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"Gute Architektur ist nicht vom Preis abhängig"

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Der Heilbronner Architekt Christoph Herzog möchte den Fokus wieder auf die Stadtmitte lenken, damit unsere Zentren nicht ausbluten. Warum er den Begriff Bausünden nicht nur auf Nachkriegsarchitektur bezieht und für die Umnutzung alter Gebäude plädiert, erklärt er im Interview.

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"Den Fruchtschuppen im Neckarbogen hätte ich stehen gelassen, umgebaut und umgenutzt": Christoph Herzog in seinem Architekturbüro in der ehemals methodistischen Kirche in Sontheim.  Foto: Mario Berger
"Den Fruchtschuppen im Neckarbogen hätte ich stehen gelassen, umgebaut und umgenutzt": Christoph Herzog in seinem Architekturbüro in der ehemals methodistischen Kirche in Sontheim. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Das Einfamilienhaus kann nicht allein die Zukunft des Bauens sein, sagt Christoph Herzog. Der Kammergruppenvorsitzende der Architektenkammer Heilbronn trägt Sorge, dass die Ortskerne ausbluten und plädiert für die Nachverdichtung in den Zentren und Umnutzung alter Gebäude. Auch sonst hat der Architekt, der seinen Beruf durchaus als Kunst versteht, klare Vorstellungen.

 

Was ist gute Architektur, Herr Herzog?

Christoph Herzog: Gute Architektur zeichnet sich aus durch den Ort, aus dem sie heraus entsteht. Und aus den Wünschen und Vorgaben der Bauherren.

 

Sie verstehen sich als Dienstleister?

Herzog: Auf alle Fälle. Der Architekt ist dem Bauherren und dem öffentlichen Interesse verpflichtet.

 

Besteht da nicht ein Konflikt, zwischen Bauherr und Öffentlichkeit?

Herzog: Es kann ein Konflikt entstehen. Und den muss gute Architektur lösen. Das kann sogar interessant sein und ist die Kunst, aus Zwängen und Vorgaben vielleicht die bessere Architektur zu schaffen.

 

Apropos Kunst. Für den römischen Bauherren und Architekturtheoretiker Vitruv aus dem 1. Jahrhundert vor Christus ist die Architektur die Mutter aller Künste. Verstehen Sie sich als Künstler?

Herzog: Man ist auch Künstler. Es ist die Kunst, zu vermitteln und im Bauprozess das ganze Orchester aus Handwerkern, Fachplanern und den Bauherren zu dirigieren.

Zur Person

1966 in Heilbronn geboren, studierte Christoph Herzog nach einer Schreinerlehre in Ilsfeld Architektur in Stuttgart. Der freie Architekt im Büro herzog + herzog wuchs in Horkheim auf, wo er bis heute verwurzelt ist und wohnt, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seit 2018 ist Christoph Herzog Vorsitzender der Architektenkammergruppe Heilbronn.

 

Wer kann sich heute noch gute Architektur leisten?

Herzog: Jeder. Gute Architektur ist nicht vom Preis abhängig. Ich spreche nicht vom Honorar. Einfache, schlichte Architektur kann gut sein. Solide und einzigartig. Architektur soll und muss bezahlbar bleiben.

 

Immer teurere Materialkosten und Baulandpreise sind aber ein Problem.

Herzog: Ich denke, das wird sich selbst regulieren.

 

Wie denn?

Herzog: Durch einfache Bauweisen in Grundriss, Konstruktion und Form. Ohne Schnickschnack. Der Vorteil an der Verknappung von Material und Bauland ist doch, jeder ist gezwungen, nachzudenken, wie wir in Zukunft bauen und wohnen.

 

Muss es in Schwaben immer das Einfamilienhaus sein?

Herzog: Sicher nicht. Der Flächenverbrauch ist einfach sehr groß. Ich bin kein Freund von Neubaugebieten am Ortsrand, dessen Häuser alle gleich aussehen. Dadurch wird der Ortskern ausgedünnt.

Was ist die Alternative?

Herzog: Ich bin für eine Nachverdichtung in den Zentren und die Umnutzung alter Gebäude. Dazu bedarf es eines Umdenkens. Im Süden, wohin wir so gerne fahren, gehören Enge und dichtes Wohnen dazu. Ein weiterer positiver Aspekt der Nachverdichtung: Es gäbe weniger Autos. In Neubaugebieten hat man das Gefühl, die Doppelgarage ist fast so wichtig wie das Haus dazu. Unsere Innenstädte müssen wieder attraktiver werden durch eine gute Durchmischung aus Läden, Wohnen, Gastronomie und Kultur.

 

Lassen Sie uns auf Heilbronn blicken, die einst stolze Reichsstadt und das Trauma des 4. Dezembers 1944, als ein Fliegerangriff die Stadt in Schutt und Asche legte. Welche Bausünden wurden nach 1945 begangen?

Herzog: Ich hatte das Glück, damals kein Entscheidungsträger zu sein. Der Druck, wieder aufzubauen, war enorm. Daraus entstand die eine oder andere Bausünde. Lassen Sie mich ein wenig sarkastisch sein, wenn ich sage, heute gibt es Architektur, auf die der Begriff Bausünde viel mehr zutrifft: Architektur, die in Zukunft kaum umgenutzt werden kann. Damals waren die Grundrisse einfach, klar und weniger verschachtelt. Sie bieten heute noch die Möglichkeit der Umgestaltung aufgrund der einfachen Bauweise.

 

Wo steht Heilbronn heute? Wie sieht die Stadt in Zukunft aus?

Herzog: Man muss den Fokus auf die Stadtmitte lenken und nicht nur auf das Gelände der Bundesgartenschau. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin für neue Stadtteile, aber nicht nur. Die Stadtmitte muss wieder zum Herzen werden. Dazu müsste man den Mut haben und die Überzeugung, ein Gebäude und seine Geschichte stehen zu lassen und ihm eine neue Nutzung zu geben. Also aufstocken, umbauen, nicht gleich abreißen. Sonst schaut ein Quartier zu gleichförmig aus.

 

Haben Sie da ein jüngstes Beispiel?

Herzog: Den Fruchtschuppen im Neckarbogen hätte ich stehen gelassen, umgebaut und umgenutzt.

 

Und was würden Sie mit dem Wollhaus machen? Ist das nun ein zeithistorisches Beispiel für Brutalismus oder ein Schandfleck?

Herzog: Das Wollhaus aus den frühen 70er Jahren ist ein Beispiel für den Brutalismus, jene Stilrichtung der Moderne, die mit rohem Beton, Beton brut, baute. Ob es ein Schandfleck ist? Die Frage ist, wird es durch Abriss besser? Der Busbahnhof gehört so dort nicht hin. Ich meine, man könnte und sollte aus dem Bestand etwas anderes machen, etwa Wohnflächen, Büros und Grünflächen draufstapeln. Man muss das Gebäude in der Gesamtheit und im Stadtgefüge mit Vorplatz und direktem Zugang zur Fußgängerzone planen und so gestalten, dass man sich dort gerne aufhält. Im Moment fährt man am liebsten schnell vorbei.

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