Heilbronner Dekan Rossnagel wirbt für Klimaanliegen der Letzten Generation
"Es ist wichtig, dass sich Klimaschützer lautstark Gehör verschaffen", betont der katholische Dekan von Heilbronn. Roland Rossnagel äußert sich im Stimme-Interview über die Relevanz von Ostern, nicht nur in Krisenzeiten.

Ukrainekrieg, Flüchtlingsdramen, Klimakrise. Die Welt steckt tief im Karfreitagsmodus. Roland Rossnagel versucht Mut zu machen. Im Stimme-Interview tippt der katholische Dekan von Heilbronn an, was die Kirche an Ostern zu sagen hat − und was sie in Krisen wie diesen bietet. Der Geistliche wirbt unter anderem für die "berechtigten Anliegen" der umstrittenen Letzten Generation.
Welche Relevanz hat die 2000 Jahre alte Osterbotschaft in Krisenzeiten wie diesen?
Roland Rossnagel: Sie macht uns Hoffnung, dass Leid und Tod nicht das letzte Wort behalten. Auch in den vielen kleineren und großen Katastrophen, die wir täglich erleben, müssen wir nicht resignieren. Jesus Christus hat alles Leid überwunden und ist sogar vom Tod auferstanden. Sein erster Gruß war: Friede sei mit Euch! Danach sehnen wir uns ja alle. Die christliche Botschaft zeigt, dass diese Sehnsucht nicht ins Leere geht, sondern ihre Erfüllung findet, und dass wir aus dieser Perspektive heraus jetzt schon Boten des Friedens werden können.
Was tut die Kirche gegen den Krieg, wie hilft sie Menschen auf der Schattenseite des Lebens?
Rossnagel: Nun, zu diplomatischen Aktivitäten des Heiligen Stuhls im Hintergrund kann ich nichts sagen. Aber wir beten in allen Gottesdiensten um den Frieden und setzen uns auf verschiedenen Ebenen sehr für die Opfer des Krieges ein. In der Fastenzeit haben wir Geld für Caritas International gesammelt, die in Syrien hilft. Auch in der Flüchtlingshilfe vor Ort sind viele Kirchengemeinden und besonders die Caritas engagiert. Wenn man den Begriff Frieden weitet: die Energiehilfe von Caritas und Diakonie für Ärmere, unsere Integrationsleistung in Kindergärten, nicht nur für Kinder, auch für Eltern, Nachbarschaftshilfe, das ganze weite soziale Feld.
Ein anderes brennendes Thema der Zeit ist das Klima. Was halten Sie von der Letzten Generation?
Rossnagel: Ich teile die Anliegen der Klimaschutzbewegung, denn die Bewahrung der Schöpfung ist uns Christen ins Herz geschrieben. Es ist richtig und absolut notwendig, dass sich Klimaschützer lautstark Gehör verschaffen, weil es nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf ist. Das belegen Klimakatastrophen und Klimastudien, die das Erreichen der Kipppunkte, an denen sich die Entwicklung unumkehrbar vollzieht, mit immer beängstigenderer Geschwindigkeit vorhersagen. Ja, wir müssen unseren Wohlstand auf den Prüfstand stellen. Wir brauchen mehr "Wir" als "Ich". Es muss Menschen geben, die uns das drastisch vor Augen führen. Ich glaube, anders kommen wir nicht zum Umdenken, zur Umkehr. Das ist ein urchristliches Thema: zum Guten, zur Besinnung kommen. Ob nun die Methoden der Letzten Generation diesem Ziel dienen, darf aber durchaus kritisch gesehen werden.
Die Welt geht unter − und die Kirche dreht sich um sich selbst. Stichwort Synodaler Weg. Es wurde lange geredet, aber es kam wenig heraus: Frauen dürfen predigen, Homosexuelle gesegnet werden, man bittet den Papst, den Pflichtzölibat zu prüfen. Sind das tatsächlich Erfolge?
Rossnagel: Ich sehe das anders. Schauen Sie doch, wie unsere Gesellschaft zersplittert, wie der Individualismus wächst, siehe auch die Umgebung des Deutschhofs, wo jeder einfach sein Zeug fallen lässt. Der Synodale Weg ist für mich vor allem ein dreijähriger Lernprozess des aufeinander Hörens, an dessen Ende die Beschlüsse mit großer Mehrheit gefasst wurden. Sonst ist es ja so: Wenn einem etwas nicht passt, gründet man eine eigene Partei − oder Kirche.
Aber letztlich hängt ja alles von Rom ab. Der Papst hat sich schon kritisch geäußert. Ist Franziskus nun Traditionalist oder Reformer?
Rossnagel: Er ist ein Mensch, der Ungerechtigkeit wahrnimmt. Franziskus legt seinen Finger quasi jeden Tag in eine soziale Wunde irgendwo auf der Welt. Da bewundere ich ihn sehr. Seine Aufgabe ist es, die unterschiedlichen Menschen und Kulturen in der Kirche zusammenzuhalten. Da gibt es viele Länder, die ein ganz anderes Kirchenbild haben als wir, die etwa Homosexualität sehr kritisch sehen, was in unserer Gesellschaft ja lange auch noch so war und in Teilen noch so ist. Immerhin ist die Kirche hier jetzt ein Stück weiter. Und: Franziskus selbst hat den Begriff der Synode ins Spiel gebracht, um dadurch die weltweite Vielfalt der Kirche sichtbar zu machen. Am Ende steht freilich keine demokratische Abstimmung. Der Papst sagt vielmehr: Hört auf den Geist. Das täte uns auch in der Politik gut.
Wie meinen Sie das?
Rossnagel: Geist ist natürlich ein frommes Wort, sagen wir: Dass jeder bereit ist, nicht nur sich zu sehen, sondern aufs Gute zu hören. Dass sich etwa die Industrie mit Klimaschützern an den Tisch setzt, dass man sich nicht wie bei Talkshows ohne Ergebnis und Bewegung trennt.
Es gibt Länder, da blüht der Glaube, bei uns verdunstet er. Wie sieht die Kirche in 20 Jahren aus? Ihr Kollege in Stuttgart meint, sie wird zur Sekte.
Rossnagel: Daran hindert uns das Evangelium. Man wird zur Sekte nicht, weil man weniger wird, sondern weil man sich abschließt. In Heilbronn erlebe ich alles andere. Wir schließen uns nicht ab, umgekehrt geht man auf uns zu, um gemeinsam etwas für die Stadtgesellschaft zu bewirken. Ich glaube, dass die Kirche zahlenmäßig kleiner, aber damit glaubwürdiger wird, weil jene, die bleiben, sich einsetzen und Zuversicht ausstrahlen. Die Kirche gewinnt so eine neue Gestalt mit neuen Formen, mit − freilich weniger − Gemeinden. Glaube lebt nicht von der Masse, sondern von der persönlichen Beziehung zu Gott, vom engagierten Helfen, vom gemeinsamen Feiern: So wie jetzt wieder an Ostern.



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