Keine Verschwendung von Lebensmitteln: Bei dieser Böckinger Familie landet fast nichts in der Tonne
Verschimmelte Tomaten, saure Milch? Das gibt es bei Familie Schlesiger so gut wie nie. Wie es das Böckinger Ehepaar schafft, nur zwei Kilogramm Lebensmittel pro Jahr in den Müll zu werfen - der Bundesschnitt liegt um ein Vielfaches höher.

Es dauert keine zehn Sekunden, dann ist der Zucker von Gabriele Schlesiger zu Staub zerfallen. Oder besser gesagt zu Puder. "So stelle ich meinen Puderzucker her", erklärt die 59-Jährige und drückt erneut auf den Knopf der elektrischen Kaffeemühle. Die hat sie einst für zwei Euro bei einem Flohmarkt erstanden.
Statt wie die meisten von uns eine 250-Gramm-Packung Puderzucker im Supermarkt zu kaufen, die dann monate-, teilweise sogar jahrelang ungenutzt im Küchenschrank steht, produziert die Böckingerin genau die Menge an Puderzucker, die sie braucht. "Eigentlich dachte ich, Puderzucker ist unbegrenzt haltbar", sagt Gabriele Schlesiger. "Doch mein gekaufter schmeckte schal und roch abgestanden, als ich ihn aus dem Schrank holte." Da blieb nur noch Wegschmeißen übrig. Und das ist im Hause Schlesiger in Böckingen ein Unding.
Alles wird genau protokolliert
2021 war das Jahr, in dem Dietmar Schlesiger es ganz genau wissen wollte: "Wie viele und welche Lebensmittel landen bei uns in zwölf Monaten im Müll?" Der gelernte Bäckermeister führte Buch und kam auf die erstaunliche Summe von 2,15 Kilogramm - für seine Frau und sich zusammen. Nicht wenige Münder stehen offen, wenn man zum Vergleich die Daten des Statistischen Bundesamts, die auf Basis von EU-Vorgaben für das Bezugsjahr 2020 ermittelt wurden, betrachtet. Demnach landeten rund 78 Kilogramm Lebensmittel pro Kopf und Jahr in Deutschland im Müll privater Haushalte. Darin sind allerdings auch Unvermeidbares wie zum Beispiel Nuss- und Obstschalen, Kaffeesatz und Knochen enthalten.
Dennoch: "Als ich die Zahl zum ersten Mal gehört habe, konnte ich es einfach nicht glauben", sagt Schlesiger. Bei einer 2020 in privaten Haushalten durch die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) durchgeführten Studie kamen weitere Details heraus: 35 Prozent der vermeidbaren Lebensmittelabfälle entfallen auf frisches Obst und Gemüse, 13 Prozent machen Brot und Backwaren aus, gefolgt von Getränken (zwölf Prozent) und Milchprodukten (neun Prozent).
Keine Großpackungen kaufen
Auch bei Familie Schlesiger landet Verdorbenes im Müll - allerdings gibt es davon so gut wie nichts. "Wir überlegen uns vor unserem Einkauf genau, was wir brauchen", erklärt Gabriele Schlesiger. So kommen solche unglaublich kleinen Mengen wie drei verschimmelte Zitronen oder aber sechs verfaulte Tomaten für das gesamte Jahr 2021 zusammen.

Generell vermeidet das Ehepaar es beispielsweise, Großpackungen zu kaufen, nur weil es vermeintlich billiger ist. "Wir kaufen nur die Menge ein, die wir auch tatsächlich benötigen", sagt Dietmar Schlesiger. Und das zu 95 Prozent im Bioladen, wo es überwiegend lose Ware gibt.
Saisonal und regional einkaufen
Saisonal und regional einzukaufen, bewahrt die Familie ebenfalls vor Lebensmittelabfällen. Tomaten kauft sie beispielsweise nur von April bis Mitte Oktober - dann, wenn sie im Südwesten Saison haben und am besten noch im Freilandanbau wachsen. "Das Gemüse schmeckt dann auch einfach besser", sagt Dietmar Schlesiger. Und was gut mundet, wird auch lieber gegessen. "Da lässt man nicht einfach etwas übrig."

Der erste Spargel wird regelrecht zelebriert. "Wir sind Genussmenschen", sagen die Schlesigers von sich selbst. Dass beim Spargel auch das nährstoffreiche Spargelwasser nicht weggegossen wird, versteht sich von selbst. Aus der Schale entsteht eine einfache, aber sehr schmackhafte Cremesuppe. Gleiches gilt für Erdbeeren, die ebenfalls nur regional eingekauft werden.
Ordnung im Kühlschrank schützt vorm Wegschmeißen
Nach wie vor werden zu viele frische Lebensmittel weggeworfen, aber auch bereits zubereitete Mahlzeiten werden zu häufig entsorgt. Oder aber das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) wird als Wegwerfdatum verstanden. "Wir haben auch schon Joghurt gegessen, der drei, vier Monate abgelaufen war", erinnert sich Gabriele Schlesiger. "So schnell geht der nicht kaputt", ergänzt ihr Ehemann.
Wenn sich Wasser absetzt, wird es abgegossen oder aber einfach untergerührt. Damit es erst gar nicht so weit kommt, dass der Erdbeerjoghurt im Kühlschrank übersehen wird, gibt Schlesiger folgenden Tipp: "In Kühl- und Vorratsschränken immer alles am selben Platz lagern, damit behält man den Überblick." Gemüse, Käse und Wurst in der Null-Grad-Zone des Kühlschranks lagern. Das erhöht die Haltbarkeit.
Ältere Menschen schmeißen weniger weg als jüngere
Ein weiterer Befund der GfK-Untersuchungen: Je jünger der Haushaltsvorstand, desto mehr potenziell verwertbare Lebensmittel werden weggeworfen. Haushalte mit älteren Personen werfen tendenziell weniger weg. Das bestätigt auch Ehepaar Schlesiger. "Wir haben bereits in unserer Kindheit sehr sparsam gelebt", benennt Dietmar Schlesiger die Beweggründe dafür, auch heute nur in Ausnahmefällen Lebensmittel in den Müll zu geben.
Gleichzeitig hat die Not auch damals schon erfinderisch gemacht: "Nutella haben wir aus Margarine mit Kakao hergestellt, Nudeln schmeckten auch mit Tomatenmark anstelle von Ketchup." Fleisch gab es sehr selten - der Sonntagsbraten war eine große Ausnahme. "Die Wertschätzung von Lebensmitteln", sagt Gabriele Schlesiger, "ist uns beiden in die Wiege gelegt worden." Wer mit Essen spielt, beleidigt in ihren Augen alle, die es mit viel Energie und Liebe produziert haben.