährige, wie er dem Klimawandel begegnet, was Wasser wert ist - und was ihn auf die Palme bringt, zum Beispiel zu breite Radwege.
Sie tragen die Uniform der Architektur: schwarz. Warum nicht grün?
Oliver Toellner: Ich habe das Gärtnern von der Pike auf gelernt und immer noch den Kontakt zur Scholle. Aber die Aufgaben der Landschaftsplanung liegen heute im gesamten Stadtraum. Zur neuen Chefin der Bundesarchitektenkammer wurde übrigens eine Landschaftsplanerin gewählt. Ein Novum. Es zeigt den Bedarf der Versöhnung von Stadt und Landschaft. Von daher sehe ich mich in beiden Funktionen.
Sie lassen sich offenbar nicht leicht provozieren. Mit was kann man Sie tatsächlich auf die Palme bringen?
Toellner: Das alte Denken der gestaffelten Zuständigkeiten kann mich schon nerven. Wir können die Probleme der Stadt nur integriert lösen, also die Fachbereiche übergreifend. Wenn der Gärtner erst zuletzt kommt, kann er nur Restflächen begrünen, im Neckarbogen haben wir gezeigt, wie es anders geht.
Wir stehen auf dem Kiliansplatz, auf den ihr Amt jeden Sommer Grüninstallationen zaubert. Sonst würde man es bei Hitze gar nicht aushalten. Nun wurde dieser Platz erst vor Jahren neu angelegt, offenbar falsch.
Toellner: Ich denke, man muss in Zeiten des Klimawandels stärker über dauerhafte Grüninseln in der Stadt nachdenken. Ob der Kiliansplatz dafür geeignet ist? Er ist auch Festplatz mit unterschiedlichen Bespielungen. Wenn man heute ran ginge, müsste man das Thema Bäume und Schatten intensivieren.
Auf der Buga ist das und vieles andere idealtypisch gelungen. Was nehmen Sie von der Buga in ihr Amt mit?
Toellner: Das gemeinsame Arbeiten an der Zukunftsstadt und an einer Heilbronner Baukultur. Da hat Heilbronn weiter Bedarf und kann sich nicht auf den Lorbeeren der Buga ausruhen.
Gleichzeitig gilt Heilbronn als Stadt der Gärten und Parks. Vieles trägt da die Handschrift ihres Vorgängers. Wo wollen Sie Ihre Schwerpunkte setzen?
Toellner: Die Arbeit von Herrn Barz war vom Grünleitbild von 1992 geprägt. Die Idee: ein Netz von Grünverbindungen, aber auch Stadtteilparks. Das ist weit fortgeschritten. Ich sehe die Hauptaufgabe heute im Klimawandel, also die Stadt der Gärten unter diesem Vorzeichen in die Zukunft zu führen, vor allem im städtischen Raum, sozusagen ein Grünleitbild 2.0.
Wie kann man sich das vorstellen?
Toellner: Wir hatten auf der Buga etwa grüne Zimmer. Unser Anspruch sollte sein, dass jeder Einwohner innerhalb von fünf Minuten einen solchen grünen Schutzraum erreicht, das ergäbe ein Netz von Angeboten. Gleichzeitig haben wir größere Projekte der Innenstadtsanierung vor uns, zum Beispiel die Turmstraße. Sie wird ein erstes Beispiel sein, wie unter dem Thema Klimaanpassung der öffentliche Raum der Zukunft aussehen kann.
Aber das reicht sicher nicht.
Toellner: Im Prinzip gilt es, durch kontinuierliches Forschen und Experimentieren mit Pflanzenarten und durch neue Bewässerungssysteme unser Grün zu sichern. Das Wasser ist das Gold des 21. Jahrhunderts, eine intelligente Vernetzung unserer Bewässerungs- und Abwassersysteme ist das A und O.
Spannend. Unter der Turmstraße läuft der verdolte Pfühlbach.
Toellner: Natürlich ist der Reiz, Bachläufe freizulegen, aus Kanälen Lebensräume zu machen, groß. Am Böllinger Bach ist es gelungen. Man muss aber in der Stadt ehrlich sein, da gibt es viele Anforderungen an die Infrastruktur, Leitungen, Straßen. Gleichzeitig haben wir mit der Buga gezeigt, dass sogar an einer Bundesschifffahrtsstraße eine Renaturierung möglich ist.
Sehen Sie noch Potenzial am Neckar?
Toellner: Die Flusslandschaft ist unser bestimmendes Freiraummerkmal. Es gibt noch Bereiche, die nicht zugänglich sind. Wir sollten Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, entlang der Flussadern eine trennende Infrastruktur zu legen. Wir haben mit großem Aufwand eine Bundesstraße am Neckarufer entfernen müssen. Wir sollten darauf achten, dass wir im Zuge der nachhaltigen Mobilität, Stichwort Radschnellwege, nicht empfindliche Uferlagen überbauen. Nicht die Infrastruktur, der Mensch muss Maß und Proportion der grünen Stadt am Fluss sein.
Es gibt alte Grüninseln, Friedhöfe, wo man vieles unter einen Hut bekam.
Toellner: Absolut. Das sind ja nicht nur Ansammlungen von Grabstätten. Friedhöfe sind Orte der Erinnerung, der Erholung, der Biodiversität und der Klimapufferung. Diese Friedhofskultur müssen wir stärker hervorheben - und auch den ganzheitlichen Ansatz dahinter.
Um im Bild zu bleiben: Wird auf dem Altar der Innenverdichtung nicht zu viel Stadtgrün geopfert, ja, begraben?
Toellner: Wir sind von Amts wegen ja Anwälte des Freiraums. In der Stadt ist er begrenzt und umkämpft. Ein Lösungsansatz, der im Neckarbogen ganz gut gelungen ist, lautet Multikodierung, das heißt: Natur- und Artenschutz, inklusive Erholung. Der Stadtraum der Zukunft muss vielfach nützlich sein - und schön. Im Lockdown haben wir gesehen, wie wichtig er ist.
Stichwort Biodiversität. Wie ist Heilbronn da aufgestellt?
Toellner: Die grün bestimmte Landesregierung geht in die dritte Legislaturperiode und wir spüren auch in der Kommunalverwaltung, dass sich Ideen, Konzepte wie Biodiversität, Natur- und Artenschutz sehr stark auch in der Gesetzgebung äußert, das hat für uns Folgen. Der Artenrückgang ist dramatisch, wir reagieren mit Ackerrandstreifenprogrammen, Natur- und Artenschutzmaßnahmen und ganz frisch mit dem neuen Landschaftsplan, ein Werk, das sich sehr gut mit der Landesstrategie verbindet und dessen Inhalte Schritt für Schritt auf die Umsetzung warten.
Zur Person
Oliver Toellner (52) leitet in der Nachfolge von Hans-Peter Barz seit Mai das Grünflächenamt der Stadt Heilbronn. Nebenberuflich lehrt der verheiratete Vater zweier Kinder an der Hochschule für Technik Stuttgart im Masterstudiengang Stadtplanung. Zuletzt hat Toellner als Prokurist der Buga Heilbronn 2019 GmbH die Planungs- und Ausstellungskonzeption verantwortet und den Auftakt des Neckarbogens mit der Buga über eine Dekade planerisch begleitet. Zuvor arbeitete der gebürtige Stuttgarter als Stadt- und Landschaftsplaner national und international an grünen Stadtentwicklungsprojekten. Nach seinem Studium der Landespflege in Weihenstephan führten ihn Stationen zu Landschaftsarchitekturbüros in Stuttgart und Hamburg. Insgesamt hat er in allen Maßstäben als Planer gearbeitet, von Privatgärten über Plätze wie den Jungfernstieg in Hamburg bis zu gesamtstädtischen Konzeptionen.



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