Heilbronn plant Seilbahn: Was die Stadt vom Beispiel Toulouse lernen kann
Heilbronn will den KI-Gewerbepark Ipai mit einer Seilbahn an die City anschließen. Für Gondeln im Nahverkehr gilt Toulouse als Pionierstadt. Ein Besuch in Südfrankreich zeigt: Es gibt Parallelen zum Heilbronner Projekt, aber auch viele Unterschiede.
Zu Téléo, so heißt Frankreichs längste Stadtseilbahn, gibt es sogar Fanartikel. An der Endhaltestelle beim Universitätszentrum Paul Sabatier steht ein Automat, der Schlüsselanhänger, Notizblöcke oder Poster mit Gondelmotiven feilbietet. Die Seilbahn ist der Star. „Die Leute hier sind stolz darauf“, sagt der Kellner im Café am Hauptbahnhof Matabiau.
Der Weg von dort zu Téleo ist weit, das ist ein erster Unterschied zu Heilbronns innerstädtischen Gondelträumen. Mit der fahrerlos gesteuerten Metro geht es an den südlichen Stadtrand und auf einem kurzen Fußweg zum Startpunkt der Seilbahn, die das Unigelände mit einem Krebsforschungszentrum in drei Kilometer Entfernung verbindet und auf dem Weg dorthin einen Hügel und den Fluss Garonne überwindet.
Seilbahn für Heilbronn? So löst Toulouse eine zentrale Frage
Nur einen Halt gibt es dazwischen, das Krankenhaus Rangueil. Touristen, Ausflügler, Krankenhauspatienten sind an diesem Mittag unterwegs, einige zücken Kameras, der Flug über die Peripherie der südfranzösischen Metropole gilt immer noch als Attraktion.

Bei der Eröffnung der Anlage im Mai 2022 wurden 8000 Fahrgäste pro Tag als Ziel ausgegeben. Es hat etwas gedauert, aber jetzt sei diese Marke erreicht, berichtet Patrick Vial, Projektleiter beim örtlichen Nahverkehrsunternehmen Tisséo. „Wir haben den Vorteil, dass die Randzeiten abgedeckt sind“, erklärt Vial. „Bei den beiden Krankenhäusern gibt es regelmäßigen Besucherverkehr, auch die Universität bringt eine stete Nachfrage.“
Das gilt als entscheidender Punkt bei Seilbahnprojekten. Das System ist ein sogenannter Stetigförderer, die Gondeln drehen sich immer, egal ob gerade Stoßzeit im Berufsverkehr oder Sonntagmittag ist. Diese Frage gilt auch für Heilbronn als kritischer Punkt. Wird das System ausgelastet, wenn wie geplant der Ipai, der Industriepark Wohlgelegen und der Bildungscampus angebunden werden?
Moderne Systeme bieten etwas Flexibilität, erläutert Vial: „Man kann je nach Nachfrage zusätzliche Kabinen einhängen, der Energieverbrauch steigt dadurch kaum.“ Mangelnde Nachfrage ist in Toulouse nicht das Problem, eben wurden die Betriebszeiten für die Sommersaison erweitert. Die Gondeln kreisen von 7 bis 22 Uhr, am Sonntag von 9 bis 22 Uhr.

Dimensionen unterscheiden sich von Seilbahnprojekt in Heilbronn
Standseilbahnen als Teil des öffentlichen Nahverkehrs gibt es durchaus, etwa in Künzelsau oder in Stuttgart. Derweil hat die Idee schwebender Gondeln in Europa noch nicht recht gezündet. Innerstädtisch gibt es etwa eine Bahn im Berliner Bezirk Marzahn, sie ist aber nicht in das ÖPNV-Tarifsystem eingebunden.
In Toulouse zücken die Fahrgäste ihr Metro-Tagesticket am Eingang zur Endhaltestelle, steigen in die Kabine, und los geht die nahezu geräuschlose Fahrt. Der Takt ist eng, alle zwei Minuten kommt eine Gondel. Auch Fahrradfahrer sind unterwegs. Die Kabinen sind geräumig, fassen 34 Personen. Das ist deutlich üppiger als die Zehn-Personen-Kabinen, die über Heilbronn schweben sollen.
Ausganspunkt für die Pläne in Toulouse, Frankreichs viertgrößter Stadt, war eine Katastrophe: Als im September 2001 ein Lager für chemische Abfälle in die Luft flog, starben 31 Menschen, der Schaden in der ganzen Stadt ging in die Milliarden. Auf dem Gelände der explodierten Fabrik entstand bis 2014 das internationale Krebsforschungszentrums Oncopole de Toulouse, und es stellte sich die Frage der Verkehrsanbindung.

Die spezifische Topologie mit Hügel und Fluss brachte es mit sich, dass Universität und Forschungszentrum nur über erhebliche Umwege zu erreichen waren, Straßenverbindungen gibt es auf der Achse nicht. In Heilbronn gäbe es durchaus Alternativen, den Ipai mit Bussen oder Stadtbahn anzubinden. Laut Stadt wurde das geprüft und ist unwirtschaftlicher als die Seilbahn, die bei einer Wirtschaftlichkeitsbewertung die erste Hürde nahm.
Was kostet Heilbronns Seilbahn? Toulouse liefert Hinweis
So ergäbe sich ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1,27, jeder investierte Euro bringt demnach einen gesellschaftlichen Mehrwert von 1,27 Euro. Das ist ein respektabler, wenngleich für vergleichbare Projekte kein überragender Wert. Experten geben der Gondel am Neckar gute Chancen. „Es gibt heute einige seriöse Projekte“, sagte Dominik Berndt zuletzt im Gespräch mit der Stimme und zählte ausdrücklich Heilbronn dazu. Berndt ist Stadtplaner und Geschäftsführer des Unternehmens Cable Car World GmbH, das unter anderem eine gleichnamige Fachmesse zu dem Thema in Essen mitgestaltet.
Eine Kostenschätzung für Heilbronn gibt es nicht, in der Fachliteratur finden sich Werte von von 3,5 bis 30 Millionen Euro pro Streckenkilometer. Téléo hat mit Heilbronn die Drei-Kilometer-Strecke gemein, bei den Kabinen die größeren Dimensionen, aber mit drei auch weniger Haltestellen. In Heilbronn sind fünf vorgesehen. Das Toulouse-Projekt kostete 82 Millionen Euro und hat auch einen touristischen Aspekt.
Am Krankenhaus steigen gerade die Radler aus, von hier ist es nicht weit zum Areal Pech David. Das Naherholungsgebiet auf dem Hügel war zuvor auch für Einheimische unbekanntes Terrain, jetzt wird es rege genutzt. Was auffällt: Auf dem Weg hinab zur Oncopole überschweben die Kabinen Wohnhäuser, auf der Terrasse sitzen Menschen am Esstisch.
Diskussionen um Privatsphäre: Den Anwohnern auf die Terrasse geschaut
Privatsphäre der Anwohner ist bei Seilbahnen ein großes Thema. „Es gab auch kritische Stimmen“, sagt Projektleiter Patrick Vial. Die Anwohner seien früh eingebunden worden. Der Präfekt hätte die Überflugrechte auch gegen Protest durchsetzen können, das sei letztlich nicht nötig gewesen. Es gilt als großer Vorteil für das Heilbronner Projekt, dass auf der geplanten Trasse keine Wohngebiete liegen.
Das Heilbronner Rathaus hat bereits Kontakte nach Toulouse geknüpft. Unterschiede gibt es freilich nicht nur bei der Größe der Gondeln: Toulouse ist mehr als viermal so groß wie Heilbronn, die Airbus-Stadt mit ihrem traditionellen Schwerpunkt in der Flugzeugindustrie wächst rasant, könnte bald Lyon als drittgrößte Stadt Frankreichs hinter Paris und Marseille ablösen. Bei der Lösung der damit verbundenen Verkehrsprobleme ist Téléo nur ein Puzzlestück. Eine mögliche Verlängerung der Seilbahn liegt vorerst auf Eis. Es fehlt das Geld, weil die Kosten für die Erweiterung des Metro-Netztes explodieren.